Mannis Fan schrieb:
Ich will ein Radioprogramm, bei den ich noch ein paar Minuten im Auto sitzen bleibe, obwohl ich schon angekommen bin, weil ich unbedingt fertig hören will ...
Dieser User fällt immer mal wieder durch einen kurzen Spruch auf, der alles an Geisteswissenschaften auf einen kurzen knackigen Punkt bringt.
Ich setze mal kein "gefällt mir", weil er davon zuviele hat. Warum eigentlich?
Back to the topic:
Was wäre wenn... ein paar Stunden darüber gebrütet.
Zunächst einmal dürfen wir nicht vergessen, dass sich sowohl Hörgewohnheiten als auch die Verträglichkeit der Musikgenres untereinander verändert haben. Wer hip hop hört, hat für techno nichts übrig. Für techno-Jünger sind Cascada und Madonna billiger house-pop. Für Fans von Deutschpop sind eben Schlager alter Bauart indiskutabel und out forever.
Das ist der eine Punkt der es ungeheuer schwierig macht, heute ein Musikprogramm zu basteln. Heute zappen die potentiellen Hörer viel schneller vom gehörten Sender weg, wenn etwas Unliebsames in deren Ohren kommt. Stichwort Abschaltfaktor! Auch das hat sich verändert und ist heute ausgeprägter als jemals zuvor.
In den Zeiten, als die ARD mit ihren Radiosendern noch unter sich und allein auf weiter Flur war, war es einfach. Man hat den Hörern eben etwas vorgesetzt und ein Ausweichen gab es nicht, ausländische Sender wie AFN, BFBS, 2-0-8 oder die vier fröhlichen Wellen mal aussen vor. Das Programm lief unter dem Motto "Wir wissen, was die Hörer wollen". Genau das wirft man heute den Privatsendern vor, weil sie auf ihre researches setzen.
Ich finde es in diesem Zusammenhang etwas leichtsinnig, von "alten Radioleuten, die etwas können" zu sprechen. Einige ja, aber ich habe sehr viele noch im Ohr, die einen schlimmen Matsch zusammengespielt haben.
Eine allgemein gültige Antwort gibt es auf die von Onkel Otto aufgeworfene Frage nicht.
OK, dann kamen die Privatsender und dann kamen Programmbausteine wie Jingles, teasers, claims und eine andere Präsentation, die den ARD-Sendern vollkommen fremd waren. Weiterhin müssen wir den erneuten Einschnitt 1996 beachten, als Radio allgemein nur noch als Nebenbeimedium eingestuft und genutzt wurde. Die Zahl der Dauerhörer war auf ein Minimum gesunken.
Und jedem PD war und ist es ein Gräuel, wenn sein Sender nur noch als Einschaltmedium genutzt wird. Wenn man beispielsweise nur noch WR oder RH einschaltet und den Rest links liegen lässt.
Das kann und darf nicht sein. Kann man es den ARD-PDs daher verdenken, wenn sie auch auf Durchhörbarkeit setzen, um nicht einfach abgekoppelt zu werden? Bevor ich niemanden mehr mit meinen "besseren" Inhalten erreiche, lieber Infohäppchen. Bevor ich gegenüber Gebührenzahler und Rundfunkrat in Erklärungsnot gerate, lieber auf Durchhörbarkeit setzen. Kann ich es den Beratern verdenken, wenn diese gerufen werden, diese Rezepte nicht auch dort umzusetzen? Oder sollen diese entgegen ihren researches und Erfahrungswerten falsche Empfehlungen aussprechen? Zudem haben ARD-Sender 5,6 oder gar 7 landesweite Wellen zur Verfügung, während die privaten Sender mit 1-3 auskommen müssen.
Dass dies alles irgendwie etwas ausser Kontrolle geraten ist, will ich gerne zugeben: Meine ganz persönliche Meinung. Es wurde zuviel nur auf Wiedererkennung gesetzt, dadurch zu enge Rotationen. Und zu sehr Hörerbindung durch ein Gewinnspiel nach dem anderen. Und zuviel claims, bis zu fünfzehn Mal pro Stunde und mehr. Witzigerweise merkt der Hörer das erst, wenn er gezielt einmal darauf aufmerksam gemacht wird.
Aus dem Bestreben heraus, ja nichts falsch zu machen, ist es zu dieser Entwicklung gekommen. Nein, sie ist nicht das Ende der Fahnenstange. Denn noch enger einschnüren, ein noch rigideres Korsett an Vorgaben und noch weniger Angebpt an Titeln geht kaum mehr, dann kann ich gleich auf Automation und voicetracking setzen.
count down schrieb es in einem anderen thread recht treffend:
Vergiss bitte nicht, xxxx, dass es neben "polarisierenden" Titeln auch solche gibt, die mit 100%-igem "Stört-nicht"-Charakter durchlaufen. Mit denen wird Quote angestrebt
Wenn man jetzt also durchatmet und nachdenkt, werfen sich automatisch andere Probleme auf:
Die "guten" Leute mal ranlassen. Wer ist gut? Und wer entscheidet das? Und haben diese nicht schon den Bodenkontakt verloren?
Selbst wenn man jene jetzt ranlässt, darf man eines nicht vergessen: Alles, was sie machen und spielen, muss immer noch in das gewählte Format passen und zielgruppentauglich sein.
Ein Sofortrezept gibt es nicht. Das einzige, was im Moment greift und viele Mängel beseitigt, ist eine Erweiterung der Musikladungen und eine gezielte Beimischung von "Perlen". Und da sind einige Sender kräftig dabei, man sollte in den nächsten Wochen und Monaten genauer hinhören und analysieren.
Alles andere kommt später.