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Spiegel der Gesellschaft: Populäre Musik wird immer simpler und zorniger

Zwerg#8

Benutzer
In einer Studie wurden tausende Liedtexte der letzten fünf Jahrzehnte ausgewertet. Im Prinzip wird bestätigt, was hier auch schon oft geschrieben wurde: Die Zunahme der "Deprimugge", dann einfachere Texte mit vielen Wortwiederholungen und mehr Refrain, damit Lieder auch beim Nebenbeihören (im Radio) besser im Gedächtnis bleiben.


Komplette Studie (eng.)
 
Die Untersuchung bezieht sich auf englischsprachige Titel. Hätte man deutsche Titel der letzten zwanzig Jahre auf gleiche Weise untersucht, man würde zu einem noch drastischeren Ergebnis kommen. Denn der internationale Befund: "Text-Elemente werden häufiger wiederholt, Refrains nehmen einen grösseren Raum ein, und das verwendete Vokabular ist einfacher geworden", wird in deutschsprachigen populären Texten noch getoppt. Gereimt wird auf Biegen und Brechen, dass es dem Germanisten die Zehnägel aufstellt. Mit philosophischen Betrachtungen auf Schülerzeitungsniveau und mit weinerlicher Nabelschau werden Tiefgang und Nachdenklichkeit simuliert, das Ganze zusammengebacken mit einer überschaubaren Auswahl der immer gleichen musikalischen Versatzstücke.
 
M. E. ist genau das Gegenteil der Fall: Die Musik wird eher anspruchsvoller; eben deshalb sind viele aktuellen Hits nicht mehr so einfach nach- und mitsingbar und werden deshalb auch nicht mehr zu Evergreens.

Was die Songtexte anbelangt, da gab es schon immer dämliche Songtexte, die aber dennoch zu Riesen-Hits wurden - z. B. so "geistreiche" Songtextzeilen wie: "Now I've found that the world is round, and of course it rains every day" oder auf Deutsch "Schwimmen lernt man im See, Schlitten fahren im Schnee, das Küssen lernt man nur im Land der Liebe allein, nachts im Mondenschein". Das war damals aber einfach egal, weil die Musik gut war.

Und was das Thema "Deprimucke" anbelangt, da ich es auch so, dass nur noch wenige "Gute-Laune-Hits" raus kommen. Da war der Eurodance der 1990er eine der letzten richtig großen Hochphasen. Schon in den 2000ern ging es damit bergab, auch wenn da teilweise immer noch neue gute Nummern wie "Dragostea Din Tei" oder "Waka Waka" erschienen, die heute echte Klassiker sind.
 
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Bei den Adjektiven "anspruchsvoller" und "schrottiger" landen wir wieder bei der leidigen Diskussion, was gute Musik sei. Diese Frage konnte seit Menschengedenken bisher nicht beantwortet werden, da es im Streit um die jeweiligen Voraussetzungen als solche von den Diskutanten jeweils nicht anerkannt werden. Lassen wir also diese für mich falsche Herangehensweise.

Interessant ist wirklich, die Eingangsbehauptung auf ihre Richtigkeit zu prüfen, ob sie denn tatsächlich ein Spiegel der Gesellschaft ist und damit zutrifft. Ich selbst komme bei der Betrachtung der heutigen Gesellschaft und den Neuveröffentlichungen von populärer Musik bei "zornig" - ich würde besser sagen: frustbezogen - schon eher zu diesem Schluss.
 
Gib mal ein paar Beispiele für diese kühne These.

So ist z. B. der deutsche ESC-Beitrag 2024 (Isaak - "Always On The Run") oder der aktuelle Hit von Dua Lipa "Houdini" von der Melodieführung her wesentlich komplizierter als z. B. "Hey Jude" oder "Puppet On A String" und deshalb nicht so eingängig, und werden deshalb in ein paar Jahrzehnten wohl nicht mehr als "Oldies" im Radio oder anderswo laufen.
Einige wenige Hits werden es aber IMHO schaffen. Der "Komet" wird wohl dazu zählen, ebenso wie z. B. "Die immer lacht" von Kerstin Ott, Leony "Remedy" oder The Weeknd "Blinding Lights". Das sind genau solche Titel, wie wir sie in den Charts brauchen.
 
@UKW 100
Dann meinst Du mit "anspruchsvoller" wohl eher "komplizierter" und "verkopfter"? Das könnte stimmen, nur ist das kein Kriterium für gute oder schlechte Musik, wie Du selbst mit den Beispielen "Hey Jude" und "Puppet on a string" sehr anschaulich belegst.
 
So ist z. B. der deutsche ESC-Beitrag 2024 (Isaak - "Always On The Run") oder der aktuelle Hit von Dua Lipa "Houdini" von der Melodieführung her wesentlich komplizierter als z. B. "Hey Jude" oder "Puppet On A String" und deshalb nicht so eingängig, und werden deshalb in ein paar Jahrzehnten wohl nicht mehr als "Oldies" im Radio oder anderswo laufen.
Findest du? Das würde ich ja nun gar nicht sagen. Houdini bleobt eigebtlich gut hängen und auch Always on the run hat man schnell wieder im Gedächtnis.
Da gibts weitaus schwierigere Musik.

Ist Eingängigkeit eigentlich irgendwo genau definiert?
 
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Also für meinen Zeitgeist gibt es auch in der heutigen Zeit noch gute Songs. Nicht nur "Houdini" und "Always On The Run". "Head Down" ist doch auch ein toller Song, der im Ohr bleibt, ebenfalls "Beat Of Your Heart" vom inzwischen sehr erfolgreichen Tino Piontek. Wie können diese Songs denn keine Hits werden? Die so reiche Taylor Swift ist ein weiteres Phänomen, und und und...
 
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Es gab zu allen Zeiten relativ anspruchsvolle und eher banale Musik inkl. Texten. Das Problem an der heutigen Zeit ist, dass es aus rein wirtschaftlichen Gründen nur noch um den größtmöglichen gemeinsamen Nenner geht, was sich natürlich vor allem in der sogenanten Mainstream-Musik deutlich niederschlägt, und erst recht im Multiplikator dieser Musik, den Medien. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Streamingdienste so erfolgreich sind. Auch in der deutschsprachigen Musik gab es immer solches und solches. Das eher anspruchsvolle findet nur weniger in der (gefühlten) Öffentlichkeit statt, weils halt "anecken" oder ein Abschaltgrund sein könnte.

 
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Ich könnt mir gut vorstellen, dass auch Songs wie Kaleo - Way Down We Go noch lange im Gedächtnis bleiben. Diese Art, gibts nicht mehr so oft und genannter Titel lief auch eben wieder bei den sächsischen Lokalradios, so wie vielen anderen Sendern.
Solche Musik sollte vielleicht wieder öfter gemacht werden, dass sich Leute auch 10 oder 20 Jahre danach noch daran erinnern.
Das eher anspruchsvolle findet nur weniger in der (gefühlten) Öffentlichkeit statt, weils halt "anecken" oder ein Abschaltgrund sein könnte.
Das ist das, was ich an unserer gesamten Gesellschaft schon sehr lange kritisiere, dass das
zu Abschaltgründen führt. Ich würde es wirklich gern mal erleben, dass genau das Mainstresm ist und zwar nicht in der Form schneller, kurzfristiger Erfolg sondern zeitlos, gehoben und erfolgreich. Ich finde genau das widerspricht sich leider noch zu sehr.

Oder man stelle sich mal vor, anspruchsvolle Klassik-Konzerte (alte, wie neue Musik) wären tief im Mainstream und würden von sehr vielen Menschen auch auf anspruchsvolle Art gehört werden. Das gleiche mit schwieriger Pop- oder elektronischer Musik.
Was müsste sich in der Gesellschaft insgesamt ändern, damit es zu so einem Trend kommen könnte?
 
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Musik entwickelt sich weiter und auch die 2000er, 2010er und 2020er haben gute Knaller, die alle jahrzehntelang auf den meisten Sendern laufen, sowie bestimmte Songs, die nur noch von wenigen Sendern im Tagesprogramm (SAW, BCS und Ostseewelle u.a.) gespielt werden und man dann bald sagen kann, dass man sie "lange nicht mehr gehört" hat. Bei mir kommt das immer wieder vor. Aber es kann auch ein Problem des Alters sein, weswegen da viele ein Fass aufmachen.
 
Dieselben Radiomenschen, die im Innersten Ihrer Überzeugung gegen Mainstream sind, sind exakt diejenigen, die im Job dem Mainstream frönen. Sie dürfen nicht anders.
 
Genau deswegen eben meine Idee genau dieses System zu hinterfragen und auf langfristig von innen heraus aufzulösen und neu zu gestalten. So dass entsprechende andere Musik die Chance bekommt, populär zu werden und durch die Decke zu gehen. Entprechende Menschen müssten nur den Mut dazu haben, diese Veränderung zuzulassen.
 
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Oder man stelle sich mal vor, anspruchsvolle Klassik-Konzerte (alte, wie neue Musik) wären tief im Mainstream und würden von sehr vielen Menschen auch auf anspruchsvolle Art gehört werden. Das gleiche mit schwieriger Pop- oder elektronischer Musik.
Was müsste sich in der Gesellschaft insgesamt ändern, damit es zu so einem Trend kommen könnte?
Nun ja, Plattformen halt.
Leute mit bestimmten Dingen überhaupt erst mal konfrontieren und in ihnen mit Informationen und Hinweisen noch ein Türchen dazu aufmachen. Nein, ich will nicht sagen, daß es grundsätzlich einen Mangel an Informationen oder Hinweisen gäbe, ganz im Gegenteil. Aber wahrscheinlich an Informationen und Hinweisen, die einen nicht gleich erschlagen. Informationen sind heutzutage in erster Linie Holschuld, und natürlich hab' ich auch keinen Bock, mich für einen ersten Überblick durch halbe Doktorarbeiten nebst Anhang, Querverweisen und Danksagungen durchzuarbeiten. Für solche Recherchen fand ich früher - ich meine jetzt durchaus Internetzeitalter - auch einige Forendiskussionen recht charmant, aber ... wer nutzt heutzutage schon noch Foren. Oder noch schlimmer: deren Suchfunktion.
Noch ein wenig früher waren natürlich Freunde oder Plattenhändler (oder dort auch manchmal andere Kunden) hervorragende Quellen, die man melken konnte, um etwas über Musik grundsätzlich in Erfahrung zu bringen, oder um gemeinsam etwas zu entdecken. Mit "Plattenhändler" meine ich den Menschenschlag, dessen Kompetenz sich nicht darin erschöpfte, im Katalog nach einer Bestellmöglichkeit zu suchen. Die Älteren werden sich erinnern. Und dann gab's da ja auch noch so was wie Radio ...

Gruß
Skywise
 
Und dann gab's da ja auch noch so was wie Radio ...
welches ich immer noch genau dafür nutze, besonders seit es immer mehr Sender gibt. Man findet Musik, auf die wäre man im Leben nie gekommen, wenn es entsprechende Medien nicht geben würde (egal ob Pop, Klassik, Filmmusik, Electro, Techno Lounge, Jazz...). Für mich persönlich hat das daher immer noch einen sehr hohen Wert. Den sollte es nicht verspielen.
 
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