AW: Funkhaus historisch: Nalepastraße
So, nun ist hier so einiges an netten Dingen zusammengekommen. Ich möchte das zum Anlaß nehmen, mal einige Kommentare zu einzelnen Bildern und Texten zu geben.
Wir starteten eigentlich mit dem Funkhaus Nalepastraße in Ostberlin, das in den 50er Jahren aufgebaut wurde, um den Verlust der Masurenallee zu kompensieren und ein modernes und leistungsfähiges zentrales Funkhaus für den Rundfunk der DDR zur Verfügung zu haben. Rundfunk bedeutete damals (und bis zum Ende der DDR) im DDR-Verständnis nicht nur die laufenden (mehr oder weniger Live-)Programme, sondern auch eine Einrichtung, die sich der Produktion von Musik und künstlerischem Wort verschrieben hatte. Ebenfalls experimentierte man im Umfeld des Rundfunks der DDR an neuen Klangerzeugungsgeräten, es gab ein Studio für elektronische Klangerzeugung.
1955, kurz vor der Fertigstellung, fiel ein großer Teil der Inneneinrichtung der Säle einem Brand zum Opfer. Offiziell wurde damals Brandstiftung als Grund genannt, man erzählt sich allerdings hinter vorgehaltener Hand, es wäre Fahrlässigkeit im Spiel gewesen. Das Feuer breitete sich schnell durch die Belüftung im Hause aus. Bei den Wiederaufbauarbeiten änderte man gleich noch viele Dinge, die sich als unzweckmäßig erwiesen hatten. Das Parkett wurde abgeschliffen, einzelne Brandspuren waren aber immer zu besichtigen gewesen - man sagt, mit Absicht. Im Februar 1956 konnte man aber bereits auch diesen Teil des Funkhauses den Mitarbeitern übergeben.
Die Entwicklung der Übertragungs- und Sendetechnik lief im Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt (RFZ) in Berlin Adlershof, und dieses wiederum war mehr doer weniger eine direkte Fortsetzung der Entwicklungs- und Forschungstätigkeit des ehemaligen Reichsrundfunks. Man kann also sagen, daß die geradlinige Rundfunk-Technikentwicklung nach dem Krieg in der DDR verblieben war.
Vergleicht man z.B. das Foto des
DLF-Schaltraumes aus dem Jahre 1980 mit dem wesentlich umfangreicheren
Schaltraum des Funkhauses Nalepastraße aus den 50er Jahren, so fällt auf, daß letzterer wesentlich aufgeräumter wirkt. Da wurde wirklich alles bis ins letzte durchdacht. Kabelsalat gab es dort nicht, das riesige Klinkenfeld ist nicht etwa leer, sondern in Betrieb! Verbunden wurde kabelfrei, nur durch Einstecken des Spezialsteckers am entsprechenden Kreuzungspunkt. Gute Techniker hatten es drauf, eine Ausgangsleitung knack- und unterbrechungsfrei von einem Studio auf das andere umzuschalten, sofern die Klinken in Reichweite der ausgestreckten Arme lagen. Alle technischen Räume des Funkhauses waren mit dem Schaltraum bidirektional verbunden. Die Umschaltungen erfolgten über das riesige Kreuzschienenfeld mit 7800 Schaltelementen. Alle ankommenden Postleitungen liefen über einen Kabelentzerrung und einen Vorverstärker, dann gingen sie auf die senkrechten Reihen der Kreuzschiene zur Weiterverteilung. Alle Studiosignale lagen ebenfalls auf den senkrechten Reihen an und wurden über Klinken auf die entsprechenden waagerecht liegen Ausgangsleitungen ("Straßen") verteilt. Im Schaltraum befanden sich auch der Pegelgenerator mit einem Referenzpegel von + 6 dB entsprechend 0 dB = 0.775 V, mit dem täglich alle Technikräume eingepegelt wurden, sowie der zentrale Massepunkt (!) des Funkhauses mit daran angeschlossener "Ringerde". Es gab auch getrennte Netzsteckdosen für normale Verbraucher und Studiogeräte in den Technikräumen, um Brummschleifen und andere Störungen zu verhindern.
Die technischen Komponenten waren einheitlich ausgeführt, es gab nur eine geringe Zahl unterschiedlicher Verstärkertypen. Alles war in Einschubtechnik ausgeführt und konnte schnell gewechselt werden.
Probleme bereitete die Belüftung und Klimatisierung des Funkhauses. In den Produktionskomplexen war es anfangs unerträglich stickig, es wurde nachträglich eine Klimatisierung installiert, die jedoch Geräusche produzierte, was zu etwas hilflos wirkenden Versuchen der Dämpfung durch Holzumbauten führte, die nun die Decke der Studios verunstaltete.
Die RFZ-Pulte der 700er Serie (siehe
hier,
hier und
hier waren unverwüstlich und das letztgezeigte ist noch heute im Einsatz, 30 Jahre nach seiner Herstellung. Ersatzteile sind, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, noch ausreichend vorhanden und regelmäßig erscheint ein ehemaliger Mitarbeiter der Abteilung Messtechnik, der sich mit dem Pult noch auskennt und es wartet. Die Fader (Kohleschicht mit NF drauf, also keine VCAs) machen inzwischen Ärger, nach all der Zeit nicht verwunderlich. Selbst diese Regler (es fällt alten Ost-Rundfunktechnikern schwer, sich an den Begriff "Fader" zu gewöhnen, sie wissen auch nicht, was ein "Clean Feed" ist und kennen stattdessen eine "Konferenzleitung) wurden im RFZ entwickelt und produziert - wie jede andere Komponente der Pulte auch, mit Ausnahme von Dingen wie Plasteknöpfen etc. Das Pult war seinerzeit weitgehend diskret mit Si-Transistoren aufgebaut und das RFZ beschäftigte sogar einen eigenen Produktdesigner, der auf ergonomische Oberflächen achtete.
Den modularen Aufbau der Pulte mit der freien Zugänglichkeit aller Komponenten erwähnte ich ja bereits. Und so begann jede Produktion erst einmal mit einer "Umbauzeit", in der der verantwortliche Techniker das Pult mittels Klinken auf die Erfordernisse der Produktion abstimmte und einpegelte.
Die blauen Handbücher der Pulte ("Blaubücher") müßten vereinzelt noch existieren.
Die
Pegelanzeige ist in der Tat keine spektrale, sondern eine mehrkanalige Ausführung, mit der mehrere Ausgänge, Mischpunkte etc. gleichzeitig überwacht werden konnten. Welche, legte freilich ebenfalls der Techniker fest.
Die
Bandmaschinen aus DDR-Produktion kamen von der Firma VEB Tontechnik Berlin, die aus dem Unternehmen Sander & Jansen hervorgegangen war. Andere Geräte stammten aus Leipzig und aus Ungarn. Auch das RFZ fertigte Bandmaschinen, darunter auch Mehrspurmaschinen (8-Spur etc.).
Die
Regler, die man hier in den Tisch eingelassen sieht, sind wahre Monster mit fast nem halben Meter Bautiefe. Das sind halt keine Flachbahnregler, sondern erinnern eher an die Steuerhebel in alten Straßenbahnen. Ganz unten ein Drehpunkt, obendrüber gibt es diskrete Kontakte, die das NF-Signal sehr feinfühlig stufenweise abschwächen. Man erkennt ja auch, daß die Bedienoberfläche entsprechend des Hebelweges gekrümmt ist. Ich hatte auch mal eine Reglerkassette in der Hand, die einen Flachbahnregler enthielt, der letztlich über einen Seilzug ein Drehpoti bediente. Wohin ich den gedanklich einzusortieren habe, weiß ich momentan aber nicht. Möglicherweise hatte der aber auch nie etwas mit DDR-Studiotechnik zu tun.
Und die
Plattenspieler sind was ganz geiles: wer weiß schon, daß man ganz früher in den prä-Tonband-Zeiten mit Methoden arbeitete, derer sich heute jeder DJ bedient? Man spielte damit also Schellack oder - achtung - Folien. Folien waren damals (eigentlich in der Vorkriegszeit) gängiges Rundfunk-Speichermedium. Abgetastet wurden die Folien mit einer Holz(!)nadel, und zwar von innen nach außen. Da sich der Schneidstichel bzw. bei der Wiedergabe die Nadel abnutzten und immer schlechter feine Auslenkungen schneiden bzw. abtasten konnten, war es sinnvoller, nach außen hin schlechter zu werden, da dort die aufgezeichneten Wellenlängen durch die größere Bahngeschwindigkeit eh größer waren und die Abtastfähigkeit nicht so sehr gefordert wurde.
Vor den beiden Geräten saß der Assistent. Er hatte auf beiden Tellern Folien zu liegen, eine von beiden lief gerade (und das nur wenige Minuten lang). Akustisch gab es stets einen kurzen Überlapp von der vorhergehenden bzw. zur folgenden Folie. In dieser kurzen Zeit machte der Techniker nun das, was heute jeder House-DJ macht: er synchronisierte durch Abbremsen und Beschleunigen von Hand beide Folien und verglich dabei über Kopfhörer. Waren beide Folien synchron (viel Zeit hatte er dazu nicht), blendete er von einem auf den anderen Plattenspieler um, nahm die abgelaufene Folie runter, setzte eine neue Nadel ein und begann das Spiel mit der nächsten Folie.
Noch lange in die "moderne" Zeit hinein saß in Ostberlin im Archiv eine Frau und schnitt Folien auf Band um. Ein großer Teil des RRG-Archivs hatte in einem Bunker überdauert, der sich nun auf DDR-Gebiet befand, so daß viele historische Aufnahmen halt in der DDR gelandet waren. Schon recht zeitig waren Leute aus den Altbundesgebieten in den Umschnittgeschäften mit drin, das war aber alles geheim und ich kann nichts genaueres dazu sagen, weil kaum jemand was genaues weiß.
In den 90ern bekam der SFB aus einer überraschend anderswo gefunden Quelle wertvolles Material zurück: es lag jahrzehntelang in der Sowjetunion, war damals von Soldaten mitgenommen worden und hatte die Zeit gut überdauert. Darunter wohl auch die ersten Stereoaufnahmen der RRG.
Der Deutsche Soldatensender 935 wurde zwar in Bestensee produziert, aber erst in seiner letzten Phase. Falls irgendwer ein Manuskript des Features "Der Laubfrosch hat die Farbe gewechselt" (D-Radio, irgendwann 2000) auftreiben kann - die Infos, die dort gegeben werden, sind korrekt. Auch die Info, daß das Programm des Freiheitssenders 904 aus dem Nachbargebäude der Rundfunkschule gesendet wurde. Der Standort Regattastraße wurde übrigens noch längere Zeit nach Bezug der Nalepastraße aus Kapazitätsgründen für Produktionen genutzt.
Und für alle, die brav bis hierher gelesen haben, gibts jetzt nochmal einen Blick in eine Nalepastraßen-Hörspielregie. Anlaß war die Wiedereröffnung der Hörspielregie 1 nach Einbau der 700er Technik nebst Umbau auf Stereo. War wohl damals sogar ein Pressefoto. Die abgebildeten Personen kenne ich bis auf einen allerdings nicht...