Es ist nicht so, dass nur das Radio von digitalen Medien und Streamingdiensten bedroht wird, auch das Fernsehen muss sich einigen bedeutenden Herausforderungen stellen. Anders als die Fernsehschaffenden hat das langweilige, printbeherrschte deutsche Beraterradio aber weder eine Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart noch einen blassen Dunst von den sich abzeichnenden technischen und soziokulturellen Entwicklungen der nahen Zukunft.
Was für das Radio die MP3-Datei war ist für das Fernsehen die AVI-Datei, ein vielseitiger, formatunabhängiger Container für hochwertiges Videomaterial, der sich schnell und unkompliziert übers Netz verteilen lässt und legal oder illegal gebraucht zum Todfeind der tatsächlichen Reichweite, bei jungen Sendern aber auch zur Bedrohung für die Gesamtquote werden kann; eine gewisse Quotenerosion bekommen in letzter Zeit vor allem die Privatsender zu spüren, die vom veränderten Mediennutzungsverhalten jüngerer Menschen stärker betroffen sind als die öffentlich-rechtlichen Konkurrenten.
Wer die Möglichkeit hat mit Online-Recordern für wenig Geld automatisiert alle Sendungen von 50 Kanälen "voraufzuzeichnen" und nur im Bedarfsfalle binnen eines ganzen Monats nachträglich herunterzuladen, bekommt ein neues Verhältnis zum Medium Fernsehen, dessen ausgedünnte Mediatheken infolge des Massenansturms gern mal ruckeln und nur den Rückgriff auf das Programm der letzten Woche erlauben; auf die vielen illegalen Downloadmöglichkeiten, die den Kommerzsendern und der Filmindustrie Kopfzerbrechen bereiten, will ich gar nicht erst zu sprechen kommen. Je mehr Menschen ihre neuen Freiheiten genießen, umso schwerer sind die klassischen Erwerbsmodelle auf Dauer aufrechtzuerhalten.
Das Radio muss sich von seiner traditionellen Bevormundung durch schier allmächtige aber ineffiziente Consulter trennen und sich neue Ratgeber suchen, die bessere Qualifikationen vorweisen können als gute Netzwerke und große Einflussmöglichkeiten innerhalb der Werbeszene, die auf ihrer dubiosen Rolle als Scharnier zwischen Zeitungs- und Agenturengeschäft beruhen, dem Radio aber mit sicherer Hand den Garaus machen. Das heißt die Qualität der Beratung und die Geschäftsfelder müssen sich ändern, fragt sich nur ob die Zeitungsbarone das noch vor der Totalpleite begreifen werden.
Das Radio muss schon in wenigen Jahren mit Vielfalt bestechen und einen Mix aus vom Nutzer frei programmierbaren Musikdatenbanken (Individualstreams), guten Genresendungen, durchmoderierten und intelliegent einflechtbaren Service- und Infomänteln sowie guten Nachrichtenkanälen bieten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dazu kommen kommerzielle (Talk, Lifestyle) und öffentlich-rechtliche (Journalismus, Recherche, lebensnahe Themensendungen) Wortprogramme, die ein in sich stimmiges Gesamtbild abgeben. Wort- und Genresendungen müssen nachträglich als Audiodatei abrufbar sein, wenn sie Musik enthalten als Stream verfügbar gemacht werden. Auch der Musikjournalismus muss in den deutschsprachigen Ländern neu erfunden werden.
Mit der Einführung dieses Angebots muss bereits jetzt begonnen werden, denn das deutsche Radiogeschäft braucht dringend einen Adrenalinschub! Wegen des hohen Konzentrationsgrads im deutschen Radiogeschäft wäre das sogar ein Leichtes.
Das Fernsehen hingegen wird auf mehreren Säulen ruhen: Publikumsstarke Erstausstrahlungen von Filmen und Serien, Shows mit Eventcharakter, zeitnahe, umfassende Berichterstattung über aktuelle Themen und journalistische Relevanz, quotenträchtige Sportereignisse (Live-Charakter), Fast-Food (Reality) sowie Daily Soaps und Telenovelas. Daneben werden sich zunehmend bedeutsame Spartensender etablieren, die neuere Ware verschlüsselt und Archivmaterial gegebenenfalls kostenfrei anbieten und Special-Interest-Sender, die je nach Werbeumfeld und technischem Verbreitungsweg kostenpflichtig oder gratis genutzt werden können.
Zu alledem kommen Pay-TV-Plattformen, die Premium-Material als Pay-per-View anbieten, eine unüberschaubare Anzahl von themenspezifischen Kanälen anbieten und ein Bündel von Sport-Events per Abonnement zugänglich machen. Ob Film- und Seriendebüts künftig vorab im herkömmlichen Pay-TV mit niedriger Kostenschwelle ausgestrahlt werden hängt vom Werbeumfeld, von der Konkurrenzsituation im Netz und nicht zuletzt von der "Ripperszene" ab. Ganz entscheidende Kriterien für die Zahlbereitschaft der Cineastengemeinde sind immer auch die gebotene Qualität (HD++++.....) und die technische Umsetzbarkeit!
Dazu kommen binnen weniger Jahre mit Sicherheit Komplettanbieter, die ganze Film- und Serienbibliotheken online zum Festpreis verfügbar machen (Zeitaccount) und neues Material (Kinofilme, hochkarätige Serien und Mehrteiler) als Pay-per-View-Angebot zugänglich machen und den klassischen Fernsehmarkt damit ordentlich in Bewegung bringen werden. Durch die Online-Präsenz der traditionellen Pay-TV-Anbieter werden die Geschäftsfelder zusehends verschwimmen und ganz neue Kooperationen und Mediengeflechte entstehen.