Wer im deutschen Sprachraum zum Radiostar wird entscheiden einige wenige Leute, und die verdienen an der Vermarktung der "beworbenen" Titel natürlich in erheblichem Maße mit.
Die verdienen zwar mit, aber "beworben" werden die Titel eher durchs breite Massenpublikum. Jedes Formatradio hätte ja die Möglichkeit gehabt, heutige Stars wie Namika, Lana Del Rey oder Helene Fischer gespielt zu haben, BEVOR sie die Plattenindustrie unter Vertrag genommen haben. Die Sender bräuchten nur einen Aufruf zu starten: "Liebe Newcomer-Künstler, schickt uns Eure Demos, wir spielen sie einfach!" Da vermutlich kein Künstler so ein Angebot ablehnen würde, könnte ein Radiosender auch praktisch ohne großen Personalaufwand Trendsetter sein - einfach alles Neue als erstes spielen, die künftigen Chart-Erfolge werden dann auf jeden Fall dabei sein.
Nur ist das Massen-Publikum offenbar extrem selektiv, denn es werden ja immer nur sehr wenige Titel erfolgreich. Letztlich will kein Konsument sich 522 neue Titel anhören, die er nicht mag, damit er den 523. schon hört, bevor er sich durchsetzt. Es existiert ja kein einziger Radiosender, der einfach sein gesamtes Musikarchiv auf A-Rotation setzt und damit auch nur ansatzweise erfolgreich ist. Das machen halt die Internetsender, die dann bei <5 Hörern rumkrebsen.
In anderen Ländern gibt es konkurrierende Musikformate, nicht so im gelenkten deutschen Berater-Einheitsmainstream.
Diese Musikformate sind auch nur auf den ersten Blick unterschiedlich. In den dortigen Ländern sind das ja auch nur unterschiedliche Paletten von Mainstream. Es gibt ja auch in Deutschland unterschiedliche Formate. In NRW laufen auf Eins Live z. B. Martin Solveig, Swedish House Mafia oder Kraftklub, die laufen auf WDR 4 nicht. Umgekehrt laufen da Bee Gees, Elton John und Herman's Hermits, die kommen aber nicht auf Eins Live. Nur wenige Sachen, z. B. von Adele, laufen wirklich auf beiden Sendern. Die Schnittmenge ist nicht so groß. Im Ausland fällt das nicht so auf, weil man da nicht so lange ist und dann nicht so lange einen Sender hört. Vielleicht würde einem das griechische Gegenstück zu Kraftklub auch zum Hals raushängen, wenn man mehrere Wochen den ganzen Tag einen Athener Jugendender an hat. Auf dem Konkurrenzkanal läuft vielleicht jeden Tag vier Mal dieselbe Sirtaki-Folk-Nummer.
Woher sonst sollte der Mensch neue Musik kennenlernen als durch heimische Promotion, Hansi Knorke weiß doch in der Regel gar nicht was in Amerika ein Hit ist und was nicht.
Die Mainstream-Geschichten verbreiten sich vielleicht nicht übers Radio, aber Jugendliche erzählen sich das untereinander, gucken es auf Youtube oder Spotify, liken die Band dann auf Facebook. Da geht es gar nicht um Amerika; Leute wie Kraftklub, Cro, Namika bzw. auch die ganzen Abräumer der "Eins Live Krone" sind rein deutsche Produktionen, und auch Eins Live hat alle diese Leute erst im Radio gebracht, nachdem sie irgendwo anders schon Referenzen gesammelt haben.
Und je mehr unterschiedliche Promotionskanäle wir haben, umso besser. UKW-Monopolradio war gestern.
Es funktioniert aber eben auch nicht, wie Reinhard Mey schon in den 70ern in seinem Hit "Daddy Blue" das Thema "Möchtegern-Musiker" aufgegriffen hat. Es mag zwar vorkommen, dass der ein oder andere Musikfreak tatsächlich sagt: "Dieser Hans Müller aus Bischofswerda ist ja ein Musiker, der mir so gut gefällt; hätte das Fernsehen ihn nicht gebracht, hätte ich ihn nie kennen lernen können! Die breite Masse ist hingegen anderer Meinung: "Wenn er schon die kleine Eckkneipe, wo nur 50 Leute reingehen, nicht voll kriegt, ist er einfach fürs Radio nicht gut genug. Sind die Leute in der Kneipe begeistert, kann er das nächste Mal vielleicht auf dem Stadtteilfest vor ein paar hundert Leuten spielen, irgendwann vielleicht mal in der Stadthalle vor 1000 Leuten, und dann ist er vielleicht auch irgendwann fürs Radio gut genug."
Hier im Forum sind zwar mehr "Freaks" unterwegs, aber irgendwie kann man die Leute auch verstehen, wenn sie sagen: "Was hat der Nobody-Möchtegern denn im Radio oder Fernsehen verloren?" Daher hat sich ja unter den ganzen DSDS & Co. Leuten kein einziger Star herauskristallisiert, der auch weiterhin Erfolg hatte (Konzert-Tourneen, Plattenverkäufe...), nachdem die TV-Scheinwerfer ausgeknipst wurden. Leute wie Kraftklub, Wolfgang Petry oder Helene Fischer hatten aber schon Erfolg mit Auftritten in kleineren Clubs, Discos, etc. auf lokaler Ebene, bevor sie dann irgendwann mal ins Radio oder Fernsehen eingeladen wurden. Unter dem gleichen Schicksal litt ja auch die Eurodance- und Techno-Musik in den 90ern. Sicher hat auch dieser Sound ein paar hartgesottene Fans, aber offenbar zu wenige, um im terrestrischen Radio die Fahne hochzuhalten. Und Retortenmusik, die nicht live konzertabel ist, kann sich nicht von unten hoch arbeiten.