Musikforum: vielleicht wird da endlich mal Musik als
Inhalt und nicht nur als
Klangfarbe thematisiert. Habe übrigens gestern in der Welt einen interessanten Artikel über die semantische Bedeutung von Musik gefunden.
JUBELJIPPIEHERUMHÜPFWASSERAUFMEINEMÜHLENENDLICHWISSENSCHAFTLICHERWIESEN
Gilt übrigens nicht nur für "Klassik". Habe aber noch keine Ahnung, was mir eine Kadenz (vulgo: Blues-Schema) mitteilen soll.
Bitte um Aufklärung durch die Experten.
Gruß postit
Wenn ein Cancan von aufgeregten Frauen erzählt
Musik weckt nicht nur Gefühle: Leipziger Forscher erbringen wissenschaftlichen Nachweis für eine kommunikative Bedeutung
von Sonja Kastilan
Leipzig - Eine Injektion direkt ins Herz rettete den kranken Komponisten Arnold Schönberg (1874-1951) im August 1946 vor dem Tod. In den Wochen danach komponierte er das Streichterzett Op. 45, zu dem er später anmerkte, es trage autobiographische Züge. Lebensrettenden Spritzen und die Nächstenliebe seiner Krankenpfleger seien in der Partitur wieder zu finden. Auch die stechenden Schmerzen während des Herzanfalls?
Der Begriff "Nadel" passt für musikalische Laien, die weder das Werk noch den Hintergrund kennen, zu Schönbergs Komposition. Viel besser jedenfalls als "Fluss" oder drei andere Wörter, die in einem Verhaltenstest außerdem zur Wahl standen. Die befragten Leipziger Studenten hatten das Stück noch nie zuvor gehört. Auch nicht den V. Cancan von Ottorini Ripighi, den sie eher mit Frauen als mit Männern in Verbindung brachten.
"Der Cancan hat etwas von aufgeregt schnatternden Frauen", erklärt Stefan Koelsch die Wahl dieses Musiktitels als Hörbeispiel für das weibliche Geschlecht. In mehreren Versuchsreihen untersuchten Koelsch und seine Kollegen am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften den Zusammenhang von Musik, Sprache und Inhalt. Sie spielten Versuchspersonen unter anderem verschiedene Sätze oder Musikstücke vor, die anschließend ein "Zielwort" zu sehen bekamen und als passend oder unpassend bewerten sollten. Über 45 Elektroden wurden per EEG dabei die jeweiligen Gehirnaktivitäten bestimmt. Von "Andacht", über "Gift", "Held" und "Seufzer" bis hin zum "Übermut" wurden so 44 Begriffe in zehn Sekunden musikalisch - oder sprachlich - vorgestellt.
Jetzt berichten die Leipziger Hirnforscher in einer Veröffentlichung der Fachzeitschrift "Nature Neuroscience", dass Musik nicht nur Gefühle wecken, sondern nachweislich eine Bedeutung vermitteln kann, wie es bisher nur von Sprache bekannt war. Musik ist Kommunikation. Den entscheidenden Hinweis dafür liefert "N400". Dieser Faktor des so genannten Event-bezogenen Gehirnpotenzials (ERP) wird gemessen, wenn ein Begriff nicht zum vorherigen Satz passt. Wie zum Beispiel die "Nadel" zum Boot, das auf einem See treibt, während "Fluss" passen würde. N400 gilt als typisches Signal in der Sprachverarbeitung von einem Begriff und seiner Bedeutung. Nun konnten die Hirnforscher zeigen, dass das menschliche Gehirn auch auf Musik mit N400 antwortet. Der gemessene Wert, welcher der semantischen Bedeutung entspricht, war ähnlich hoch im sprachlichen wie im musikalischen Begriffstest. Und es waren jeweils die gleichen Gehirnregionen beteiligt an dem Signal, dass rund 400 Millisekunden nach dem gezeigten "unpassenden" Begriff seinen Höhepunkt erreicht.
"Diese Ergebnisse waren unabhängig davon, ob unsere Versuchspersonen emotional reagierten", sagt Koelsch. Für den Wissenschaftler ist die facettenreiche Musik das beste Modell, um das Gehirn und seine Funktionen zu erforschen. Er vermutet, dass Musik - mehr noch als Sprache - ganz basale Verarbeitungsprozesse anspricht: "Das menschliche Gehirn ist für Musik gemacht." Zwar dient der Beweis einer semantischen Bedeutung von Musik vor allem der Grundlagenforschung. Doch die Ergebnisse könnten auch in der Therapie zur Anwendung kommen, vermutet Koelsch, manche Schlaganfall-Patienten seien nicht mit Worten, aber durch Musik ansprechbar.
Die Forscher wollen nun klären, welche kulturellen Unterschiede es im Musikverständnis gibt und welche physikalischen Faktoren, wie Tonhöhen und Tempo, das semantische Konzept vermitteln. "Filmmusik gelingt es zum Beispiel meist gut, eine Geschichte zu erzählen", so Koelsch.
Artikel erschienen am 24. Feb 2004
Die Welt