Ich habe bisher immer noch keine gute Begründung für die 20-59-Jährigen als Referenzzielgruppe gelesen. Für die 50-59-Jährigen spricht die enorme Kaufkraft, dagegen sprechen die oft schon lange festgelegten Markenpräferenzen und die geringe Innovationsfreude. Es kann für manchen Sender durchaus Sinn ergeben, sich etwas älter zu positionieren. Die fünf großen Broadcast Networks in den USA positionieren sich ja auch unterschiedlich auf dem Werbemarkt, FOX und CW peilen eher die 18-34-Jährigen an, ABC ist stark beim weiblichen Publikum, CBS spielt zwar bei den 18-49-Jährigen auch eine gewichtige Rolle, ist aber bei den 25-54-Jährigen und beim Gesamtpublikum die Nr. 1, das sich in der Dauer-Quotenkrise befindliche NBC gab vor ein paar Jahren mal bekannt, dass man Haushalte mit einem überdurchschnittlichen Einkommen ansprechen möchte, mit dem Ergebnis, dass das Programm völlig ausblutete... Es muss nicht nur die eine Referenzzielgruppe geben, es gibt ja auch nicht nur die eine Werbekampagne. Das hat man auch bei Kress, Quotenmeter und DWDL bis heute nicht begriffen, dass bspw. die Zahlen für das Gesamtpublikum bei ProSieben völlig irrelevant sind, der Erfolg bei den 14-29-Jährigen dagegen umso interessanter wäre. Stattdessen zitiert man auch hier nur blind Gesamtpublikum und 14-49-Jährige bzw. versucht im Falle von DWDL nun die neue Zielgruppe 20-59 stur durchzudrücken.
Warum nun gerade RTL ein Interesse daran hat, sich älter zu positionieren, ist mir nicht ganz klar. Jedenfalls verliert die Mediengruppe so Marktanteile an die Öffentlich-Rechtlichen. Der einzige Sender, der unter Umständen davon profitieren könnte, wäre VOX (im aktuellen Jahr liegt man sowohl bei den 14-49- als auch bei den 20-59-Jährigen bei 7,5 % MA). In den USA spielt beim Werbeverkauf zumindest nicht nur die schiere Masse an Zuschauern eine Rolle, die zwar bei dem Zielgruppenwechsel wachsen würde, sondern auch, wie man im Wettbewerb mit den anderen Networks dasteht. Da legt man trotz Zuschauerverlusten bei den alljährlichen Upfronts zwischen 5-10 % beim Werbeumsatz zu trotz der schwachen Konjunktur – und das gerade, wenn man wie FOX oder CBS deutlich vor der restlichen Konkurrenz liegt. Das mögen hier in Deutschland durchaus andere Regeln gelten.
Letztlich bin ich gespannt, wie RTL seinem neuen Publikum Castingshows, Reality und die Scripted-Reality-Reihen schmackhaft machen möchte. Gerade jetzt, da es bei RTL im Abendprogramm schon derartig kriselt, wird es noch spannend, wie man nun auch noch den Zielgruppenwechsel verarbeiten möchte. Da kommt auf die Programmplaner und -redakteure noch ein dicker Brocken Arbeit zu. Vor allem mit Blick auf Sat.1, die von der neuen Zielgruppendefinition profitieren würden, frage ich mich, ob man sich bei RTL nicht ins eigene Fleisch schneidet. Da kann man in Köln von Glück reden, dass man in Unterföhring den Bällchensender nicht zum Laufen kriegt.