Damit gehörst du aber leider zu einer verschwindend kleinen Minderheit.
Das glaube ich nicht und exakt diesem Umstand verdanken soziale Musikseiten wie Pandora, Slacker, Jango & Co ihre immensen Reichweiten. Würden sich die radiointeressierten Laien in diesem Forum auch nur einen halben Tag mit den Hitergründen des Radio- und Musikgeschäfts auseinandersetzen, würde es ihnen wie Schuppen von den Augen fallen und viele auf den ersten Blick unerklärliche Tatbestände enthüllten sich blitzartig vor ihrem inneren Auge. Auf diesen Seiten begegnet man immer wieder Phrasen und Standardfloskeln, von denen ein paar wenige besonders schmerzen:
- Die Leute wollen immer denselben Quark hören, deswegen sind die Rotatioen so klein. Falsch: Die Rotationen sind deswegen so klein, weil nur Titel, die im Gedächtnis haften bleiben und selbst bei seltenem Radiokonsum wahrgenommen werden, Kaufimpulse auslöen. Ein Titel der sich in die Hirnwindungen frisst wird zigtausendmal gekauft (Hit-Faktor) und deswegen sind kleinste Rotationen in Zeiten zurückgehender Radionutzung verkaufsfördernder denn je.
- Die Leute wollen bekannte Titel hören, seltene Titel werden abgelehnt Dass sich so ein Unsinn in Zeiten allgemeinen Radioverdrusses so hartnäckig hält ist erstaunlich, diese Behauptung widerspricht nicht nur allen Erkenntnissen der Marktforschung, sie ist sogar sinnwidrig. In einem Radioumfeld wie dem deutschen, in dem es weder eine rudimentäre Auswahl noch eine ansatzweise Formatvielfalt gibt, müssten Alternativen zum Dudel-Chart-Getöse doch auf begeisterte Zustimmung stoßen. Tun sie aber nicht - denn die alternativen Titel, die in den frequenzübergreifend fast gleich gearteten, statischen Rotationen hin und wieder angetestet werden sind ausnahmslos Grenzgänger oder es handelt sich um unterdurchschnittliche Ware, die sich international nicht bewährt hat. Die Entscheider im Radiogeschäft (die Werbe- und Zielgrupppendesigner aus dem kommerziellen Vorfeld, die auch in die öffentlich-rechtlichen Wellen hineinregieren) schöpfen allesamt aus demselben Reservoir. Vom amerikansichen Markt werden ausnahmslos Titel aus dem großen Übergangsbereich Hot-AC / Top-40 importiert. Das ganze wird dann noch mit ein paar englischsprachigen Künstlern aus den nord- und mitteleuropäischen Ländern sowie einigen wenigen Briten garniert, die grenzübergreifend Geld einspielen sollen. Als Draufgabe bekommt der deutsche Radiohörer noch ein kleines Bündel Deutsch-Pop bestehend aus den üblichen Verdächtigen wie Tim Bendzko (gut verkäufliches Tellerwäschermärchen), Rosenstolz oder den R&B-Söhnen aus Mannheim, deren Aufgabe darin besteht, möglichst bierernste Titel abzuliefern, die garantiert jede Party verderben. Für die Party hat man zum Glück Kesha, die bei Über-25-Jährigen Krätze verursacht.
In Nordamerika hat das Radio längst subsidiäre Bedeutung, es hat also seine alte Funktion als Tagesbegleitmedium eingebüßt und wandelte sich in den letzten Jahren zunehmend zum Gelegenheitsmedium.
Die Branche organisiert sich nach dem Grundsatz: "Wer gratis Musik
hören will geht zu Pandora (also ins Internet), wer massenattraktive Musik
kennenlernen will schaltet das Radio ein". Und damit wird klar, in welcher Nische sich das Musikradio künftig einrichten muss: Es dient zuvorderst als Brutstätte für musikalische Innovationen, als Hitproduzent und als Werbefläche für interessante Neuerscheinungen*. Um dieser neuen Aufgabe gerecht werden zu können ist es aber mehr denn je notwendig, eine Vielzahl attraktiver Spartenangebote zu etablieren, die die geschmacklichen Vorlieben verlockender Käufer- und Werbezielgruppen möglichst genau treffen, denn das grausige Einerlei im deutschen Äther wird in ein paar Jahren niemand mehr über sich ergehen lassen.
Wenn die Werbeumsätze einen Gradmesser für den wirtschaftlichen Erfolg eines Mediums darstellen, ist das deutsche Radiomodell ohnehin gescheitert. Fragt sich nur wie lange die Wende noch auf sich warten lässt; solange die Privatsender noch ein kleines Plus erwirtschaften, ohne den Printpublikationen anzeigentechnisch in die Quere zu kommen, werden die risikoscheuen Verleger zuwarten und die Hände ängstlich in den Schoß legen. Bis dahin wird jeder Marktneuling, der die von ihnen vorgegebenen Spielregeln missachtet, verbissen abgewehrt und von der Partizipation am ohnehin schrumpfenden Werbekuchen ausgeschlossen. Das bestehende Geschäftsmodell wird gegen jede Vernunft mit Zähnen und Klauen verteidigt, während das Smartphone und artverwandte Gerätschaften zu neuen "Volksempfängern" mutieren.
Wird durch die Konkurrenz alternativer Unterhaltungstechnologien der Handlungsdruck am Ende unerträglich, kann man mit kopflosen Schnellschüssen aber nichts mehr retten, zumal sich alle Marktteilnehmer schon lange umorientiert haben. Wer bis zum Sankt-Nimmerleinstag zuwartet muss sich mit den Krumen begnügen, die die aus dem Boden geschossenen Mitbewerber dann noch übrig gelassen haben.
*Vor diesem Hintergrund erscheint es nur logisch, dass die Rotationen der "Oldiesender" besonders klein sein müssen, denn Oldiewellen verfügen weder über eine Hot-Rotation noch über Recurrents oder geschlossene Single-Discographien aktueller Stars, die sie mit älteren Erfolgstiteln ehemaliger Gesangsgrößen kombinieren können. So frischen sie ihre Playlist immer wieder neu auf, um sie dann eine gewisse Zeit beizubehalten und auf diese Weise bestimmte Titel "ins Bewußtsein der Hörer zu hämmern".