AW: radioeins soll auf den Prüfstand
Hallo lurkenstein,
willkommen an Bord und besten Dank für diese wirklich grandiose und treffende Beschreibung des Elends im mitteldeutschen Äther. Da paßt jedes Wort. Auch den Kontrast zum realen kulturellen Leben nehme ich genauso wahr - es gibt Großstädte, es gibt Universitätsstädte, es gibt "junge" Kultur, Alternativkultur und auch viel "alte" Kultur - im MDR kommt außer den sprichwörtlichen "Klassikern" auf Figaro absolut nichts davon vor. Stattdessen erfolgt reger Austausch an Personal mit den Privatsendern - der MDR will auch nichts anderes darstellen als das, was die Privaten auch ohne Gebühren veranstalten.
Natürlich ist von dieser Position aus Radio Eins eine Wohltat, das will ich auch gar nicht leugnen. Ich bin Mo-Fr in Thüringen, habe weder Kabel noch Satellit noch in der Unterkunft Internet - ich bin ganz selbstverständlich radiofrei, weils nicht zu ertragen wäre. Nur für den DLF stelle ich mir hier kein Radio hin und zahle keine zweite Hörfunkgebühr (solange es noch so geht), die dann auch noch großteils an den MDR fließen würde, woraus der dann vermutlich Privatfunk-Berater bezahlen würde. Mein thüringer Freundeskreis besitzt meist gar kein Radio mehr bzw. hat die Radiofunktion in irgendwelchen vorhandenen Geräten nie benutzt. Radio findet in meinem Umfeld nur bei denen statt, mit denen ich kulturell inkompatibel bin: bei der Christina-Stürmer-Lady-Gaga-Lena-Desperate-Housewifes-ich-singe-im-Auto-die-Hits-alle-mit-nur-der-FCC-Fraktion. Es ist erschütternd, was für Klingeltöne hier selbst die Mobiltelefone von Führungskräften absondern. Ich gehe hier geduckt als kultureller Fremdkörper durch die Woche. Inzwischen gehe ich nichmal mehr meiner geliebten Freizeitbeschäftigung Schwimmen nach, weil man meiner Bitte, in der Zeit meiner Anwesenheit diese nervtötende Beschallung mit Jump, Top40, Antenne Thüringen oder Landeswelle abzustellen, nicht mehr anchkommt. Das Volk wolle es so. Punkt.
Aber dennoch halte ich es für legitim, darauf hinzuweisen, wo die Ursachen liegen könnten, daß Radio Eins ausgerechnet Menschen aus der Zielgruppe Magenschmerzen verursacht. Ich denke schon, daß ein Programm wie Radio Eins vor allem jene ansprechen könnte, die von dem Primitivkultur-Terror, der weitgehend in der Öffentlichkeit herrscht, angewidert sind. Wenn die dann - siehe auch das Radio-Eins-interne Forum - durch lange, widerliche Werbeblöcke, Dauerteasing irgendwelcher Veranstaltungen oder dieses inhaltlose, sich nur selbst feiernde Geschnatter bestimmter Moderatoren vertrieben werden, muß man sich nicht wundern. Ich kenne einige in Berlin, die durchaus sagen, die anderen Programme sind generell unanhörbar, aber Radio Eins machts einem auch zunehmend schwerer.
Für mich stellt das kein Problem dar - ich bin berufstätig, ich könnte ohnehin tagsüber nicht zuhören. Und abends ist es selektiv ein Genuß. Gerade Freistil von letzter Woche habe ich dann extra noch in der Wiederholung mitgeschnitten, weils einfach wieder zu gut war. Unfassbar, der Luckas hat mal wieder "Rotkäppchen" von Pankow (Italien) gespielt. Zuletzt gehört in der Nacht vom 23. auf den 24.12.1991 (!) auf DT64. Bei Luckas. Ähnlich geht es mir in anderen Abendsendungen.
Wie der MDR in meinem Ansehen sehr gewinnen könnte: den Abend ab 21 Uhr von Radio Eins auf Jump übernehmen. Doch da liegen Welten im Selbstverständnis dazwischen. Der ganze MDR ist ein schwerer Standortnachteil für Mitteldeutschland. Er diskriminiert letztlich alle, die noch über irgendeinen Tellerrand sehen können - und sei er noch so flach.