Es gibt kein richtiges Fernsehen im falschen
27. Dezember 2003, 02:10, Neue Zürcher Zeitung
Es gibt kein richtiges Fernsehen im falschen
Ein Abgesang auf Harald Schmidt
Während acht Jahren hat Harald Schmidt mit einer nach ihm benannten Sendung auf dem deutschen Privatsender SAT 1 das Publikum spätabends vor den Fernseher gelockt. Als er vor zwei Wochen bekannt gab, dass er aufhören würde, ging ein Aufschrei des Entsetzens durchs Publikum und die Feuilletons. Am 23. Dezember wurde nun die letzte Sendung ausgestrahlt - Anlass für einen kleinen Nachruf.
So gut war er nun wiederum auch nicht. Da rückt einer zum tausendsten Mal seine Brille zurecht, und alle sind hingerissen. Da wird das Auto einer Zuschauerin auf die Bühne gefahren und mit konventionellen Aufklebern verschönert. Was daran so lustig ist, habe ich nicht verstanden. Da gibt es ritualisierte Wortwechsel zwischen dem Meister und dem Adlatus. Eine erprobte Konstellation; nicht nur Shakespeare und Goethe haben sie besser hingekriegt. Da schnurren running gags, die ein dankbares bis unterwürfiges Publikum stets erneut mit Beifall quittiert. Warum eigentlich?
Kultsendungen heissen auch deshalb Kultsendungen, weil sie so verlässlich sind, wie es Kultereignisse eben sind. Die Harald-Schmidt- Late-Night-Show war über acht lange Jahre hinweg TV-Abend-Liturgie für mediale Glaubenszweifler, die wohl ernsthaft dachten, sie seien eine intellektuelle, verwegene Minderheit. Wohl deshalb haben sie ihn und sich selbst so inbrünstig beklatscht.
Einsame Höhepunkte
Tabuverletzung, Inkorrektheit, das Muster ist bekannt. Aber eben dies sei doch toll, unglaublich, gewagt, unvergleichlich, sagen die Harald- Schmidt-Bewunderer aus den Feuilletons: dass und wie da jemand unerschrocken und ohne Rücksicht auf Verluste das Fernsehen vorführe und zeige, wie mies es sei. Als wenn man das nicht vorher schon gewusst, erlitten, erfahren hätte. Wenn einmal eine Harald-Schmidt-Sendung langweilig sei, so die Fans, dann eben, um vorzuführen, wie langweilig und nichtssagend das Fernsehen ist. Die letzte Endspiel-Sendung, einen Tag vor Weihnachten, war einfach nur grauenhaft langweilig.
Aber, sagen die Fans mit leuchtenden Augen, diese einsamen Höhepunkte, Klassiker der jüngeren TV-Geschichte: eine ganze Fernsehsendung mit dunklem Bild, nur Töne und Stimme - toll. Oder: Harald Schmidt karikiert das «Literarische Quartett» um Marcel Reich-Ranicki. Und wie er das mache, grossartig, indem er ganz ernsthaft auf Bücher eingehe. Wie wenn das «Literarische Quartett» nicht selbst seine beste Karikatur wäre, was, so die Kultgemeinde, eben Harald Schmidt zeige, indem er es vorwegnehme und dekonstruktiv das am folgenden Abend ausgestrahlte Original als Medienplagiat vorführe. So viel Intellektualität, Frechheit, Kühnheit im Fernsehen war nie - sagen die Bewunderer. Selbst den eigenen Sender und die Werbeunterbrechungen habe er wiederholt verspottet. Klasse.
Alles das stimmt. Dass Harald Schmidt eine Ausnahmebegabung unter all den Moderatoren und Talkmastern ist, bestreitet niemand. Er hat aber diese Begabung an ein unsinniges Projekt und sein Publikum an die Werbeindustrie verkauft. Unsinnig ist Harald Schmidts TV-Kultsendung, weil ihr Macher wie viele Intellektuelle nicht begriffen hat, was Fernsehen ist. Harald Schmidt scheint trockenen Auges geglaubt zu haben, Fernsehen könne intellektuell, selbstreflexiv und ironisch sein. Aber das stimmt nicht. Fernsehen kann hervorragend Fussballspiele übertragen, Gefühle freisetzen, Kinder mit Teletubbies-Geschichten erfreuen, die Physiognomien redender Menschen zeigen, neue Produkte auf dem Markt lancieren und Stars wie Harald Schmidt aufbauen. Es kann sogar einigermassen gut Filme und Parlamentsdebatten wiedergeben.
Es ist aber denkbar schlecht geeignet, intellektuell aufzuklären und komplexe Reflexionsprozesse voranzubringen (Kants «Kritik der reinen Vernunft» lässt sich nicht verfilmen). Kein klarer Kopf käme auf die Idee, der Rundfunk sei das genuine Medium für Ballett-Übertragungen. Warum ein kluger Kopf wie Harald Schmidt auf die absonderliche Idee verfällt, der Medien-Nonsens könne selbstreflexiv werden, wissen die Mediengötter.
Das Medium ist die Botschaft
Harald Schmidt ist grandios gescheitert, weil er die Grundlektion nicht begriffen hat, dass das Medium die Botschaft ist. Er hat wohl ernsthaft geglaubt, (s)ein Kopf könne das Medium der schönen Oberflächlichkeit bezwingen. Herausgekommen ist bestenfalls die reine Selbstreferenz des Mediums. Ein Beispiel: Der Gast der vorletzten Sendung vom 22. Dezember teilt mit, er wolle ein Gedicht aufsagen, steht auf und sagt: «Danke.» Alle klatschen, danke, Harald, wir werden dich sehr vermissen. Die Medien-Gebildeten unter den TV-Verächtern hören selbstredend das «Danke, Anke» mit und ahnen, dass eine gewisse Anke Engelke die Sendung auf ihre Art fortführen wird. Eine Sternstunde anspielungsreicher Intertextualität. So witzig kann Fernsehen sein! Von trostlosen Endlosschleifen ist der spezifische Witz kaum zu unterscheiden, den Harald Schmidt im Fernsehen liturgisch etabliert hat. Es gibt kein richtiges Fernsehen im falschen. - Gar nicht witzig ist ein selten bedachter Umstand: Das Ende der Harald-Schmidt-Show fällt zusammen mit dem zwanzigsten Jahrestag der Einführung des dualen Mediensystems in Deutschland. Es hat nicht nur für eine schier unbegreifliche Menge an Unfug gesorgt, der durch die Kanäle gespült wird. Die zahlreichen Privatsender sind auch dafür verantwortlich, dass es eine gemeinsame Medien- Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht mehr gibt. Keiner kann sich mit Nachbarn oder Kollegen über den Medienkonsum von gestern Abend unterhalten, denn alle haben in jeder Weise zerstreut wahrgenommen, was die Kanäle hergeben.
Harald Schmidt hat diese Zerstreuung im halbintellektuellen Lager halbwegs rückgängig gemacht. Über ihn konnten alle, anders als über Luhmann, Sloterdijk und Derrida, (mit)reden. Harald Schmidt war auch so etwas wie die Büsserfigur der privaten Medienindustrie. Und als diese Figur war er, geben wir's nur zu, manchmal doch sehr gut. Wir werden ihm wie allen, die auf einem gewissen Niveau scheitern, stets ein ehrendes Andenken bewahren.
Jochen Hörisch