AW: RBB will Radio Multikulti einstellen
Einen vernünftigen Artikel zum Thema gibt es heute in der
Berliner Zeitung. Auch deine Frage wird darin beantwortet, teasemachine.
Am Ende der Skala
Der Radiosender Multikulti wurde vor vierzehn Jahren als Integrationsprogramm gegründet - jetzt wird er selber integriert
Wiebke Hollersen
BERLIN. Ein heißer, enger Raum, um ein Vierreck aus Tischen sitzen ein Dutzend Leute, andere stehen. Fenster und Tür sind geschlossen. Das Haus des Rundfunks in der Berliner Masurenallee ist ein beeindruckender, historischer Bau, mit der strengen Fassade, dem Lichthof, dem Paternoster. Eine Klimaanlage hat es leider nicht.
An einer Wand hängt ein Kalender, in dem mit verschiedenen Farben die Feiertage aller möglichen Religionen markiert sind. Die Leute, die um die Tische sitzen, arbeiten für Radio Multikulti. Sie planen das Programm der Woche.
Was habt ihr? Die Frage wird reihum gestellt. Die Polen haben einen Integrationskurs für Polen. Die Russen den Besuch des russischen Präsidenten Medwedew in Berlin und ein russisch-orthodoxes Kloster in Brandenburg. Die Most-Redaktion, die in den Sprachen des ehemaligen Jugoslawien sendet, hat einen nationalistischen kroatischen Sänger und die Regierungsbildung in Serbien im Angebot. Im Vormittagsprogramm wird der kolumbianische Sänger Juanes zu Gast sein, was die Frauen am Tisch freut.
Bei den Türken soll es unter anderem um den Tod des Designers Yves Saint Laurent gehen. Dessen Mode werde in der Türkei geliebt, sagt die Redakteurin. Und kopiert!, ruft jemand. Alle am Tisch lachen.
Wer erwartet, dass es bei Radio Multikulti besonders exotisch zugeht, wird enttäuscht. Die Männer und Frauen an den Tischen sind zwischen Mitte dreißig und Mitte fünfzig, einige sprechen mit Akzent, alle sind bestens zu verstehen. Man kann sie sich alle bei anderen Radiosendern vorstellen. Das zeigt, was der Sender bewirkt hat, aber das ist auch Teil des Problems.
Radio Multikulti soll am Jahresende abgeschaltet werden, weil der Rundfunk Berlin Brandenburg, RBB, sparen muss. Vor zwei Wochen hat der RBB diese Entscheidung bekannt gegeben. Seitdem interessieren sich ziemlich viele Berliner für Multikulti. Es gibt Fans, die den Sender seit Langem hören, und die sauer sind. Sie schreiben lange Unterstützer-Mails an den Sender. Es gibt jetzt aber auch Fans, die den Sender so gut wie nie hören, aber trotzdem wollen, dass er bleibt.
Banu Baturay ist die Redakteurin, die auf der Konferenz den türkischen Beitrag über Yves Saint Laurent vorgestellt hat. Sie ist 39 Jahre alt, eine große, selbstbewusste Frau mit langen dunklen Haaren. Sie ist in Istanbul aufgewachsen und 1992 nach Berlin gekommen. Sie wollte Deutsch lernen und studieren. Bald fing sie an zu arbeiten, für den türkischen Sender TRT und bei der Deutschen Welle. Seit sechs Jahren ist sie Redakteurin für das deutsche und das türkische Programm bei Multikulti.
In ihrem Büro läuft der Nachrichtensender n-tv ohne Ton, sie holt Orangensaft aus dem Kühlschrank. Die türkische Redaktion in der Masurenallee gibt es seit 34 Jahren. Damals machten sie beim SFB eine Gastarbeitersendung, sagt Banu Baturay. Sie klingt, als könne sie kaum glauben, dass das so hieß. Sie ruft die Sekretärin im Nebenzimmer an. Wie lange durften die Kollegen damals senden? Erst zehn, dann fünfzehn, dann dreißig Minuten am Tag. Seit der Gründung von Radio Multikulti eine Stunde.
Am 18. September 1994, um 19.45 Uhr, drückte Eberhard Diepgen im Haus der Kulturen der Welt auf einen großen roten Knopf. Der CDU-Bürgermeister schaltete Radio Multikulti an. Es gab arabisches Kichererbsenmus und brasilianischen Zitronenkuchen, berichtete eine Nachrichtenagentur, dazu Musik aus Afrika, "so schön kann Multikulturelles sein".
In den Berichten über die Gründung von Radio Multikulti ist oft von einem Ausländerprogramm die Rede. Wenn man das heute liest, klingt es kaum besser als Gastarbeitersendung. Heute steht auf der Webseite von Multikulti bei "Wir über uns" etwas über Migranten, Integration und die moderne Einwanderungsgesellschaft.
Ein multikultureller Sender, das war eine Forderung der Grünen in Berlin. Anfang 1993 wurde sie im Rundfunkrat des SFB diskutiert. Ein paar Monate später setzten Rechtsextreme das Haus einer türkischen Familie in Solingen in Brand. Fünf Menschen starben. Es hatte vorher ähnliche Anschläge in Hoyerswerda, Rostock und Mölln gegeben. Nach dem Brand von Solingen fanden viele die Idee von einem Multikulti-Sender gut. Im Herbst 1993 beschloss der Rundfunkrat einstimmig, es zu probieren.
Der Sender war von Anfang an ein Symbol. Gut gemeint und schlecht ausgestattet. Das war von Anfang an ein Problem.
Ein Programmversuch für zunächst drei Jahre wurde beschlossen, Geld gab es erstmal nur für anderthalb Jahre. 6,5 Millionen Mark von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Der SFB zahlte weiter für die Gastarbeiter-Redaktionen.
Die deutschsprachige Redaktion bekam ein paar Container neben dem Haus der Kulturen der Welt, der Sender den Slogan "Die ganze Welt am Ende der Skala" und die entsprechende, nur mit gutem Willen zu findende Frequenz. 106,8. Die Sendeanlage war so schwach, das man Multikulti in Kreuzberg oder Wedding zuerst kaum hören konnte. 400 000 Flyer wurden in Berlin verteilt. Der Hörfunkdirektor hoffte, dass später mal andere ARD-Anstalten Geld dazugeben würden.
Radio Multikulti sendet tagsüber deutsch und nachmittags ab fünf in anderen Sprachen. So ist das von Anfang an. Viele Moderatoren im deutschen Programm sprechen mit Akzent, sie sagen oft "Hola, hola" oder "Bonjour" zu ihren Hörern. Man kann das charmant finden. Oder bemüht. So wie die Musikauswahl am Tag. Multikulti sei kein Dudelfunk, sagen Fans.
Multikulti spielt tagsüber Popmusik, leichte, eingängige Titel, gern Hits. Nur eben aus vielen Ländern. Wenn man ein paar Tage die Frühstückssendung verfolgt, hört man sicher Buena Vista Social Club. Die Senioren-Band aus Kuba, die Ende der Neunzigerjahre durch den Film von Wim Wenders berühmt wurde. Und Amy Winehouse. Popmusik aus England und den USA läuft bei Multikulti eigentlich nicht. Die Britin fällt unter eine Ausnahmeregelung.
In den ersten Jahren bekam Multikulti Preise, Radiomacher aus ganz Europa besichtigten die Redaktion, sie war ein Vorzeigeprojekt. 1998 ging in Köln Funkhaus Europa auf Sendung, ein Programm des Westdeutschen Rundfunks, WDR, nach dem Vorbild von Multikulti.
Trotzdem war immer wieder die Existenz des Senders bedroht, aber dann bekam er 2003 eine neue Chefredakteurin und ein Jahr später eine neue Frequenz, 96,3. Leider bekam er keinen neuen Namen.
Multikulti, das klang 1993 nach einer Utopie. 2003 klang es nach einer gescheiterten Utopie. Wenn man mit Leuten spricht, die bei Multikulti arbeiten, sagen fast alle, dass sie den Namen ihres Senders nicht leiden können.
Funkhaus Europa, das klingt zeitloser. Die Kopie ist dem Original zum Verhängnis geworden. "Multikulti ist das einzige Programm, das wir ersetzen können, durch Funkhaus Europa, ein gutes, öffentlich-rechtliches Programm mit dem gleichen Konzept." Das sagt Dagmar Reim, die Intendantin des RBB, wenn sie gefragt wird, warum sie entschieden hat, ausgerechnet Multikulti einzustellen.
Ihr Büro liegt im Neubau neben dem Haus des Rundfunks, ganz oben in der 13. Etage. Es ist ein großes Zimmer, mit Fenstern an beiden Seiten, hellem Teppichboden und zeitgenössischer Kunst.
Die Intendantin wirkt müde. Sie muss sich zurzeit ständig rechtfertigen. Der RBB wird in den kommenden vier Jahren 54 Millionen Euro weniger von der Gebühreneinzugszentrale, der GEZ, bekommen als in den vergangenen vier Jahren. Weil in Berlin und Brandenburg inzwischen 14 Prozent der Radiohörer und Fernsehzuschauer von der Zahlung der Gebühren befreit sind. Weil viele Leute hier erst gar keine Radios und Fernseher anmelden. Weil Gebührenzahler wegziehen. Der RBB ist eine arme Sendeanstalt mit sieben Radiostationen. Der Bayrische Rundfunk hat fünf, der WDR sechs.
Sie sei wie eine Mutter mit sieben Kindern, sagt die Intendantin. Das Bild ist unglücklich gewählt, denn jetzt hat sie sich entschieden, ein Kind loszuwerden. Sie sagt auch: "Wir haben Radio Multikulti nicht gegründet, das war ein Geschenk der Politik." Sie könne nur schätzen, wie viel die Schließung des Radiosenders bringen wird: ungefähr 4,5 Millionen Euro im Jahr.
Multikulti ist der kleinste Sender des RBB, und der mit den wenigsten Hörern. Bei der letzten Media-Analyse gaben 0,8 Prozent der Befragten an, ihn regelmäßig einzuschalten. Bei der Untersuchung dürfen keineswegs nur Deutsche mitmachen, wie jetzt oft behauptet wird. Sondern jeder, der zufällig angerufen wird und die Fragen versteht.
Dagmar Reim, sagt, sie habe damit gerechnet, angegriffen zu werden für die Senderschließung. "Aber dass ich in 24 Stunden zum Ausländerfeind wurde, hat mich gekränkt." Cem Özdemir von den Grünen sagte, der RBB sei wohl davon ausgegangen, "dass die Kanaken sich nicht wehren können". Özdemirs Eltern stammen aus der Türkei, seine Frau ist Argentinierin - und moderiert bei Multikulti.
Der Sender hat 28 fest angestellte Mitarbeiter, nur sie sollen neue Jobs im RBB bekommen. Acht dieser Mitarbeiter stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, Russland, Polen, Dänemark, der Türkei.
Banu Baturay gehört dazu. Auf ihrem Schreibtisch liegen Einladungen zu Integrationskongressen und Podiumsdiskussionen, am Telefon fragt sie ein Kollege von einem großen Fernsehsender nach Kontakten zu prominenten Deutsch-Türken.
Wäre es nicht besser, wenn Leute wie sie in allen Medien arbeiten würden? "Glauben Sie, dass ein deutscher Sender das akzeptieren würde, eine Journalistin, die mit Akzent spricht?", fragt sie zurück.
Viele bei Radio Multikulti sagen auch, dass es das Ziel des Senders war, irgendwann überflüssig zu werden. Wenn Deutschland keine Gastarbeiter-, Ausländer- oder Migrantenprogramme mehr braucht. Wenn Journalisten wie Banu Baturay überall arbeiten können.
Bei "Deutschland sucht den Superstar" war zuletzt unter den zehn Finalisten nur einer ohne Migrationshintergrund. Es gibt inzwischen deutsch-türkische Fernsehkommissare, eine Nachrichtensprecherin mit Eltern aus dem Irak.
Radio Multikulti wird eingestellt. Aber die Mitarbeiter sind noch da. Das ist eine Chance für den RBB.