Altmodisches Radio mit modernen Mitteln
25 Bewerber kämpfen um die letzte UKW-Frequenz. Ex-Universal-Chef Tim Renner ist einer von ihnen
von Dirk Krampitz
Zuerst ist er in den Ski-Urlaub gefahren. Dann hat er ein Buch geschrieben. Und nun baut er einen Radiosender auf. Wer sich nach der Kündigung bei Universal-Music Sorgen um Tim Renner gemacht hat, kann sich nun wieder beruhigen. Der Ex-Manager ist definitiv kein Fall für Hartz IV.
Renner sitzt in seinem Büro in der Oranienburger Straße, hinter seinem Rücken der Balkon mit Blick auf den Monbijoupark, vor ihm Papier, ein Laptop. Es sieht nach reichlich Arbeit aus auf seinem Schreibtisch.
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg vergibt die durch die ORB-SFB-Fusion frei gewordene Frequenz 106,8 neu. 25 Kandidaten bewerben sich darum. Renner gilt als einer der aussichtsreichsten. Der Ex-Plattenboss, der nun Radio machen will: Das klingt überraschend - ist es aber nicht. Schließlich hat er als Musik-Journalist beim Radio begonnen.
Nirgendwo in Deutschland ist die Frequenzskala so voll wie in Berlin. 28 Sender gibt es. Und weil es aus technischen Gründen zwischen zwei Sendern einen gewissen Abstand geben muss, ist auch kein Platz mehr für weitere Anbieter. Mehr Radiosender kann es nicht geben. Zumindest nicht bei terrestrischem Empfang. Zwar gibt es längst digitale Empfangsgeräte, doch sie setzen sich nur schwer durch. Wer ein massenwirksames Radio will, setzt noch immer auf analoge UKW.
Berlin sei "der toughste, aber auch beste Radiomarkt" in Deutschland, sagt Renner. Sogar er habe sich in Berlin nach Jahren der hanseatischen Abstinenz das Radiohören wieder angewöhnt, behauptet der Hamburger. Und nun will er selbst Radio machen.
"Wir wollen die letzte Lücke schließen." "Motor FM - das Downloadradio" ist der Name seines Projekts. Und dahinter steht ein innovatives Konzept. Lieder, die man im Radio hört, kann man sich gleich von der passenden Internetseite herunterladen. Gegen Gebühr natürlich. Was sonst. Renner glaubt, dass Musik längst unabhängig vom Datenträger verkaufbar ist. Der Erfolg von Apples Internetmusik-Shop "i-Tunes" gibt ihm Recht. "Eigentum definiert sich heute übers Icon auf dem Bildschirm", sagt er. Vor allem für die um die 20-Jährigen sei Greifbarkeit keine Voraussetzung zum Kauf. Die 20-Jährigen markieren die Untergrenze der Kernzielgruppe von Motor FM, die bis zu den 35-Jährigen reicht.
Aber Alter sei eher eine Sache der Mentalität. Und so ist es für den 40-jährigen Renner auch keine Frage, dass er selbst auch noch zu den angepeilten Hörern gehört.
Das Projekt soll mischfinanziert werden aus Werbung und Download-Gebühr. Er setzt auf aktive Hörer. Auf Musikinteressierte. Und eher auf Klasse als auf Masse. Und wird er selbst moderieren? "Das würde mir schon in den Fingern jucken, aber dann müsste ich alles, was ich mal übers Nichtnuscheln gelernt und wieder vergessen habe, reaktivieren."
Doch noch ist es nicht so weit. Renner ist nicht allein mit seinem Ansinnen. Da gibt es zum Beispiel noch Radio Europa Zentr. Das ist das neueste Projekt des auf russische Medien spezialisierten Unternehmers Nicholas Werner.
Er bewirbt sich um die Berliner Frequenz und die beiden ebenfalls ausgeschriebenen in Königs Wusterhausen und Oranienburg. Es soll ein Radio für die russische Community in russischer Sprache werden. "Mit 300 000 ist sie relativ groß", sagt Natalia Federova, "Berlin ist eine wichtige Stadt." Darum gibt es auch schon den Sender Radio Russkij Berlin. Bisher sendet er zusammen mit anderen Sendern nur einen Teil des Tages auf der Frequenz 97,2. Nun will er eine eigene.
Geschäftsführer Dimitri Feldmann sieht der russischen Bewerberkonkurrenz gelassen entgegen. "Es war für uns sehr schwierig, diese geteilte Frequenz zu bekommen, ein zweiter russischer Sender hat kaum eine Chance", prognostiziert Feldmann. Er jedenfalls hat schon größere Räume angemietet, die er bereits am 1. November beziehen möchte. Während die beiden Sender hauptsächlich auf Russisch senden, setzt Radio Lotte in seinem Konzept auf Deutsch. Die Gesellschafter planen "ein Format mit überwiegend deutschsprachiger Musik". 80 Prozent sollen es werden, sagt die Geschäftsführerin der GmbH in Gründung, Katrin Jäger. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Musik von damals. Rock 'n' Roll, Schlager, Deutsch-Pop. Die Zielgruppe? "Die arg vernachlässigten Hörer ab 40." Bis zu 100 000 Hörer werden erwartet - allerdings ist der erste Hörernachweis frühestens in der Media-Analyse 2006 möglich.
Auch das schwul-lesbische BluRadio hofft den Sprung auf eine eigene Frequenz zu schaffen. Bisher ist es immer am Wochenende ab 20 Uhr zu hören. Daneben gibt es noch Bewerbungen von Orchideen-Projekten wie dem Truck-Radio für Vielfahrer, dem christlichen Radio Horeb oder der Radio-Energy-Kette, die eine Kreuzung aus Comedy und Rock will.
Ernst zu nehmender Mitbewerber, wenn auch mit wenig bis gar keinem Innovationspotenzial, ist die Viva Radio Beteiligungs-GmbH. Es ist der zweite Versuch von Viva-Vorstandschef Dieter Gorny, einen jungen Radiosender zu starten. Viva-Radio sollte ursprünglich in Nordrhein-Westfalen auf Sendung gehen. In Zusammenarbeit mit dem Privatsender Radio NRW war ein Mittelwelle-Sender geplant. Dieses Vorhaben scheiterte, als man bei der damaligen Marktsituation keine Erfolge in der Zielgruppe erwartete.
"Überraschend" fand Renner die Bewerbung von Gorny, und man merkt ihm an, dass er die Geheimniskrämerei von Gorny nicht gut findet. Denn eigentlich sucht Renner für seine Idee ja noch Verbündete. "Nachahmer sind sehr willkommen", sagt Renner. Denn ihm geht es um mehr als eine einträgliche Versorgung. In seinem Buch "Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm" (Campus-Verlag, erscheint Ende September) denkt er "über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie" nach, wie der Untertitel verrät.
Er zeigt auf, wo die großen Labels durch die Digitalisierung der Musikwelt irrten, und welche Wege aus der Krise führen. Und im wirklichen Leben beschreitet er sie auch gleich selbst. Das Musikprogramm von Motor FM soll hauptsächlich aus dem Bereich "Alternative Musik" stammen und Neues, Frisches präsentieren. Er will Musikfreaks ansprechen. Jene, die von den Plattenfirmen und den Radiosendern mit ihrer Mainstream-Orientierung lange vergrätzt wurden.
Angebote von moderationsbegeisterten DJs hat er schon mehr als genug. Da gibt es ehemalige Kollegen aus der Plattenbranche genauso wie Musikliebhaber, die sich freiwillig versklaven. "Wenn ihr mich lasst, mache ich die ganze Nacht" - das habe er öfter gehört. Um Geld geht es dabei erst mal nicht. Auch Renner würde als Geschäftsführer ohne Gehalt arbeiten. Das klingt alles angenehm idealistisch und altmodisch. Der DJ wählt aus, was gespielt wird, nicht der Musikcomputer. Der ist nur noch zum Downloaden da.
Doch Motor FM soll nicht nur Radio sein, sondern Antriebskraft für ein neues eigenes Label werden. Tim Renner hat schon eine Vision, verrät aber nichts. Die Internetseite
www.motor.de hat er jedenfalls von Universal wieder übernommen.