Christoph Lemmer schrieb:
Im Radio-Oberhaus mag man sich nicht vorstellen können, wie es im Radio-Unterhaus zugeht. Da bekommen Moderatoren pro Moderationsstunde unter 20 Euro, fahren damit vier oder fünf Stunden Sendung plus Vorbereitung.
Einer meiner Freunde ist Sozialarbeiter bei einem Essener Unternehmen der Energiewirtschaft. Dieses ist u.a. als Bildungsträger tätig, d.h. es bietet berufsvorbereitende Maßnahmen für Jugendliche und junge Erwachsene, die nicht in eine reguläre Ausbildung vermittelt werden können, oder für Hartz-IV-Empfänger an.
Zu diesem Zweck werden nahezu ausschließlich Honorardozenten bei einem Stundenlohn von 18€ beschäftigt.
Die Konditionen sind mit denen beim Radio vergleichbar: Die Unterrichtsvorbereitung wird nicht vergütet, es gibt keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Kündigungsfrist und man ist nicht über den Arbeitgeber versichert.
Bei den Dozenten handelt es sich fast ausnahmslos um Akademiker: Soziologen, Historiker und Medienwissenschaftler, Linguisten, ja sogar eine Physikerin ist an dem Standort meines Freundes beschäftigt.
Besonders prekär wird die Angelegenheit bei den Weiterbildungskursen für Hartz-IV-Empfänger: Da bei vielen Dozenten das Honorar nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu decken, sind sie selbst auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Man könnte sagen: ALG-II-Empfänger unterrichten ALG-II-Empfänger.
Warum ist das so? - Weil dieses System von den Arbeitsagenturen gestützt wird!
Es herrscht ein gnadenloser Konkurrenzkampf unter den einzelnen Bildungsträgern: Bei der Vergabe einer Bildungsmaßnahme zählt nur ein einziges Kriterium: Der Preis.
Der Anbieter, der die billigste Offerte macht, bekommt stets den Zuschlag.
So tief sind wir bereits im Land der Dichter und Denker gesunken!
Wenn dagegen eine ungelernte Person bspw. im Einzelhandel einen 400-Euro-Job wahrnimmt, ist diese i.d.R. besser dran: Sie ist versichert und hat einen gewissen Kündigungsschutz; darf am Ende beim Bezug von Hartz-IV-Leistungen auch nur 100€ plus 20% vom restlichen Verdienst behalten.
Das ist Deutschland im Jahre 2012 und das ist auch der Grund, warum ich nicht erst seit den Skandalen um Karl-Theodor zu Guttenberg und unseren jetzigen Bundespräsidenten mein Vertrauen in die Politik längst verloren habe.