AW: Festplattenreparaturwerkstatt gesucht
Noch einmal in aller gebotenen Deutlichkeit: Finger weg von Reparaturversuchen an Platten, die sich nicht nur logisch nicht mehr ansprechen lassen, sondern auch mechanische Auffälligkeiten zeigen (periodisches Kratzen, unübliches Klackern, schrille Pfeifgeräusche, ...). Solche Platten sofort ausschalten und nie wieder in Betrieb nehmen, sondern gleich zur Datenrettung schicken. Jeder weitere "Rettungsversuch" bzw. weiterer Betrieb vergrößert den Schaden und verteuert die Rettung.
Der Tip von isiman, die Platte durch Wechsel der Platine wieder lauffähig zu machen, scheitert in diesem Fall auch. Der hilft aber wirklich, wenn man eine Platte mit defektem Interface oder defekter Elektronik vor sich hat. Dazu braucht man mitunter nicht einmal eine völlig identische Zweitplatte als Spender, zuweilen genügt auch ein Modell aus der gleichen Serie mit anderer Kapazität. Mehr als eine Art "Bootloader" findet sich in der Hardware moderner Platten nicht mehr, die eigentliche Platten-Firmware liegt üblicherweise auf der Plate (jaja...) und wird beim Start gelesen. Also genügt auch, eine andere kompatible Platte auszuschlachten, die richtige Firmware ist ja vorhanden. Solche Bauarbeiten sind aber Freaksache und können, wenns nicht 100% paßt, böse ausgehen.
Mechanische Fehler auf Platten bekommt man mit Software - egal welcher Art - nicht in den Griff!
Was z.B. gerne passiert, wenn Platten lange unterbrechungsfrei in Betrieb sind, ist, daß sich feiner Abrieb der Plattenbeschichtung bildet und auf der Platte niederläßt. Warum er das tut, wei ich auch nicht, da die Platten bei Nenndrehzahl berührungslos abgetastet werden, aber es passiert. Fährt man die Platte dann runter, parkt sie ihre Köpfe - und die bleiben im Abrieb kleben. Der Neustart funktioniert nicht mehr, weil das Anlaufdrehmoment zu groß ist. Der Spindelmotor versucht anzulaufen, die Überlastabschaltung wirkt, der Vorgang stoppt und beginnt von neuem. Man hört ein periodisches Klacken, aber die Platte kommt nicht auf Touren.
Um das zu vermeiden, hatten z.B. die steinalten IBM-DCAS-Platten (SCSI) einen Timer, der das Laufwerk bei Dauerbetrieb einmal pro Woche runter- und wieder hochfuhr, um die Landezone freizurubbeln. Wie sich neue Platten diesbezüglich verhalten, kann ich nicht sagen, da ich meine Rechner (dienstlich und privat) bei längerer Nichtbenutzung runterfahre. Auch gibt es neue Plattenbeschichtungen (
http://www.arcprecision.com/5503/4602.html, die Firma gehört der Mutter eines guten Freundes) - ich weiß nicht, ob das Problem überhaupt noch akut ist.
Ebenfalls ungesund für Platten ist zu häufiges Runterfahren, wenn die Platten dafür nicht ausgelegt sind. SCSI-Platten sind es üblicherweise nicht, die sollen längere Zeit durchlaufen und man garantiert nur wenige 100 Startzyklen. Notebookplatten sind freilich runterfahr-fest und parken die Köpfe teilweise "aufgebockt", schon aus Gründen der Erschütterungsfestigkeit. Alle "normalen" Platten parken die Köpfe halt in der Landezone, und die ist mit nem Laser künstlich aufgerauht worden, damit die Köpfe auf "Noppen" parken und nicht auf einer adhäsiven, glatten Fläche. Diese Noppen können nicht nur durch oben genannten Abrieb, sondern auch durch "Abschleifen" durch zu häufiges Parken eingeebnet werden. Der Effekt ist der gleiche, die Platte startet nicht mehr.
Im Falle eines nicht-Hochlaufens (erkennbar am periodischen Geräusch und daran, daß kein hochtourendes Spindelgeräusch auftritt), gibt es unter Umständen einen Weg der ersten Hilfe. Dazu wird die Platte an recht langen IDE- und Stromkabeln angeschlossen und der Rechner so präpariert, daß ein Komplettbackup (ob dateiweise oder logisch, muß von Fall zu Fall entschieden werden) sofort nach dem erstmaligen erfolgreichen Wieder-Hochlaufen erfolgen kann. Also z.B. zweite Platte als Bootplatte und Datenspeicher verfügbar. Dann wird der Rechner angeschaltet und die klemmende Platte, die man flach in der Hand halten muß, sofort und einmalig ruckartig von Hand in der Ebene ihrer Scheiben gedreht und wieder gestoppt. Mitunter kommen die festklebenden Köpfe dann frei, da der Plattenstapel durch sein Trägheitsmoment der ruckartigen Handbewegung nicht folgen kann. Risiko: Abreißen von Köpfen oder Verkanten von Köpfen, falls diese wirklich festkleben. Dann wird alles noch schlimmer.
Die Hardcore-Lösung sieht so aus, sich den staubsichersten Raum zu suchen (oft das Badezimmer) und die Platte dort am betriebsfähigen Rechner zu öffnen (!). Das kann man exakt ein mal, exakt einen Schuß hat man danach frei, den Plattenstapel vorsichtig von Hand zu lösen. Dann muß sofort komplett umkopiert werden - und dabei wird garantiert Staub zwischen Scheiben und Köpfe geraten, der vom Größenverhältnis Felsbrocken auf der Autobahn gleichkommt. Also ein sehr riskantes Unternehmen. Die Profis in den Rettungslaboratorien arbeiten genau so, aber halt im Reinraum.
Die beiden letztgenannten "Tips" sind also was für den armen Schüler, der seine geklauten MP3s retten will und sonst keine Chance hätte, wieder an seine Daten zu kommen. Wer halbwegs sicher gehen kann und will, schickt die Platte ins Labor.
Allgemein wage ich die Aussage, daß solche Selbsthilfe immer schwieriger wird, je moderner die Platten sind. Die Speicherdichten heutiger Platten sind an der Grenze des physikalisch machbaren, da gibt es keine Toleranzen mehr, die einem zu Hilfe kommen könnten. Die Labore retten aber wirklich fast alles - bei entsprechender Bezahlung. Auch von Platten, die verkratzt sind oder Wasser- bzw. Brandschäden haben. Selbst überschriebene Platten lassen sich oft teilweise auslesen, mit speziellen Laboraufbauten, in denen am Rand der Spuren nach Magnetisierungsresten einer vorherigen Aufzeichnung gesucht wird.