AW: Plädoyer für ein deutsches Talkradio?
In den USA sind die News/Talk-Formate wahnsinnig erfolgreich, besonders auf Mittelwelle kann man überall mindestens fünf von denen hören. Allerdings würde speziell dieses Format in Deutschland m.E. nicht funktionieren, weil die News/Talk-Stationen von der polarisierten politischen Lage profitieren und selbst zu dieser Beitragen.
Was allerdings in Deutschland aufgebaut werden könnte, waren längere Wortstrecken innerhalb von populären Programmen. Inwiefern reine oder fast reine
Das deutsche Problem ist ein selbstverursachtes und sich selbst verstärkendes, und der Grund, warum es Talkradio in Deutschland so schwer hat, ist im Grunde der gleiche, warum es intelligentes Musikradio so schwer hat.
1. Haben die Privatsender im Schleptau mit den meisten öffentlich-rechtlichen Programmen den Deutschen die Vorstellung, dass populäres Radio auch intelligent gemacht werden könnte, ausgetrieben. Aus Sicht eines naiven Beobachters scheint es nur dumpfe Musiksender (Schlager, AC, CHR, Rap) auf der einen Seite und E-Sender (Nachrichten, Klassik, Wort) auf der anderen zu geben. Wenn man heute auf einer Party Leute kennenlernt und später am Abend auf die Frage, was für Musik man höre, antwortet, man höre gerne Radio, kommt fast immer ein "Ich-hätte-Dich-eigentlich-für-intelligent-gehalten"-Blick zurück. Will sagen: Die Zielgruppe, die in anderen Ländern Europe 1, Cadena SER, BBC Radio 1,2,4 oder 5 oder P3 hört und diesen Programmen Topquoten bereitet, ist in Deutschland angesichts der Dummfunkerei auf allen Kanälen gegenwärtig für das Medieum Radio überhaupt verloren, und müsste erst mal für das Medium Radio und das, was es leisten könnte, wieder gewonnen werden.
2. Der deutsche Privatradiomarkt ist viel zu wenig auf Wettbewerb ausgerichtet. Die Einflüsterer vom Verlegerfunk haben die Landesrundfunkanstalten erfolgreich "überzeugt", den Wettbewerb im Privatradiomarkt streng zu begrenzen, um den Verlegerhitradios genug finanziellen Spielraum zu lassen. Vorgeblich sollte damit die Qualität gesichert werden, tatsächlich werden damit Innovationen behindert und Gewinne abgeschöpft. Zwei Privatradios ohne Konkurrenz und Anspruch in einem Acht-Millionen-Bundesland wie Niedersachsen sind ein Witz, und zwar ein extrem schlechter.
3. Die öffentlich-rechtlichen suchen ihre Legitimation im dualen Rundfunksystem in der Quote, und da die beim Radio in der MA gemessen wird, optimiert man die Programme - wie es die Privaten machen - auf die MA, und verwendet dafür die gleichen Strategien und Berater wie die Privaten. Mit dem Ergebnis, das man klingt wie die Privaten.
4. Gut gemachtes Radio kostet Geld. Einen neuen Sender aufzubauen kostet Geld. Etwas zu wagen, was es noch nicht gibt, und von dem man nicht weiß, wie groß die Zielgruppe ist (und ob es sie überhaupt gibt), ist ein unternehmerisches Risiko. Unter diesen Umständen als Radiomacher Gelder bei privaten Investoren einzusammeln oder als öffentlich-rechtliche Führungspersönlichkeit die Geschäftsführung und den Rundfunkrat von Investitionen in diesem Bereich zu überzeugen, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit.
5.
Fähnchen mit dem Hitradio-Senderlogo drauf sind einfach günstiger.
Aber wenn man es versuchen möchte, dann muss man es jetzt versuchen. Dank DAB+ werden gerade viele Sendekapazitäten neu ausgeschrieben. Eine solche Chance wird es so schnell nicht wieder geben. Auf geht's! Den Mutigen gehört die Welt.