"Ist Kirchenfunk noch zeitgemäß?"
Für die Zielgruppe, vor allem die aktiven Gemeindemitglieder (in all' ihrer breiten Streuung): Ja.
Für einen großen Teil der Bevölkerung: Nein. Und genau da liegt die Crux.
Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und ziehe hier Wikipedia als Quelle heran:
https://de.wikipedia.org/wiki/Religionen_in_Deutschland
Wer bessere - und vor allem: aktuellere - Zahlen hat, bitte gerne her damit.
Die dort ablesbaren Zahlen zeigen ein interessantes Bild: Der Anteil konfessionsloser Menschen an der Bevölkerung liegt bei etwas über einem Drittel, was eine sowohl bemerkenswerte wie auch relevante Größe darstellt.
Die Christen
insgesamt sollen demnach knapp 60% ausmachen, woran die beiden "großen Kirchen" ca. 55% stellen, mit annähernd gleicher Aufteilung auf EKD und r-k.
Nähme man es jetzt also spitzfindig, wäre die größte gesellschaftliche Gruppe in Bezug auf Religionszugehörigkeit tatsächlich die der konfessionslosen.
Die künstliche Gruppierung "Christen" ist dahingehend ein Blender, als sich Katholiken und Evangelische ja schon bei grundlegenden gesellschaftlichen Fragen uneins sind (Scheidung, erneute Heirat, Homosexualität, Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und was mir noch so alles einfällt, wenn ich länger nachdenke). Nähme man nun noch z.B. die Freikirchen hinzu, wird es ganz konfus, denn gerade hier finden sich ja erzkonservative bis fundamentalistische Strömungen, die z.B. mit der EKD nicht vereinbar sind. Man frage nur mal einen aus der EKD ausgetretenen und zu den Baptisten gewechselten Evangelikalen (in dem Fall ist der Begriff zutreffend), ob er mit all' anderen Christen in einen Topf geworfen werden möchte: Nein, möchte er nicht, genau deshalb ist er ja gewechselt; im Extremfall hält er sich gar für den besseren Christen. Nun ja.
Von daher: Ja, wir haben viele verschiedene religiöse Strömungen bei uns, und sie haben vor
sehr langer Zeit auch (viel zu) stark unser gesellschaftliches Leben geprägt (die Überreste davon zu beseitigen, fällt uns seit Jahrzehnten (!) nach wie vor schwer). Aber daraus eine Kultur, eine Tradition oder gar ein gesellschaftliches Vorrecht abzuleiten, das halte ich für falsch.
Und damit zum Radiobezug.
das Recht auf Sendezeit ist im Staatsvertrag verbürgt
... und gehört meines Erachtens dort nicht
mehr hin.
Auch wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein Staatsfunk ist und die beiden größten Religionsgemeinschaften in Deutschland keine Staatskirchen sind, wie so gerne fälschlich formuliert wird, so erwecken sie doch gerne diesen Anschein und gebärden sich auch so.
Diese Denke und dieser vermeintliche Anspruch sind nicht (mehr) angemessen.
Der Witz daran: Da keine Staatskirche in keinem Staatsfunk sendet, ist diese Illusion mit dem Bild des säkularen Staates vereinbar. Das Erscheinungsbild nach außen jedoch ist, mit weniger spitzer Feder, freilich ein anderes.
Eine immer noch wichtige gesellschaftliche Facette wird sowohl abgebildet als auch journalistisch begleitet.
Dass ausgerechnet diese gesellschaftliche Facette wichtig sein soll und einer journalistischen Begleitung bedarf, stelle ich hiermit ganz gewaltig infrage. Vielmehr stellt es sich mir so dar, dass der Rundfunk in Kirchenfragen stets zum besseren Verkündigungsfunk wird ("Kardinal xyz stellte seine Oster- / Pfingst - / Weihnachts- / Dreikönigs-Botschaft unter das Motto / rief dazu auf / ermahnte") - Entschuldigung, das übersteigt ein Maß der journalistischen Begleitung für eine gesellschaftlich durchaus als Minderheit zu betrachtende Gruppe.
Dass diese Gruppe(n) als gesellschaftliche Vertreter im Rundfunkrat vertreten sind - ich hoffe, in angemessener Relation -, das möge bitte so sein, das ist okay. Aber derzeit empfinde ich den Anteil kirchlicher Nachrichten und Botschaften im Programm als zu hoch.
Kurz noch etwas in eigener Sache, was zum Verständnis meiner Meinungsäußerung beitragen kann: Ich bin (seit vielen Jahren) konfessionslos, sehe mich als Atheist, stehe aber auch mit Agnostikern in Verbindung und im Austausch. Dass unser Staat ein säkularisierter sein soll, nehme ich ihm nicht ab; darüber hinaus favorisiere ich ein laizistisches Konzept (welches im übrigen in unserem Nachbarland Frankreich bestens praktiziert wird).
Zum Thema "eigene Sender mit religiösem Hintergrund" schreibe ich später noch etwas.
Auf die zwischenzeitlich geführte Diskussion über religiöse Einflüsse und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft jenseits des Radios möchte ich hier nicht eingehen. Sie zeigt an einigen Stellen lediglich auf, wie emotional und teilweise auch (selbst-)verlogen die Debatte geführt wird und dass eine feste Überzeugung und das Festhalten an gewissen Ideologien mehr teilt als eint.
Dieses viel zu wenig beachtete, spaltende Element sollte journalistisch durchaus begleitet werden - aber als Berichterstattung, nicht als "Freiraum gewährend für die eine oder andere Religion".
Ende von Teil eins.