Warum sollte denn ein deutscher Sender noch den ESC übertragen? Es war doch gerade das deutsche Radio, welches Mitte der 90er anfing konsequent alles aus den Playlisten zu schmeissen, was nicht deutsch oder englisch gesungen wurde. Mehr findet doch im deutschen Radio nicht mehr statt. Gianna Nanninis "Bello e impossibile" kommt einem manchmal vor wie der ultimative Italo-Alibi-Hit. Da der aber inzwischen auch über 30 Jahre alt ist, wird er wohl in Kürze ebenfalls überall aus den Playlisten fliegen. Das es bei den restlichen Nachbarn in Frankreich und/oder Holland auch so manche musikalische Perle zu entdecken gäbe, interessiert doch keinen mehr in den Musikredaktionen. Von den östlichen Nachbarn ganz zu schweigen. Diese kuriose Ignoranz zeigt sich auch ganz gut an dem Gewinnertitel des diesjährigen ESC. Über 35 Mio Klicks bei Youtube, 20 Mio davon weit vor dem Finale, aber das dt. Radio interessiert es im Grunde nicht. Klar ist der Song gewöhnungsbedürftig, aber wenn der hiesige Rundfunk nicht bald mal lernt, dass man ab und an auch mal auf musikalische Ereignisse reagieren sollte und eben auch Youtube-Hits in die Playlisten aufnehmen könnte, ist dem Medium wirklich nicht mehr zu helfen.
Das 88.8 in Berlin trotz allem den ESC Jahr für Jahr immer wieder übertragen hat, war wohl vor allem dem Gespann Jürgen Jürgens/Reinhard Meynen zu verdanken. Beide verkörperten das, was heute in so manchem Sender fehlt - Moderatoren mit einem enormen Musikwissen, die zudem ohne aufgesetzte Fröhlichkeit in der Lage sind, Menschen für Musik jenseits der aktuellen Top50 zu interessieren. Da das heutige deutsche Radio den Blickfeld der Hörer aber immer weiter einengt und mitunter nicht mal über 300 Titel in der Rotation hinauskommt, ist sowas nicht mehr gefragt und schon gar nicht gewollt. Wie die Hörerschaft seit Jahren darauf reagiert, ist bekannt. Mal schauen welche Änderungen es bei der nächsten MA-Erhebung gibt, um sich die Hörerzahlen wieder schönreden zu können...