AW: UKW analog vs Internetradio
Hallo Wolfgang,
erstmal herzlich willkommen hier!
Nun der Reihe nach - und das ist wirklich nur meine ganz persönliche Meinung, da kann also gut und gerne Widerspruch kommen.
Seit geraumer Zeit treibt mich die Frage nach der beim Empfänger ankommenden Audioqualität auf den parallel betriebenen Übertragungswegen Analog (Äther, Kabel, ggf. noch Satellit) und Internet um. Dabei gehe ich jeweils von einwandfreier Übertragungsqualität aus bzw. der Nutzung sozusagen technisch 'optimaler' Hard- und Software, Bedingungen und Gerätschaften aus.
Daß viele Rundfunkveranstalter mit Absicht den Originalklang verhunzen (Dynamikkompression, Stereobasisverbreiterung, Zumischung von Pseudobass für nicht wirklich Tiefton-taugliche Abhörgeräte, Zumischung von künstlich generierten Oberwellen, um "crisper" zu klingen, ...), ist Dir bekannt? Suchworte im Netz: Optimod, Orban, Omnia. Dabei entstehen immer massive Kollateralschäden, Verzerrungen, Pumpen, spektrale Verfärbungen, Mono-Inkompatibilitäten usw.
UKW hat darüber hinaus noch die statische Preemphasis von 50 µs, also eine derbe Höhenanhebung von weit über 10 dB bei 15 kHz - die stammt aus der UKW-Gründerzeit und dient der simplen Rauschunterdrückung, da mit der spiegelbildlichen Deemphasis in jedem UKW-Empfänger eben auch das vor allem in höheren Tonlagen angesiedelte Rauschen mit abgesenkt wird. Dumm nur, daß heutige Musikproduktionen im Vergleich zu den 50er und 60er Jahren deutlich mehr Hochtonenergie aufweisen, und nach der Emphasis somit brutal den Sender übersteuern können. Entweder steuert man solches Material nun niedriger aus (keiner will Lautheit verschenken!) - oder man klopft die Höhen brutal breit mit einem Limiter. Genau letzteres wird meist getan. UKW ist somit nichtlinear und für heutiges Programm-Material kaum geeignet. Alles, was man versuchen kann, ist ein Kompromiß - und der kann immer noch sehr hochwertig sein, die analoge Schallplatte muß auch mit diesen Limitierungen auskommen.
"Äther" (Du meinst sicher UKW) ist kaum noch rein analog. Abspielen von CD oder meist von MPEG-datenreduzierten Sendesystemen (dort üblicherweise MPEG 1 Layer 2 ("MUSICAM", der alte Industriestandard, den auch die DCC verwendete und der auch auf digital-Satellit verwendet wird), Bitrate mindestens 256 kBit/s, eher 384 kBit/s im Sendesystem bei den ARD-Anstalten. Dann digitales Mischpult (fast immer der Fall) mit Abtastratenwandlern an jedem Eingang, um Probleme mit dem Haustakt zu umgehen und auch frei laufende Quellen und welche mit anderer Abtastrate (CD: 44.1 kHz, Studiotechnik: 48 kHz) an die 48 kHz des Pultes anzubinden. Diese Abtastratenwandler sind aber von exzellenter Qualität und bestenfalls meß- aber nicht hörbar. Anschließend das Soundprocessing, heute auch fast immer in digitalen Geräten, die dazu Spektralzerlegungen vornehmen und andere lustige Dinge machen.
Sendeleitung (Modulationsleitung) entweder lineares PCM (also "Wave") oder halt wieder datenreduziert nach MPEG, 384 kBit/s oder 256 kBit/s. Kann auch weniger sein, der DLF führt UKW z.B. mit 192 kBit/s Audiobitrate zu - und das hört man. Nimm mal den DLF auf UKW (Live-Sprache, also z.B. Nachrichten) auf und bilde die Kanaldifferenz (links minus rechts). Was Du da zwitschern und scheppern hörst, sind die MPEG-Artefakte der Senderzuführung. Das ist sehr unangenehm und zeigt, daß bei MUSICAM 192 kBit/s eigentlich schon untere Erträglichkeitsgrenze sind.
Da nutzt der schönste analoge UKW-Sender nichts mehr, er kann nur wiedergeben, was er bekommt - halt inklusive der MPEG-Artefakte.
Das gleiche bei analog-Satellit (analoge FM-Unterträger oberhalb des Bildsignals auf dem Sat-Transponder): der hat auch Preemphasis, dazu noch ein Kompandersystem ähnlich Dolby (Wegener Panda) zur Rauschminderung - hier sind Übersteuerungen und Pumpeffekte nicht vermeidbar. Und dann kommt z.B. der MDR und zweigt die analoge Version von Sputnik aus dem digitalen 192er Signal ab, das die Astra-Digital-Radio (ADR)-Variante speist. Auch hier: analog mit digitalen Artefakten, genau wie beim DLF auf UKW.
Kabel-UKW stammt entweder von terrestrischem UKW (wird einfach ohne es zu demodulieren auf andere Frequenz "umgemischt") oder aus analogem Sat-Signal (so "analog", wie dieses halt noch ist) - oder aus DVB bzw. ADR - und damit wieder MPEG-datenreduziert.
Internet ist meist WMA oder MP3, mir ist kein MUSICAM ("MP2")-Stream bekannt. MP3 ist feinfühliger und effizienter als der Industriestandard, schon 192 kBit/s reichen da qualitativ aus, um 256er Rundfunkdaten in MPEG 1 zu übertreffen - den richtigen Coder in der richtigen Betriebsart vorausgesetzt. Streams kosten den Betreiber derbe Geld (jeder Hörer nuckelt separat), deshalb ist bei spätestens 128 kBit/s meist Schluß, eher bei 96 kBit/s. Beides ist nicht geeignet, hochwertig zu klingen, Artefakte wird man immer hören, evtl. auch Bandbeschneidungen (muffeliger Sound).
Zur Zeit ist wohl eine Datenrate von 128 kbit/s als guter Standard anzusehen und sollte hier als Basisannahme gelten.
Bloß nicht! Das kam aus einer Zeit, in der die Leute mit analogen Modems einzelne Musiktitel durch die Leitung quälten. Ein guter MP3-Codec (LAME 3.92 zum Beispiel) macht in 192 kBit/s joint stereo eine sehr gute Qualität, die deutlich über 256er MP2-Rundfunkdaten liegt. Mit weniger sollte man sich heute wirklich nicht zufriedengeben - und mehr ist von eher fragwürdigem Zusatznutzen.
Im Rundfunk sind halt 256 kBit/s MP2 das Minimum für halbwegs sauberen Klang auch mit schwierigem Material. 128 kBit/s holt man aus 2 ISDN-Leitungen und da klingt Applaus in Stereo zum Beispiel eher wie eine Pfanne mit heißem Fett, aber nicht wie Applaus. Nachhall (Gottesdienste auf dem DLF, oh ja!) wirkt wie mit einem Schalter ein- und ausgeschaltet usw...
1. Das digital übertragene Nutzsignal ist qualitativ höherwertig?
2. Das analog übertragene Nutzsignal ist qualitativ höherwertig?
Hier wäre vielleicht sinnvoll, nach Kriterien zu unterscheiden. Hinsichtlich Signal-/Rausch-Abstand ist freilich selbst 64 kBit/s perfekt: Totenstille in Signalpausen. Da kommt kein analoges System mit.
Hinsichtlich Frequenzgang ist ab spätestens 160 kBit/s alles bis mindestens 18 kHz linealglatt bei Ansteuerung mit komplexen Signalen (Rauschen). Gleitsinus könnte je nach Coder und Einstellungen sogar bis zum theoretischen Limit glatt sein. Psychoakustische Datenreduktion hat halt den Sinn, je nach übertragenem Signal zu tricksen, so daß man es möglichst nicht wahrnimmt. Die üblichen Gleitsinusmessungen können nicht annähernd die Qualität des Systems abbilden.
Digital rauscht also nicht und ist synthetisch linealglatt. Dafür setzt es dem Signal die Unexaktheiten der Datenreduktion zu - die Artefakte. Dieses "Scheppern", "Zischeln" und "Matschen" stört den einen mehr, den anderen weniger. Viele Kiddies kennen es nicht mehr anders und nehmen es deshalb wohl nicht mehr wahr. Die Artefakte hängen vom verwendeten Coder, von der eingestellten Bitrate, vom jeweils verwendeten Stereo-Modus (es gibt mehrere Arten, Stereosignale zu reduzieren, z.B. beide Kanäle strikt getrennt mit jeweils fester, halber Datenrate / beide Kanäle getrennt mit variabel zwischen ihnen aufteilbarer Datenrate / Monsumme und Stereo-Seitensignal getrennt) und auch von der Kaskadierung ab. Also: wie oft wird ein Signal datenreduziert, dann wieder "ausgepackt", wieder datenreduziert usw?
Bei UKW wären dann noch Dinge, z.B. die Empfangsqualität mit ins Kalkül zu ziehen. Digital Satellit (DVB, ADR) ist bei einigen Anstalten (RBB, MDR, SR) auch noch mit weniger oder gar keinem UKW-Soundprocessing unterwegs, weist deshalb also schon wieder andere Vorteile (das eingespeiste Signal ist näher am Original) auf.
Es bleibt letztlich nichts anderes, als für jeden einzelnen Fall aufs neue zu entscheiden, was besser ist.
Glücklicherweise ist es recht übersichtlich:
DLF, D-Kultur
Bester Weg ist DVB-S (Satellit) oder DVB-C (Kabel digital) beim ZDF. Das identische Signal hat 256 kBit/s und weniger Dynamikkompression als UKW, es hängt an einem separatem Studioausgang.
Es folgt Astra Digital Radio (ADR), ich bin mir momentan nur nicht sicher, ob das überhaupt noch läuft beim D-Radio. Die Datenrate ist hier identisch zu der, die UKW speist (es klingt von den Artefakten her auch fast gleich), nur daß eben keine Empfangsprobleme, kein Rauschen und keine Emphasis-bedingten UKW-Probleme (Höhenaussteuerbarkeit, Klirrfaktor) dazukommen.
Dann erst folgt terrestrisches UKW. Stream ist weit abgeschlagen.
Kabel-UKW ist entweder so gut wie terrestrisches UKW oder - wenn aus DVB umgesetzt - etwas besser, solange man die Pegelung in der Kopfstation hinbekommen hat.
ARD-Hörfunk
Bester Weg für alle Programme ist DVB-S über Astra ("Hörfunktransponder") mit 320 kBit/s für die Stereoprogramme. Da sind mindestens 256 kBit/s für Audiodaten vorgesehen, der Rest kann für Zusatzdaten verwendet werden. SR, RBB und MDR (außer die Einser) ohne UKW-Soundprocessing! Rauschfrei ist das Signal ohnehin perfekt und MPEG-Artefakte sind bei 320 kBit/s schon sehr unkritisch, wenngleich messbar. Selbst gegen rein analoge UKW-Zuführung müßten hier die anderen Vorteile überwiegen.
Digitales Kabelradio (DVB-C) hat entweder bitgenau identische Qualität zur Satellitenversion, oder ist bei Kabel Deutschland recodiert auf 256 kBit/s, um Platz zu sparen. Dabei gehen die obersten Höhen ab ca. 17 kHz weg und der Signal/Artefakte-Abstand verschlechtert sich um etwa 10 dB (zumindest nach meinen Messungen) - hören kann man das nicht oder kaum.
Astra Digital Radio (so noch gesendet) folgt qualitativ - eventuell konkurriert von perfektem UKW-Empfang, so dieser über eine nicht datenreduzierte Leitung zugeführt wird. Dann könnte nämlich das Artefakte-Problem von ADR (192 kBit/s) gegen die typischen UKW-Probleme möglicherweise sogar heftiger stören - muß es aber nicht...
Auch hier: vergiß die Livestreams. Die müßten dann schon mindestens 160 oder 192 kBit/s haben, um ernstgenommen werden zu können.
Ich habe in einem anderen Forum letztens Mitschnitte von DAB+ gefunden, das läuft mit effizienterer Datenreduktion AAC+. Falls die Dateien kein Fake waren (sie hatten seltsamerweise 44.1 kHz statt 48 kHz Abtastrate), waren 80 kBit/s (!!!) mangelhaft, aber 96 kBit/s sehr gut - zumindest mit Klassik. Der krasse Unterschied war sehr erstaunlich für mich. Wenn dem tatsächlich so wäre, könnte man in DAB+ tatsächlich doppelt soviele Programme sinnvoll übertragen wie bei dem herkömmlichen DAB mit MUSICAM-Datenreduktion. Aber das ist sowieso nicht mehr von Interesse, da DAB nun weitgehend zu den Akten gelegt wurde.
Meine - vielleicht laienhafte - grobe Vorstellung: beim Sender wird inzwischen wohl so gut wie durchgängig mit digitalisierten Tonkonserven produziert, die vermutlich zumindest mit 1,4 Mbit/s gespeichert sind.
Produziert werden sollte immer linear, erst die fertige produktion sollte man datenreduzieren, um Kaskadierungseffekte zu vermeiden. Im Langzeitspeicher liegt inzwischen vielleicht vermehrt nicht-datenreduziertes Material mit 48 kHz Abtastrate. Als man damit vor 15 Jahren begann, waren 256 kBit/s oder 384 kBit/s schon derbe Herausforderungen an Speichersysteme. Beim RBB Potsdam lagern 256 kBit/s auf den Festplatten im Sendespeicher, bei einigen Privatfunkern, die ich kenne, ist es ebenso. Andere (DLF, MDR, hr) verwenden da nachweislich 384 kBit/s.
An irgendeiner Stelle wird zumindest für Internetradio weiter komprimiert auf die eingangs angenommenen 128 kbit/s.
Ganz zum Schluß, wenn z.B. UKW linear (unreduziert) oder mit 384 kBit/s abgezweigt wird und DVB mit 320 kBit/s. Vorher muß aber noch mindestens einmal "ausgepackt" werden, denn Mischpulte arbeiten freilich mit linearem PCM und nicht im Spektralraum.
Hintergrund ist meine alte (vielleicht inzwischen ausgediente?) Gewohnheit, mir wichtige Beiträge (wie bspw. gute Konzertmitschnitte) auf Magtentband zu konservieren. Nur, welche Quelle ist dafür eindeutig besser?
Ein DVB-S oder DVB-C-Receiver mit direkter Aufnahmemöglichkeit des gesendeten Original-Datenstroms auf interne Festplatte oder z.B. USB-Stick. Das kann man dann "auspacken" als Wave im PC (das tut schon der Winamp mit Hingabe, wenn man ihn richtig einstellt), dann muß man mit geeigneter Software die Abtastrate von 48 kHz auf 44.1 kHz ändern, dann kann man editieren und das Ergebnis brennt man z.B. als Audio-CD. Die originalen 48 kHz kann man nach dem Editieren auch in Echtzeit über den Digitalausgang (!) auf DAT ausspielen - perfekt, aber nicht mehr zeitgemäß. Man kann freilich auch die MP2-Rohdaten behalten, nur daß man die kaum sinnvoll überall abspielen kann, viele MP3-Player verweigern, obwohl die Formate verwandt sind..
Ich benutze in meinem konkreten Fall einen DVB-C-Anschluss, einen Rohde&Schwarz Messempfänger plus Stereodecoder
Ein DVB-C-Messempfänger? Oder doch eher ein UKW-Gerät, das an einem Kabelanschluß hängt, der zufällig auch DVB-C aufgeschaltet hat?
und die ganzen notwendigen nachgeschalteten Analoggeräte wie Mischpult, Pegelkontrolle, Verstärker, Bandmaschinen
Oh mann, welch Aufwand... ich würde zu gerne Fotos davon sehen. So hart es klingen mag: aus meiner Sicht fährst Du mit Aufnahme des DVB-C-Datenstroms am nahesten am Original. Kann aber gut sein, daß Dir dabei die Charakteristik Deiner Geräte (Bandsättigung, evtl. bestimmte Klirrkomponenten) fehlt und Du nicht glücklich damit wirst. Technisch bist Du so beim ARD-Hörfunk und bei den D-Radios aber am saubersten - und bequem ist es ebenso (Aufnahme in Abwesenheit).
Und das macht alles so eine kleine, schäbige Plastekiste, so groß wie ein Dreierpack VHS-Kassetten... das tut am meisten weh, wenn man Optik und Haptik der Bandmaschine gewohnt ist.
Wenn das mit den 256 kbit/s tatsächlich stimmt, dann tun sich ja qualititative Abgründe auf
.
Oh ja! Die Briten können ein Lied davon singen, denn da läuft digitales Radio oft mit 128 oder gar nur 96 kBit/s. Kritiker sagen:
DAB sounds worse than FM, Internet radio & radio via digital TV.
Hier findest Du Hörbeispiele der unterschiedlichen Bitraten - viel Spaß beim Gruseln.
Edit 2:
Vgl. auch
hier - weiter unten, die Ausführungen von dira und Funkminister, 2 Leute vom fach.