AW: FFN-Crazyphone legt Ypsilanti rein
Ich kann diese Telefonscherze nicht leiden. Keinen. Ob das Paul "ich begrüche Chie" Pancha, der kleine Nils, die Marie aus "Parie" (selbstverfreilich ist die französische Hauptstadt in korrekter lokaler Aussprache gemeint), oder sonstwer ist. Zugegeben, es gibt mal einen, über den ich auch lachen kann, aber ich finde das Konzept von Anfang an verwerflich.
Das Problem ist, daß zu guter zwischenmenschlicher Kommunikation mehr als nur eine Ebene gehört. So gut wie alle Medien, die eine Kommunikation auf Entfernung ermöglichen, transportieren aber nicht alle diese Ebenen. Hier, beim Schreiben, zum Beispiel, lassen sich Emotionen und Zweideutigkeiten längst nicht so gut transportieren, als wenn man sich gegenüberstünde. Mimik, Gestik, Ton fehlen völlig. Ähnlich sieht es beim Telefon aus. Hier kann ich zwar durchaus auch über den Klang der Stimme meinen Gegenüber einschätzen - aber durch die Bandbreitenbeschränkung wird die Stimme so verzerrt, daß man eine Stimme, die einer bekannten nur entfernt ähnlich klingt, wesentlich leichter verwechselt, als wenn man die Stimme ungefiltert hören könnte.
Durch diesen Verlust ist der Angerufene im Nachteil. Die meisten Menschen sind arglos (und das ist an sich auch gut so!) und rechnen einfach nicht damit, daß da plötzlich einer anruft und sich für den Kollegen ausgibt. Zusätzlich kann ein geschickter Sprecher auch ohne Detailwissen das Vertrauen der angerufenen Person erlangen, der zu sein, für den er sich ausgibt, wenn ihm typische Wendungen und Floskeln bekannt sind, die derjenige, dessen Anruf vorgegaukelt wird, üblicherweise benutzt. Genau dieser Mechanismus kam bei Frau Ypsilanti übrigens auch zum Tragen, "Münte" hat nie irgendwelche konkreten Dinge erwähnt, sondern nur Floskeln des "echten" Herrn Müntefering benutzt.
Man könnte jetzt Frau Ypsilanti vorwerfen, daß sie das hätte bemerken müssen, oder besser noch der Vorzimmerdame, aber auch das ist unfair. Der Anrufer hat einfach einen Vorteil gegenüber dem Angerufenen, vor allem, wenn beim Angerufenen eh alles drunter und drüber geht. Wäre die politische Lage in der SPD jetzt ruhig, wenn für sie nicht so viel auf dem Spiel stünde, wäre es möglicherweise sogar viel früher aufgefallen. Das kann auch der Anrufer nicht wissen, aber genau deshalb mag ich das gesamte Konzept dieser Telefonscherze nicht: sie beruhen auf Zufällen, Unwissenheit und (aus meiner Sicht unfairen) Vorteilen des Anrufers gegenüber dem Angerufenen.
Ich will mit Sicherheit nicht das Vorgehen der SPD schönreden, Frau Ypsilanti in Schutz nehmen oder was auch immer - ich möchte wie immer nur aufzeigen, warum es u.U. Sinn macht, ein wenig weiter zu denken, als nur diesen vermeintlich harmlosen Streich in eine Schublade zu stecken und weiterzumachen, wie bisher. Unterhaltung, ja, bitte. Aber bitte mit etwas mehr Gehirnschmalz als auf auf dem Niveau von Vorschulkindern. Bemerkenswerter Satz aus einem "Marie aus Paris"-Spot, den ich neulich über mich ergehen lassen mußte: "Welcher Radiosender ist das jetzt hier?" Der Drops ist gelutscht, witzig ist was anderes.
LG
McCavity