Ich würde es auch gerne nicht mehr sagen müssen, aber mir bleibt keine andere Wahl, weil es nach wie vor die Realität ist...
Stimmt. Daß in diesem Land Menschen, die ernsthaft die Frage nach einer sinnvollen, intelligenten und lebenswerten Zukunft stellen, eine Bühne haben und dazu auch noch Publikum, ist wirklich schon 20 Jahre her. Ich habe vorhin meinen Patenonkel besucht, um einen defekten Verstärker abzuholen. Der Mann ist über 40 Jahre älter als ich und hat im Gegensatz zu mir beim Rundfunk gearbeitet - nicht im Programm, sondern in der Technik. Und gerade heute bescherte er mir das Zitat, die Jahre 1990/91 wären die mit Abstand besten gewesen, die es im Funk gab. Das würden auch alle sagen, die damals schon (oder noch) dort gearbeitet haben. Er ging noch weiter: er, mit deutlich mehr Lebenserfahrung (u.a. einen Weltkrieg erlebt), hält unsere Gesellschaft für definitiv absterbend und die Mehrheit der Menschen für "nervenkrank" (er meint vermutlich psychisch krankhaft auffällig). Ein Blick in die S-Bahn (meinetwegen gleich die von vorhin) bestätigt zumindest auf den ersten Blick krankhafte Tendenzen, aber das soll jetzt nicht das Thema sein.
Und was soll da rauskommen? Ich habe nunmal eine "Stoffwechselerkrankung": ich kann Privatfernsehen, Amiserien, Gewinnspiele, Fußball, Alkohol, Drogen, Parties, Disco, aber auch die immer-allerneueste-Technik (Xbox, Handy, Wii, ...) nicht in Wohlbefinden verstoffwechseln, wie es offenbar viele meiner Mitmenschen tun können. Es bleibt dabei immer ein Gefühl der Leere als das mindeste. Manchmal kommt auch gleich der Ekel.
Die, die mit obigem nichts anfangen können, treffe ich draußen faktisch nicht mehr an. Es gibt sie, sie haben sich gänzlich zurückgezogen, aus gutem Grund. Ich kenne sogar einen guten Psychotherapeuten, der zwar völlig im Leben steht, aber in einem Leben, das sich nicht mehr in der ganz normalen Öffentlichkeit abspielt. Er hat außerhalb der Stadt ein Haus gebaut und macht dort sein Ding mit den Menschen, die ihm guttun. Andere haben keinen Zutritt. Mit der Gesellschaft kommt er nur in Kontakt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und das reicht dann auch für den ganz normalen Wahnsinn. Aus seinem Abstand heraus kann er auch nur noch mit dem Kopf schütteln.
Genau zur Vernetzung solcher Menschen wäre heute eine soziale Verbindung, eine Art "soziales Netzwerk" gut und Radio könnte es aus meiner Sicht erfüllen. Radio ist, wenn es gut gemacht wird, jeder Onlineplattform haushoch überlegen, denn es transportiert Emotionen und tut dies in Echtzeit und ohne Archivierungsfunktion. Gutes Radio IST Leben.
Das wundert mich kein bißchen, denn man hat ihnen das echte Radio vorenthalten. Sie können es nicht kennen.
Und das Internet ist zwar eine feine Sache für alles mögliche, es ersetzt aber keine realen Sozialkontakte. Im Gegenteil: es führt bei übermäßiger Nutzung zur Vereinsamung. Gutes Radio ist auch noch kein realer Sozialkontakt, aber viel näher dran als Internet. Weil es authentisch ist - etwas, das im Netz nur allzuleicht auszuhebeln ist.
Freut mich, daß das alles so problemlos funktioniert. Ich weiß zwar nicht, wozu im Amiland der Stau auf der A66 wichtig ist, aber seis drum. Es geht eine ganze Menge mit dem neuen Schickschnack, aber was nicht geht: lebendige Verbindungen mit einer großen Zahl von Menschen eingehen und ungefilterte Emotionen auszutauschen. Nein, bitte jetzt nicht mit den tausend Facebook-"Freunden" kommen. Die sind Pixelansammlungen, mehr aber auch nicht.
iPod ist inszenierte Vereinsamung und Vereinzelung. Ich habe auch so ein ähnliches Gerät - es spielt mir wann immer ich will das, was ich ohnehin schon kenne. Es bringt mir aber nichts neues nahe. Es läßt mich nicht über den von mir selbst vorgegebenen Horizont blicken. Es weckt keine Neugier. Es freut sich nicht über irgendetwas und ist auch nicht ungehalten über irgendetwas. Einen Fernseher habe ich nie besessen. Seit ich mit 14 aus dem Elternhaus bin, bin ich faktisch fernsehfrei. Mir recht das, was ich täglich auf der Straße erlebe. Ich muß mir die Fortsetzung dieses Neurosen-Seifenoper nicht noch freiwillig innerhalb meiner 4 Wände geben.
Grenzi, ich beneide Dich durchaus darum, in diesem Leben einen Sinn zu sehen. Ich kann Dich ja nichtmal einfach als vermutlich "unfassbar platt" einstufen, denn ich kenne Dich und weiß, daß Du es nicht bist. Umso mehr fasziniert mich Dein Umgang mit dieser Zeit und dieser Welt.
Vielleicht bin ich nur zu hungrig. Vielleicht ist es unangemessen, sich mehr sozialen Kontakt zu wünschen als ein- oder zweimal pro Woche 30 Minuten Mittagessen mit dem besten Freund in einer öffentlichen Kantine, alle 2 Wochen 90 Minuten Schwimmen mit dem gleichen Freund und vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr ein Wochenende mit Freunden weiter weg (z.B. mit Dir). Mehr kann ich aber nicht realisieren, die restliche Zeit habe ich letztlich als Arbeitskraft zu funktionieren - wie viele andere auch. Und auf Arbeit gilt das gleiche wie sonst überall in der Öffentlichkeit: schön die Sorglos-Fassade hochziehen, ja keine offenen Fragen haben, souverän wirken um jeden Preis - sonst machen sie dich platt (beruflich) oder meiden dich (privat). Und vor allem: eine Welt aus Privatfernsehen, Fußball und Feierabendbier akzeptieren. Das ist die Welt der meisten Menschen, die ich kenne. Mir reicht sie nicht.
Sorry, Mißverständnis. Das war KEIN Hilferuf. Ich komm da draußen schon soweit möglich klar. Ich weiß, daß ich zu alldem nicht dazugehöre und versuche mich rauszuhalten. Vieles ist mir inzwischen auch wirklich egal, vor allem die Kollateralschäden ganz privater Dummheit anderer Menschen. Sollen sie doch machen, ist nicht mein Problem, solange sie mich nicht damit belästigen oder finanziell belasten. Andere zu "missionieren", habe ich längst aufgegeben.
Nur bei manchen Dingen kann ich noch nicht wegsehen. Letztlich geht es dabei um eine Kollision meines Verständnisses von Ordnung und Nachhaltigkeit in der Ausgestaltung unseres Lebens und dieser Gesellschaft mit dem, was - inzwischen fast ausschließlich aus kommerziellen Interessen heraus - da draußen veranstaltet wird. Mein Patenonkel hat letztens ein Interview geben müssen in der Nalepastraße, für irgendeine schwedische (?) Produktion. Die Schweden sagen ganz offen, was in Deutschland an Zerstörung der Hörfunkkultur und der dazugehörigen "Werkzeuge" (Studios) geschehen ist, ist unfassbar und wäre in Schweden unvorstellbar. In Deutschland ist man immer noch davon überzeugt, daß Kulturabbau aus Effizienz- oder Machtgründen der richtige Weg der gesellschaftlichen Entwicklung sei. Da schleift man auch schon mal die besten Hörfunkstudios Europas oder wickelt gezielt Hörfunkprogramme ab, die im Verdacht standen, kulturell beladen gewesen zu sein. Nein, da meine ich mal ausnahmsweise keinen Ostfunk.
Oder: in meiner Heimatstadt ist gerade jetzt das Theater pleite, nicht nur, aber eben auch dank der Tatsache, daß das Bewußtsein, daß solche Kultur gesellschaftliche Aufgabe ist und gefördert werden muß, keine Priorität mehr genießt. Mir könnte das egal sein, ich gehe lieber zu Rockkonzerten als ins Theater - mir geht es aber dennoch nahe, denn ich erkenne den Wert für die Gesellschaft, auch wenn ich das Angebot nicht genutzt habe. Ich ahne schon, was allzu fleißige Modernitätsfanatiker sagen werden: Kultur kannste ja jetzt in 42 Zoll mit 1980x1080 Pixeln für 399 Euro haben. Danke, das ist Vereinzelung der Menschen, aber meist keine Kultur.
Oder: das weiterhin ungehemmte Setzen auf private PKW, ein Transportmittel, das ethisch und ökologisch nie vertretbar war und in naher Zukunft in der Form, wie wir es heute kennen, auch nicht mehr realisierbar sein wird. Dennoch geht der Abbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs ungebremst weiter, beispielsweise mit der ICE-Strecke, die Thüringen in einigen Jahren komplett vom Fernverkehr abkoppeln und gänzlich auf die Autobahn treiben wird. Es ist völlig hirnrissig, aber wirtschaftlich und politisch gewollt.
Oder: Stuttgart 21. Doch hier kam es zum Glück anders. Ich finde es prima, daß die Leute dort wenigstens jetzt aufstehen und die Frage, ob für eine weitere Beschleunigung einer ohnehin nur noch atemlosen Gesellschaft um wenige Minuten unfassbare Summen ausgegeben werden müssen (ob also hier nicht jegliches Verständnis von Angemessenheit abhanden gekommen ist) stellen. Die, die da jetzt auf die Straße gehen, genießen bei mir höchstes Ansehen. So etwas hat es wirklich seit der "Wendezeit" nicht mehr gegeben: eine große Anzahl Menschen, die sich ernsthaft die Frage stellt, wohin der Weg sinnvoll und gesund gelenkt werden sollte.
Schwierig... sie existiert vielleicht noch irgendwo im Umweltschutz oder ähnlichen Gebieten. Ansonsten sehe ich fast nichts mehr. Kann aber auch der bekannte Wald sein, den man vor lauter Bäumen...
-> Ich bin am Suchen, Ausgang offen.
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