Es ist doch klar zu beobachten, dass um die Jahrtausendwende eine Zäsur in der Musik stattgefunden hat. Seit dieser Zeit wird fast ausschließlich unmelodisches, zusammengesampltes und zu Tode optimiertes Zeug veröffentlicht, das kurzzeitig sehr erfolgreich ist, danach aber in der Versenkung verschwindet.
Ich kann da keine Zäsur erkennen, wenn ich ehrlich bin. Strömungen, die Titel oder Tänze oder Stilelemente von enorm kurzer Halbwertzeit ans Tageslicht trugen, kann man auch schon früher im 20. Jahrhundert entdecken, One-Hit-Wonder ebenfalls ... und wenn ich mir die Alben durchsehe, die ich 2000 gekauft habe, dann kann ich da auch nicht unbedingt sagen, daß bei der Musik der betroffenen Interpreten wirklich eine "Zäsur" zu spüren war.
Kennt heute auch nur eine Person noch etwas, was beispielsweise 2018 auf Platz 1 der Charts war?
Bestimmt, aber um ehrlich zu sein habe ich mich vor Jahr und Tag von den Charts sehr viel entschlossener verabschiedet als vom Radiokonsum. Und wenn ich mir ansehe, mit wie wenig verkauften Einheiten man heutzutage einen Platz in den Top 100 erzielen kann, würde ich behaupten, daß ich damit nicht unbedingt alleine bin. Und ich halte die Musikwelt für so viel bunter und an anderen Stellen für interessanter als einen Index für aktuelle Massentauglichkeit, und so viel mehr sind die Charts von ihrem Denkansatz her ja auch nicht.
Die Nummer-1-Hits der 70er und 80er hingegen kennt fast jeder.
Ich finde es interessant, heutzutage auf youtube & Co. einige Reaction-Videos zu exakt solchen Musiktiteln zu finden, die Du als musikalischen Standard anzusehen scheinst. Wenn da erwachsene Menschen sitzen und dann verkünden "Ich reagiere heute auf Elvis Presley 'In The Ghetto' - nie vorher von dem Lied gehört ..." oder auf Simon & Garfunkel "Bridge Over Troubled Water", A-Ha "Take On Me", The Cranberries "Zombie" oder meinetwegen auch auf Johnny Cashs Version von "Hurt" - den Hype hat ja keiner mitbekommen, der jüngst volljährig geworden ist und Cash ist auch schon 2003 in die Kiste gestiegen -, dann glaube ich nicht wirklich an diesen Standard.
Radio bietet schon geraume Zeit keine Inhalte mehr, und wer sich heute informieren möchte, egal, ob über das Weltgeschehen, oder auch über das, was in der Region passiert, der schaut ins Netz. Da gibt's die Infos, ohne Werbung, ohne aufgesetzte Fröhlichkeit, und man kann die Z-Promi-Meldungen wunderbar überspringen.
Features, Dokumentationen, Hörspiele, Interviews, Talkrunden anyone?
Auch mal Albenvorstellungen mit gern auch kommentierten, aussagekräftigen Klangbeispielen anstelle von blechernen Hörproben des Titels zwischen 0:30 und 1:00?
Wenn Radio überhaupt noch wen erreichen will, dann müßte es sich auf 50+ fokussieren, alle jüngeren Jahrgänge sind verbrannt, sind längst zu Spotify & Co. übergelaufen, und kommen auch nicht wieder (oder wenn, dann müßte man soviel Aufwand treiben, dass es sich nicht rechnet).
Gut, ich nutze trotz mehrerer wirklich bemühter Anläufe Spotify nicht, insofern weiß ich nicht, wie unterhaltsam es dort ist. Ich find's reizvoller, wenn auf der Seite, wo die Musik sitzt, keine Statistik mitläuft und bestimmt, was als nächstes kommt, sondern jemand, der um meine Gunst bemüht ist. Und umgekehrt betrachte ich das Webradio für mich als Möglichkeit, etwas zu vermitteln oder beim Hörer für Aha-Effekte oder für Überraschungen zu sorgen. Am 1. April hab' ich das hier ins Programm geholt - und die Quoten blieben, was ich so gehört habe, während dieser Zeit stabil, weshalb ich mich irgendwie etwas bestätigt fühle.
Spotify hätte sich so was nicht getraut, da bin ich sicher ...
Gruß
Skywise