@ Vitamin C
Abschaffung sämtlicher Jugendprogramme, wie NJoy, hr XXL, Jump usw. und dessen Programmüberlassung den Privaten.
In mehrfacher Hinsicht interessant.
Erstens läuft Jump offiziell nicht als Jugendwelle, sondern will als Kernzielgruppe die 20 - 39jährigen ansprechen, die sich auf "Verbrauchen, Genießen, Erleben orientieren." Das reale Durchschnittsalter liegt bei 32,6 Jahren - was ich immer wieder interessant finde, denn so kommt das Programm nun wirklich nicht rüber. Trotzdem: die MDR-Jugendwelle heißt Sputnik und Jump ist eigentlich das Gegenstück zu dem, was bei anderen Öffis die Servicewellen sind. Wie ein Vergleich der Konzepte von z.B. hr3, Bayern 3 oder NDR 2 mit Jump ausgeht, steht auf einem ganz anderen Blatt...
Was die Jugendwellen betrifft: ohne aufs Programm zu schauen - warum sollten die Belange junger Hörer generell den Privaten überlassen werden? Ich sehe dafür keine wirklichen Gründe. Heißt im Umkehrschluß ÖR-Rundfunk automatisch "Seniorenfunk"? Wohl kaum. Heißt ÖR-Rundfunk automatisch ausschließlich "Hochkultur"? Zuweilen könnte dieses Image entstehen, wenn man sich die Konzepte einzelner Anstalten anschaut und "Hochkultur" mit "unpersönlich und steif" gleichsetzt. Da läuft auf der Servicewelle kaum Service, auf der Jugendwelle keinerlei redaktioneller Inhalt und Musik fast ausschließlich aus den Charts und man mag zu der Erkenntnis gelangen, man möge doch die Kulturwelle einschalten, um etwas von dem wiederzubekommen, was man als Rundfunkgebühr einGEZahlt hat. Die Ansprechhaltung dort wird allerdings auch nach der x-ten Reform (die den wirklichen Hochkulturbefürwortern im reiferen Alter vor Schmerz Tränen in die Augen treibt) nicht so sein, daß diese Programme von einer breiteren Schicht jüngerer Hörer akzeptiert werden, weil man eben nicht "ihre Sprache spricht", nicht ihre Kultur reflektiert. Schnell kommt dann der Begriff des "Berufsjugendlichen" auf. Ich bin - ohne es freilich demoskopisch untermauern zu können - weiterhin der Auffassung, daß das wichtigste Kriterium für Erfolg bei den jüngeren Hörern Glaubwürdigkeit ist. Die wollen nicht mit dem belehrenden Zeigefinder von oben herab angesprochen werden, wie es auf Kulturprogrammen klassischer Machart schonmal häufiger passieren kann. Sie wollen aber auch nicht permanent zugeclaimt und mit mittelmäßiger Chartsmusik abgespeist werden, wie es zumeist passiert, wenn man die Privaten an die Rundfunkversorgung der jüngeren Generation ranläßt (Ausnahmen wie z.B. teilweise Top40 in Thüringen gibt es). Zumindest die jungen Leute in meinem Umfeld wollen es nicht, viele hören deswegen kein Radio mehr. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte hier die Chance, mit einem bundesweiten Jugendvollprogramm seine (vorhandene, aber von den jungen Wellen oft kaum genutzte) Infokompetenz mit der in der ARD immer noch vorhandenen, aber nur lokal zugänglichen Szene- und Musikkompetenz (die Leute vom Zündfunk sind viel zu schade, um sie nur auf Bayern loszulassen, ebenso einiges aus der NDR info - Nachtschiene, das mehr Beachtung und Verbreitung verdient) zu kombinieren. Vorbild könnte dabei FM4 aus Wien sein.
Ich war kürzlich auf einem Wir sind Helden - Konzert. Die KFZ-Kennzeichen vor der rapelvollen Halle reichten vom nördlichen Sachsen-Anhalt bis ins tiefe Sachsen - und das mitten in Thüringen. Für einen etwas tiefergehenden Abend sind sie bereit, weite Wege auf sich zu nehmen, weil eben ansonsten oft nur Fastfood angeboten wird.
Der Rest bleibt, wobei einige Anstalten teilweise nur leicht auseinanderdriftende Programme ebenfalls zusammenfassen können.
Kulturwellen "gleichgeschaltet", ÖR-Jugendwellen abgeschafft, ähnliche Programme zusammengefaßt. Was bliebe da? Genau: eine "Kulturwelle", ein Infoprogramm, ein Unterhaltungs- und Serviceprogramm für 30-45 und eines für 45plus - bundesweit.
Andererseits muß man sagen, wenn sich die Anstalten sich selbst so aufblähen, müssen die auch dann die Suppe beim Abbau auslöffeln...
Volle Zustimmung meinerseits. Gebläht hat es sich im letzten Jahrzehnt massiv bei der ARD, und oft nach einem scheinbar gleichen Muster. Ausdünnung bestehender Angebote, um "fit" für den Wettbewerb mit der privaten Konkurrenz zu sein. Und dann Erfindung neuer "Auffangbecken" für wenigstens einige der auf den etablierten Wellen abhandengekommenen Inhalte. Wenn auf den Servicewellen keine Infos mehr laufen dürfen, weil sie beim Weghören stören, muß halt eine Infowelle ins Leben gerufen werden. Wenn die massentaugliche Welle keine speziellere Jugend- oder Alltagskultur mehr verträgt, werden die Inhalte entweder gleich komplett entsorgt (MDR) oder wenigstens in die Nachtschiene des Infoprogramms (NDR) ausgelagert. Inzwischen hat das bei den weniger eingeschränkt agierenden Hörern dazu geführt, daß die neuen Angebote teilweise interessanter sind als das, was man früher eingeschaltet hat (Stichpunkt Funkhaus Europa, NDR info). Dabei erfolgte aber eine Verdrängung dieser Inhalte derart, daß weite Teile der Gesellschaft davon keinerlei Kenntnis mehr nehmen (können). Und schnell sind wir an einem heiklen - und für mich zentralen Punkt: wer trägt die Verantwortung dafür, daß in unserer Gesellschaft allseitig gebildete, kulturell offene und für andere Gedanken oder alternative Lebensgestaltung zugängliche und tolerante Menschen heranwachsen? Ich erachte dies für eine intakte Gesellschaftsordnung als ungemein wichtig, muß aber anerkennen, daß in einer Demokratie keinerlei Zwang in dieser Richtung ausgeübt werden kann/darf. Und von sich aus bewegt sich der Mensch leider - auch aus eigener Erfahrung - kaum oder nur dann, wenn irgendetwas für ihn unerträglich wird. Und gäbe es dennoch formulierte staatliche Ziele in dieser Richtung (die wiederum könnten ja in Parteiprogrammen stehen und von demokratisch gewählten Abgeordneten auf den Weg gebracht werden), wie sollten diese Ziele im Hörfunk in Form einer Integration der inzwischen "abgeschobenen" Inhalte umgesetzt werden, wenn eine Einflußnahme der Politik hier nicht möglich ist?Ich sehe da keinen Weg, und tiefergehend noch: ich sehe nichtmal eine Chance, daß allgemein eine Abkehr von der sich seit Jahren immer mehr durchsetzenden "neurotischen, Sucht-, Spaß- und narzisstischen Gesellschaft" (Zitat stammt nicht von mir...) erreichbar wäre. Es gäbe für jeden einzelnen von uns sehr unangenehme, schmerzhafte und verängstigende Entdeckungen zu machen - dem geht _jeder_ Mensch automatisch und unbewußt aus dem Weg. Und also wird es, solange es nicht zum großen Knall (Krieg, wirkliche Wirtschaftskrise) kommt, immer lustig-fröhlich-ignorant weitergehen. Wir Menschen sind so...
Auf liebgewonnene Gewohnheiten verzichtet kein Hörer gern. Sich von bestehenden Angeboten zu trennen, wird immer Schmerz, Ärger und (sanfte) Proteste verursachen. Noch viel schmerzhafter ist es für die, die dabei ihren Job verlieren - in einer Branche, die ihnen einst suggerierte, man brauche sie, um das Volk zu unterhalten oder vielleicht gar zu informieren. Schlimm, aber Realität: die gesellschaftlichen Strukturen, die wir uns in den Industrienationen selbst schaffen (und aus Zwängen der Globalisierung schaffen müssen), setzen selbst wirklich wichtige Menschen auf die Straße: zum Beispiel die Leute in der Landwirtschaft - die, die uns ernähren (Stichpunkt Agrarsubventionen). Und so hart es ist: Bauern genießen bei mir ein höheres Ansehen als Morgenshow-Moderatoren. Sie stehen genauso zeitig auf, sie arbeiten körperlich hart, und wenn es sie nicht gäbe, dann passierte etwas, das bei einer ausfallenden Morgenshow nicht passieren würde: die Bevölkerung muß hungern. Wir haben uns daran gewöhnt, im Überfluß zu leben. Das Bewußtsein für den realen Wert vieler Dinge, die für uns selbstverständlich sind, ist absolut nicht ausgeprägt. Brot gibts halt beim Bäcker. Informationen sind ein wichtiges gesellschaftliches Gut, Unterhaltung hat auch ihre Berechtigung, ihr Wert wird aber allgemein als viel zu bedeutend eingeschätzt.
Und ein Großteil ihres vermeintlichen Stellenwertes beruht einfach nur darauf, daß wir Menschen ein Grundbedürfnis haben, unsere wirklich grundlegenden Probleme und Defizite nicht spüren zu müssen. Unterhaltung und Zerstreuung/Verdrängung gehen deshalb ziemlich schnell gefährlich Hand in Hand, und passive Unterhaltung wird oft auch mit aktivem Leben verwechselt.
Ach so: ich bin derzeit auch auf Jobsuche, sprich: freigesetzt in den Pool derer, die sehen müssen, wo sie ihren Platz in der Gesellschaft finden. Und auf der Suche nach einem Sinn bei dem, was ich beruflich mache. Auch ich habe in den letzten 5 Jahren dicke Brocken gemästet, die nahezu Null Relevanz für die Menschheit haben und komme nun in die Sinnkrise. Dies vielleicht mal als Einwurf von "außen" - die Medienbranche ist nicht allein mit diesem Problem.