AW: Radio: das unbekannte Massenmedium?
Gerade kommerzielle Sender sind nicht gerade bekannt dafür, dass sie wen auch immer an Musik heranführen. Die Hitradios heißen deswegen Hitradios, weil sie das spielen, was längst Hit ist.
Irgendwer muss die Hits doch gemacht haben - und wer soll das gewesen sein, wenn nicht das Radio? Die Industrie liefert und der Sender spielt, so war es im Prinzip schon immer, aber früher hatten die Sender in Europa noch eine größere Auswahl. In Amerika ist der Vorrat an
qualitativ hochwertiger neuer Musik auch heute noch groß, weil die Amerikaner ein viel leidenschaftlicheres Verhältnis zur Musik haben und die Nachwuchsförderung vorbildlich ist. Dennoch entscheiden sich die großen Radiogesellschaften aufgrund ihrer intimen Verflechtung mit der Musikindustrie bei der Musikauswahl nahezu immer für die "präparierten Hits", also Titel, die per Permanentrotation zu Hits gemacht werden sollen.
In den USA gibt es für begabte Nachwuchsinterpreten dank zahlreicher Subformate bei einer Gesamtzahl von rund 7000 FM-Stationen immer noch genügend Möglichkeiten innerhalb eines regionalen Marktes oder Spezialformates mit "Minor Hits" zum Star zu werden und ausreichend Radiopräsenz zu erhaschen. In Deutschland wird außer bei einer Handvoll Schlagerwellen fast nur noch Importware gespielt. Was in deutschen Contemporary-Hit-Dudlern rotiert, entscheiden die Europa-Abteilungen der Plattenkonzerne.
Das innige Verhältnis zwischen Musikindustrie und Radio ist spätestens seit den
Payola-Skandalen der 50er Jahre bekannt und dürfte durch die heute wenig innovationsfreudige Musikprogrammierung
eher abgekühlt sein.
Siehe oben
Das dürfte so ca. bis 1955 richtig gewesen sein. Danach belegbar nicht mehr.
Wo sind denn die Belege?
Ich kenne Aussagen aus der Musikindustrie, die diesen Zustand bereits in den 80er Jahren beklagt haben. Wenn die Industrie relativ konstant mit ca. 90% ihrer Produkte daneben liegt, belegt das eher die Unfähigkeit, den Massengeschmack richtig einzuschätzen oder zu steuern. Das gilt fast genau so für alle Kulturindustrien, ob Kino oder TV.
Früher wurde Musik produziert und der Markt (DJs und Käufer) entschieden über den Erfolg der Singles und Alben, heute entscheidet die Sendeleitung was gespielt wird ("formatverträglich" ist). Heutzutage werden Hitsingles auf dem Reißbrett designt und der Erfolg ist damit praktisch garantiert. Nicht alles wandert in die oberen Bereiche der Charts, aber die Preselection verfängt immer. Wer zum Star aufgebaut wird entscheiden die Plattenmanager, die überall auf der Welt ihre Agenten ausschicken. In den 90ern agierten die Radiostationen noch wesentlich freier als heute, aber das Ausfallrisiko hat sich durch die innige Kooperation der letzten Jahre nahezu auf null reduziert (Beispiel USA).
Bis in die 80er Jahre hinein galt, dass alle, die älter als 25 waren, für den Musikmarkt überhaupt nicht mehr ins Gewicht fielen. Das hat sich mittlerweile geändert: Die Erwachsenen hören (und kaufen) jetzt bevorzugt die Musik ihrer Jugend. Deswegen der eigentlich komische Spagat der Musiksender mit den Hits der 80er und denen von heute. Was das mit differenziertem Musikgeschmack oder Anspruch zu tun hat, erschließt sich mir offen gesagt nicht.
Kaufen, was sie eh schon im Schrank stehen haben? Oder meinst du, sie kaufen auf CD, was sie früher auf Vinyl erstanden haben? Dazu hatten sie bis heute 25 Jahre Zeit... Und wozu werden überhaupt noch neue Künstler aufgebaut, wenn eh jeder Erwachsene immer nur das hört, was er in seiner Jugend bereits gut fand (Retro-Wellen gibt es ja genug - SWR1, Bayern 1, 88,8, aber kaum Sender, die erwachsenen Mainstream spielen)? Ach ja, weil im Radio nur die Hits von früher laufen und keiner mehr was neues kennen lernt. Den Kiddie-Kram der CHRs will ja kein gereifter Mensch mehr haben...