Nein, Plattenschrank! Vermutlich verstehst Du die Logik dahinter nicht richtig.
Okay, nehmen wir einen pressfrischen, brandneuen Titel als Beispiel. Der Tonträger wird bemustert und landet bei mir im Briefkasten bzw. dann auf meinem Schreibtisch. Ich höre die Platte/die CD/das Soundfile ab und finde sie/es tatsächlich "gut" - im Sinne von "als brauchbar für das Programm". Dann überlege ich, in welcher der drei aktuellen Kategorien ich den Song zunächst rotieren lassen möchte. Zur Wahl habe ich die Kategorie "A1" (die sog. "A-Liste" = Hot Rotation, mit ca. 20 Plays pro Woche), die Kategorie "A2" (welche die sog. "B-Liste" ist, Medium Rotation, mit ca. 10 Plays pro Woche) und die Kategorie "A3" (die sog. "C-Liste", Every Now & Then-Rotation, mit ca. 5 Plays pro Woche). Handelt es sich bei dem betreffenden Song
nicht um eine Single sondern um einen Album Cut, habe ich noch die Kategorie "AL" (mit ca. 3 bis 5 Plays pro ausgewähltem Album Cut der jeweils betreffenden neuen Alben pro Woche) zur Verfügung (ja, wir spielen nicht nur aktuelle Singles, sondern auch ausgewählte aktuelle Album Cuts!).
Bin ich mir nicht ganz sicher, ob
nur ich den Song gut finde und er eigentlich
nicht brauchbar für das Programm ist, schleppe ich ihn mit in unsere Abhörsitzung, in der ich mit meinen Musikredakteuren demokratisch über die Verwendung (oder eben die "nicht-Verwendung") des betreffenden Songs abstimme. Das Abstimmungsergebnis der Abhörsitzung wäre dann für uns alle
in Bezug auf die reguläre Rotation bindend. Sollte der Songs in der Abhörsitzung für die Rotation abgelehnt werden, könnte ich ihn immer noch als sog. "Freepick" in meiner eigenen Sendung einsetzen. Aber auch eben nur dort und es wäre dann
kein Rotationstitel, sprich: der betreffende Song würde dann "nur bei mir" (und in keiner anderen Sendung) laufen. Doch das nur am Rande.
Nehmen wir an, ich (oder die Abhörsitzung) entscheidet "Rotation" für den betreffenden Song. Dann überlegen wir, in welcher der drei (bzw. vier) aktuellen Kategorien wir ihn starten lassen. Ist der Künstler bekannt? Ist der Song ein wirklicher "Hammer" und hat das Zeug zum Hit? Okay, dann spricht viel für die Kategorie "A1". Ist der Künstler eher unbekannt, aber der Song ist toll? Okay, ab in die Kategorie "A2". Oder ist der Song zwar formatkompatibel, aber den Künstler kennt keiner und wir wollen mit der Nummer erst einmal langsam und vorsichtig starten? Okay, dann ab in die Kategorie "A3". Von Woche zu Woche können die aktuellen Songs allerdings auch innerhalb der drei A-Kategorien verschoben werden. Wir haben den Song jetzt drei Wochen auf "A1" laufen lassen und er fängt langsam an zu nerven? Okay, packen wir ihn ab der nächsten Woche in "A2" und später dann in "A3". Oder waren wir am Anfang mit dem Song zu vorsichtig und hatten ihn in "A3", jetzt entwickelt sich der Song aber richtig gut und wird zum Hit? Okay, ab in die Kategorie "A1". Das ist alles kein Problem!
Ein neuer Titel bleibt bei uns MAXIMAL sechs bis acht Wochen in den aktuellen Kategorien, danach ist der Song erst einmal "durch" und bekommt eine "Ruhepause" von ca. sechs Monaten verpasst. Denn durch die erhöhte Rotation in den A-Kategorien ist der Song erst einmal "ausgebrannt" und keiner möchte ihn mehr hören, da er uns und unseren Hörern "aus den Ohren wieder herauskommt". Deshalb erst einmal die Ruhepause, damit "Gras" über den Song "wachsen" kann. Nach jenen sechs Monaten Ruhepause meldet das Musikplanungssystem automatisch den betreffenden Song wieder als "verfügbar" und ich muss dann entscheiden, ob ich den Song wieder einsetzen (Stichwort: "Aha-Effekt" beim Hörer: "Ja, das war vor einem halben Jahr ein Hit, den habe ich immer gerne gehört!") und für weitere vier Wochen als Recurrent laufen lassen möchte. Die vier Wochen Recurrent-Zeit des betreffenden Songs sind im Prinzip nichts anderes, als ein interner "Test", ob wir den Song als "noch so wertvoll" betrachten, dass wir ihn nach jenen vier Wochen als regulären "Oldie" im Programm einsetzen wollen (dann mit einer MINDESTTRENNUNG von drei Tagen und mehreren Stunden - ich verrate an dieser Stelle absichtlich nicht, um wieviele Stunden es sich zuzüglich zu den drei Tagen genau handelt, denn DAS ist u.a. ein Betriebsgeheimnis! - zwischen zwei Einsätzen des betreffenden Songs!) oder ob der Song "damals" (als er ein A-Titel war) nur eine Modeerscheinung war und uns jetzt (wo wir mit dem entsprechenden zeitlichen Abstand erkennen, dass der Titel doch nicht so das gelbe vom Ei ist) nur noch "auf die Nerven" geht und keinen wirklichen musikalischen Mehrwert für das Programm darstellt. Und - bitte aufpassen! - SOLLTE DIES DER FALL SEIN, DANN wandert jener Song "für nahezu alle Zeiten" zurück ins Schallarchiv. Dies bedeutet aber nicht, dass er dort auf ewig und drei Tage verstauben muss, denn er kann bei Bedarf jederzeit immer noch mal als sog. "Freepick" von mir oder von meinen Musikredakteuren oder von unseren Moderatoren eingesetzt werden.
Also, "verloren" wäre jener besagte Song keinesfalls. Wir "nudeln" ihn dann nur nicht mehr in Rotation. Da sich unser Musikprogramm jedoch aus zwei Komponenten zusammensetzt, nämlich a) aus Rotationstiteln und b) in bestimmten Autoren-Sendungen (Stichwort: Musiksendungen) aus Freepicks, "geht" bei uns nahezu immer "etwas". Im Gegensatz zu anderen Sendern, die ihr Musikprogramm eher restriktiv gestalten, was nicht nur ich für einen Fehler halte - vorausgesetzt, sie hätten entsprechende Musikredakteure, die "richtigen" freien Musikprogrammgestalter (Autoren) und eine Hand voll musikaffine Moderatoren (Stichwort: ECHTE Radio-DJs), die entsprechend gewissenhaft, verantwortungsvoll und selbstbewusst mit der "musikalischen Freiheit" in Bezug auf die Musikprogrammgestaltung umgehen. Bei uns ist allen an der Musikprogrammgestaltung Beteiligten klar, dass musikformatspezifische Parameter eingehalten werden müssen (also, beispielsweise kein deutscher Trallala-Schlager und/oder kein ultrabrutaler Heavy Metal auf einer Pop-Welle!), aber innerhalb dieser Parameter gibt es eine Menge Freiheiten und somit tolle und kreative Gestaltungsmöglichkeiten.
So SOLLTE meiner Meinung nach EIGENTLICH ÜBERALL Radio gemacht werden - und nicht nur bei uns. Aber dafür benötigst Du Mitarbeiter, die sich in der Musik bestens auskennen (Repertoirekenntnisse und das nahezu bestmögliche Verständnis des Musikformats des Sender sind dabei SEHR wichtig!) und im Optimalfall "Radio" regelrecht "schwitzen", sprich den Sender, das Programm, ihre Sendung als "ihr Baby" betrachten. Denn jeder verantwortungsvolle Vater und jede verantwortungsvolle Mutter würde seinem/ihrem Baby niemals Schaden zufügen! Jedoch finde mal heutzutage im (deutschen) Rundfunk - wo so vieles gleichgeschaltet zu sein scheint - noch Menschen, die sowas machen (im Sinne von "können" und "wollen"), wenn sie selbst, aufgrund der dogmatischen Gegebenheiten, als "ferngesteuerte Unterhosen" erzogen und ausgebildet worden sind, die keinen großen Bezug zur im Programm gespielten Musik haben. Die Suche nach ECHTEN ("professionellen") Musikliebhabern würde unter diesen Umständen nicht einfach werden. Zum Glück haben wir solche Leute an Bord. Wünschen würde ich solche Mitarbeiter jedoch jedem Sender! Denn DANN würde ein echter KREATIVER Wettbewerb zwischen den einzelnen Stationen stattfinden. Was für den Hörer ein nahezu unbeschreiblich positiver Mehrwert wäre. Radio würde über kurz oder lang für den (musikliebenden) Hörer wieder sehr interessant werden und für die Radiomacher wieder eine ECHTE und KREATIVE Herausforderung, denn die Konkurrenz "schliefe" ja dann keinesfalls in Bezug auf Kreativität. Dabei würden u.U. neue (und durchaus auch progressive) Programmideen (und vielleicht sogar neue Musikformate) entstehen und - ja - es wäre wieder ECHTES und hörenswertes RADIO...!
Und der definitiv "Bessere" würde (die MA) gewinnen. Ist doch wohl klar, oder?
Es KÖNNTE so einfach sein! Obwohl es durchaus eine Menge Arbeit wäre, dies so umzusetzen. "Wert" wäre diese "Investition" es allerdings alle Male, nicht wahr?