Mainstream + Minderheit
Gespielt wird woanders: Zur Situation der Musik in den Medien
VON THOMAS VENKER
Ist Popkultur nicht mehr interessant für öffentlich-rechtliche Sender? Und sind es die daran interessierten Hörer auch nicht mehr? Diese Fragen kommen auf, wenn man die Entwicklungen beim Hessischen Rundfunk sieht - die leider exemplarisch sind für den Status Quo der deutschen Radiolandschaft. Die Tendenz geht weg von hochwertigen Autorensendungen wie sie in den siebziger und achtziger Jahren etabliert wurden, hin zum Charts-Mainstream von der Stange. Kulturpessimismus macht sich unter den Freunden der Popkultur breit, zumal es beim Musikfernsehen nicht besser aussieht - nur, dass dort noch nie von " Kulturauftrag" die Rede war, sondern schon immer von freier, gnadenloser Marktwirtschaft.
Der Hessische Rundfunk befindet sich derzeit im massiven Umbruch. Statt der jahrelang das Profil stärkenden Autorensendungen wird in Zukunft auf mainstreamverträgliche Playlistendauerbeschallung gesetzt. Diese setzt sich aus dem oberen Chartsdrittel und aus einer extrem kleinen Datenbank mit dem so genannten "Besten" aus den 80ern und 90ern zusammen. Nach welchen Kriterien das ermittelt wurde, bleibt offen. Die immergleichen Songs für die gleichgeschaltete Zuhörerschaft - so das nicht kommunizierte, aber offensichtliche Credo der Entscheidungen der letzen Monate. Bindung soll über den klebrigen Effekt des Bekannten ausgelöst werden.
Musik und Medien
Die Zuständigkeiten in der Vermittlung von Popkultur verschieben sich, seit die Radios ihre Musikauswahl immer gleichförmiger gestalten und redaktionell betreute Musiksendungen abschaffen. Dabei gab es nie so viel unterschiedliche, interessante Musik wie heute. In den Medien findet sie nur nicht mehr statt.
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Der Autor Thomas Venker ist Chefredakteur des Popkultur-Magazins "Intro" (
www.intro.de) in Köln und Mit-Betreiber zweier Schallplattenlabels (
www.onitor.de,
www.scheinselbstaendig.net). Zuletzt erschien von ihm im Mainzer Ventil Verlag das Buch "Ignoranz und Inszenierung - Schreiben über Pop". hoh
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Jüngst wurde im Rahmen dieser Reformen die Vorzeigesendung Der Ball ist rund von der deutlich hörerreicheren Popwelle hr3 auf die Kulturwelle hr2 verschoben. In die gleiche Schiene des Rangierens von kulturell bedeutsamen Inhalten auf unbedeutendere Plätze, nur noch drastischer in der konzeptionellen Anlage, schlugen die Umstrukturierungen bei der Jugendwelle XXL ein. Diese heißt neuerdings YOUFM. Auf dem Weg zum neuen Namen wurden die Wortbeiträge auf ein Minimum heruntergefahren, die Musik an den Mainstream angepasst und die Moderatoren gebeten, weniger profiliert zu agieren. Nicht auffallen sollen sie - auf dass keiner polarisiert und so durch Meinung Hörer kosten könnte. Auch die jüngste Entwicklung in dieser markanten Reihe an Maßnahmen seitens der Verantwortlichen beim Hessischen Rundfunk, die Einstellung des hoch geschätzt Formats Schwarzweiß, das heute zum letzen Mal läuft, schlägt in die gleiche Kerbe.
Konsens als Konzept
Konsensplaylisten sollen also die fundierten Autorensendungen ersetzen? Das unberechenbare, das fühlende Radiomacher-Subjekt soll es nicht mehr geben, man will von oben genau vorgeben können, was unten raus kommen soll - da stören individuelle Ambitionen. Recherchen im Dienste der kritisch-reflexiven Berichterstattung erfordern Spezialwissen und bieten die Möglichkeit zur genauen Positionierung abseits der verordneten Pfade. Das, so wird befürchtet, gefährde die Quote.
Die aktuellen Entwicklungen im Hessischen Rundfunk sind keine Überraschung, sie zeigen in dieser Vehemenz nur besonders deutlich, wie schlecht es um die Repräsentation von subkulturellen Themen in den öffentlich-rechtlichen Sendern bestellt ist. Dabei sind die Begriffe "Subkultur" versus "Mainstream" längst nicht mehr zeitgemäß.
Die Messlatte des Populären wird mittlerweile so hoch angelegt, dass es die Wenigsten noch drüber schaffen. Selbst Acts wie Air, Beck oder die Hives können mittlerweile froh sein, wenn sie mal im Tagesprogramm gespielt werden. Draußen muss eben bleiben, wer nicht zum ganz großen Konsens zählt und nicht wirklich jeden "rein holt". Das war ganz sicher nicht mit Kulturauftrag gemeint. Aber wo sehen die Verantwortlichen in ihren Gremien denn überhaupt noch den Platz für Popkultur im Radio? Und sind Air und Konsorten etwa nicht populär?
Das mit dem Kulturauftrag ist eine schwierige Angelegenheit. Welche kulturellen Inhalte sind es wert, unterstützt, ja gestützt zu werden? Wo soll, muss der Kulturauftrag greifen? Ist Minimal-Techno kulturell wertvoller als Free-Jazz? Sind Klassik-Orchesteraufnahmen weniger wert als traditionelle afrikanische Musik? Die Fragen sind alt und müßig - und der Diskurs mit dieser Feststellung zumeist auch schon beendet. Aber warum sollte man mal nicht andersherum ansetzen und die Fragen umdrehen. Denn vielleicht lässt sich ja einfacher festlegen, welche Inhalte man nicht unterstützen muss. Sind das eben nicht genau jene Chartsongs, die ohnehin schon in den Privatradios gespielt werden?
MTVIVA? Auch egal.
"Video killed the Radio Star" hieß das Stück, mit dem der private Musiksender MTV einst auf Sendung ging. Ein ironischer Seitenhieb gegen die limitierten Radiostrukturen jener Tage, geprägt von der Überzeugung dass es eines Tages wirklich so kommen wird. Man fühlte sich vielleicht nicht zwingend als der "Killer" des Radios - das würde sich irgendwann von selbst ergeben, da das rein auditive Medium dem audiovisuellen unterliegen würde. Es könnte, das war klar, bald nicht mehr mithalten mit dem multimedialen Auftritt, mit den Videoclips und deren flotten, unkonventionellen Anmoderation. Und in der Tat: Das Musikfernsehen hatte den Charme von etwas Neuem, Unbekannten, dem man sich kaum entziehen konnte. Zu reizvoll war die Idee, Musik nicht nur als Sound zu erleben, sondern eingebettet in einen visuellen Rahmen - vor allem im Zusammenspiel mit der (Kurz-)Filmavantgarde, so die naive Anfangshoffnung. Das Unbekannte wurde jedoch recht schnell bekannt. Und die professionelle Massenherstellung sollte sich auch hier durchsetzen. Nach all den Fusionen in der Musikbranche hat nun auch das Musikfernsehen zueinander gefunden. Die MTV-Mutter Viacom schluckt die VIVA Medien AG. Das spannende dabei ist aber, wie dies vor sich geht. Las man danach die Medienseiten von SZ und FAZ Sonntagszeitung, so scherte es keinen mehr, längst waren die einstigen "Alternativen" VIVA und VIVA Plus zu einer nahezu identischen Kopie des Originals geworden (mit Charlotte Roches Sendung Fast Forward als selbstquälende Erinnerung an besser Zeiten). Aber es ist nicht nur das, es ist auch die Tatsache, dass Musikfernsehen an sich keinen mehr so recht bewegt. Irgendwie ist Musikfernsehen auch gar nicht mehr Musikfernsehen. MTV ist schließlich Marktführer geworden, in dem es sich auf anderen Segmente wie Dating Shows und Animes verlagert hat. Das muss man wohl hinnehmen, das gehört zur freien Marktwirtschaft, die wir ja auch hinnehmen müssen - was höchstens die Frage aufwirft, warum nie jemand auf einen ganzen öffentlich-rechtlichen Musikvideosender kam oder ihn durchsetzte.
Gäbe es einen, so stünde er heute mit Sicherheit vor den selben Problemen wie die öffentlich-rechtlichen Radiosender, die an die inhaltlichen Strukturen der Privaten glauben, annähern zu müssen. Das Radio ist überdies dabei, seine Chance zu verspielen, nach der Subtraktion der Musik aus dem Musikfernsehen eine Alternative darzustellen.
Neben Kritik an gewissen Inhalten muss es aber bei den Entwicklungen um die Repräsentationsform dieser Inhalte gehen. Ein Journalist wie Klaus Walter, dessen Sendung Der Ball ist rund jahrelang den Radiopoll der Spex dominierte, konnten sich nur so ausgiebig und ergiebig der Reflektion von Kultur widmen, da er in einem öffentlich-rechtlichen Sender eine Heimat gefunden hatte, die ihm die Rahmenbedingungen für eine so akribische Vorbereitung auf ihre Sendungen bot. Abseits der öffentlich-rechtlichen Strukturen ist so etwas kaum möglich - umso drastischer wirkt sich der Verlust solcher Oasen des kritischen Kulturjournalismus' aus.
Die Konsequenz der Entwicklung der letzten Jahre: Die interessanten Radiosendungen kann man an zwei Händen abzählen - trotz der vielen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Die Alternative neben einzelnen Spots wie der Zündfunkstrecke und den Nachtsessions des Bayerischen Rundfunks, der Abendschiene von Eins Live und Sendungen wie Ocean Club auf Radio Eins Berlin, Der Ball ist rund, Nachtclub beim Norddeutschen Rundfunk und Leichte Musik auf Deutschlandfunk (wo u.a. Günther Jansen von Donna Regina eine Sendung fährt) wird in die Verantwortung Freier Radios wie Radio Z in Nürnberg, dem Kölner Campus Radio, dem FSK Hamburg (wo signifikanter Weise die jetzige Lieblingssendung der Spexleser, Sunday Service, läuft) oder dem Frankfurter nichtkommerziellen Lokalsender Radio X gegeben - also einmal mehr an jene weitergereicht, die aus Liebe zur Musik ehrenamtlich arbeiten. War das einst mit Kulturauftrag gemeint?
Neben all diesen negativen Aspekten lassen die Entwicklungen aber einen positiven Schluss zu - wenn auch nur für uns Printjournalisten: Es zeigt sich, wie wichtig das Schreiben über Popmusik ist. Das geschriebene Wort ist für Musikkonsumenten noch immer oft der erste Kontakt mit tollen Künstlern, da ihre Clips nicht im Fernsehen laufen und da ihre Songs allerhöchstens in den wenigen verbliebenen Spartensendungen gespielt werden.
Um diese Bedeutung haben wir zwar nie gebeten, nehmen die Aufgabe aber selbstredend an - bis sich die Verhältnisse geändert haben. Die Hoffnung soll man ja nie aufgeben.