AW: Programmreform bei NDR 90,3!?
Ja!! Man könnte mal einen Test machen und die Jahrzehnte durchgehen.
In den 60ern anfangen, einen beliebigen englischen Popsong aus den (amerikanischen) Top 10 nehmen, danach einen deutschen Schlager auflegen aus den deutschen Top 10.
Die Musik wird sich ähneln, gut, man muss vielleicht bei dem deutschen Titel ein paar Jahre vorwärts gehen, also US 1962 mit D 1967 vergleichen. Im Prinzip machten aber die Schlagerinterpreten dieselbe Musik, da gab es Beat, da gab es Twist und Rocknroll, da gab es sogar Soul, da gab es Folk, Country, Blues übrigens auch, wenn auch etwas seltener. In den 70ern funktioniert das auch noch: Funk, Disco, Rock...alle Sparten, die gerade aktuell sind, sind da. Es kamen dann aber schon die ersten absoluten Schnulzen auf bzw. ein Stil, der eigentlich seinen Ursprung in den Niederlanden hat, der sog. "Palingsound", Bands wie BZN, The Cats, Pussycat, George Baker Selection. Den kopierte man recht schnell mit deutschen Texten, und das schlug bei einer gewissen Zielgruppe ein. Es war aber noch hip, auch beim jüngeren Publikum.
Der große Scheidepunkt war dann Anfang der 80er erreicht. Es fand ein kleiner Umsturz in der Musik statt. Disco war out, Rock war out, der Synthesizer kam auf, Einflüsse aus der Punkwelle von 1977 verschmolzen mit poppigen Arrangements, der New Wave war geboren, in Deutschland analog dazu die "Neue Deutsche Welle" (ich meine damit zunächst "echte" NDW Bands wie Ideal, was heute immer auf NDW-Samplern drauf ist, ist grossteils eigentlich eher Deutsch-Pop). Nach dem Abflauen des NDW, so ab 1984/85 sah es dann plötzlich ganz düster aus in der deutschen Musikszene. Entweder wurde auf englisch gesungen, oder es waren eben die nach 0815-Schema arrangierten Tralala-Schlager mit den Themen Sonne, Strand und Amor. Bestes Beispiel, wurde ja schon genannt, die Flippers. Von etwa zwei Hand voll Produzenten wurde da Massenramsch auf den Markt geworfen. Heute hiessen die Flippers dann Fernando Express, morgen waren sie auf eine Frau geschrumpft, die Kristina Bach heisst. Das ganze hat mit aktueller Musik absolut nichts mehr zu tun, da wurde immer nur der gleiche alte Knochen hundertmal neu ausgekocht, bis alles geschmacksneutral war. Dann kam die Verschmelzung der volkstümlichen Musik mit dem Schlager, Ende der 80er, Anfang der 90er (Napalm Duo etc.) In den 90ern gab es dann ein kleines Schlager-Revival mit Wirtschaftswunder, Dieter Thomas Kuhn und Guildo Horn, das von hohem Spaßfaktor geprägt war. Auf diesen Parties liefen eben die Schlager der 50er, 60er und 70er-Jahre. Hätte da einer G.G. Anderson aufgelegt, man hätte ihn vermutlich gesteinigt. Deutscher Schlager findet seither fast nur noch, zumindest bei der Gruppe U60, in der Après-Ski-Hütte und bei der Ballermann-Party statt, über Qualität brauchen wir da dann letztendlich nicht mehr zu sprechen!
Mittlerweile gibt es wieder eine feine deutsche Musikszene abseits des Schlagers, der Schlager an sich ist für mich aber mausetot, er wird mit der jetzigen Stammhörerschaft der "4er-Wellen" aussterben. Nur die Schlager der 50er-70er, die wird man immer wieder mal irgendwo hören, weil sie eben unsterblich waren, sie waren Musik auf der Höhe der Zeit, sind also ein Zeitzeuge und damit "Evergreen". Bei den Programmreformen reagiert man halt dementsprechend. Entweder es geht so radikal wie bei Bayern 1, Welle Nord und R. Thüringen, die Schlager werden auf 20-30% und absolute Kulthits reduziert oder etwas sanfter wie bei SWR4, wo der Anteil aktueller Produktionen übrigens auch etwas runtergefahren wurde, ersetzt durch die alten Schlager und ein paar internationale Titel.