Wie auch immer, dann nennt man das Ganze eben Radio 50+. Die durch die Print-Connection unvernünftigerweise aufgebrachte Reichweiten-Maximierungsstrategie ist doch von vornherein ein Schuss in den Ofen, weil mit austauschbaren, konturlosen Musikprogrammen keine Hörergruppe zufriedengestellt werden kann und sich kein ins Werbegeschäft involvierter Sender ein nachvollziehbares Wellenprofil erarbeiten kann, ohne Angst haben zu müssen bei ausbleibendem Wohlverhalten gegenüber den Agenturen wirtschaftlich unter die Räder zu kommen.
Im deutschen Radiogeschäft entscheiden nicht die großen Hörergruppen mit ihrer Erwartungshaltung über das gebotene Radioprogramm, sondern diejenigen, die nach einem festen Schlüssel die intermedialen Werbeströme verteilen und umleiten, und im Falle des Radios handelt es sich dabei verständlicherweise nur noch um ein kleines Rinnsal. Ob die Privatradios viel abwerfen ist den Verlagshäusern seit Mitte der 90er-Jahre ziemlich egal, ihre einzige Funktion bestand darin, Werbefelder zu beackern, die dem Printbereich nur schwer zugänglich waren. So was nennt man Kompensationsgeschäft.
Da alle "Big Player" im Radiobusiness (Mediaagenturen, Consultants und nachgeordnet auch die Wellenchefs) diese Regeln beherzigten und konsequent befolgen mussten sich auch die öffentlich-rechtlichen Radiosender dieser unlogischen, aber aus Sicht der Verlage anscheinend opportunen Zielgruppendenke unterwerfen, schließlich waren sie vom Marktumfeld wirtschaftlich abhängig, und zwar umso mehr, je stärker sie von Sparzwängen und Prioritätsverschiebungen betroffen waren ("TV first").
Jetzt stößt diese fragwürdige Strategie an ihre gottgegebenen Grenzen und das sorgt offenbar nicht nur in den Verlagshäusern für viel Nervosität, denn einen Plan B haben die Radioverantwortlichen nicht in der Tasche. Jetzt brennt die Hütte nämlich schon an zwei Seiten: Beim Kerngeschäft (Print) und beim Radio erst recht.
Wäre die deutsche Radiolandschaft nach Marktprinzipen organisiert, würde das Geschäft ganz anders und vor allem besser laufen - aber davon hätten die Verlage nichts, weil sie andernfalls nur von einer Tasche in die andere wirtschaften würden; Zeitungen und Radiostationen sind in Deutschland eben keine Konkurrenten sondern "Komplementärmedien", die sich das Anzeigengeschäft über den Umweg der vom Printwesen abhängigen Mediaagenturen mehr oder minder einvernehmlich teilen. Und genau hier liegt der Hund begraben.
In einem freien Radiomarkt würden die Teilnehmer danach trachten, die verschiedenen musikalischen Grundpräferenzen abzubilden und Format-Nischen aufzutun, die noch nicht von anderen Marktteilnehmern besetzt sind. Selbst eine große musikalische Präferenzgruppe kommt in keinem Marktumfeld auf mehr als 15-20% Marktanteil (in Deutschland wäre das vermutlich "Adult Contemporary"), was im Umkehrschluss nahelegt, dass für andersgeartete Formate massenhaft empfängliche, wirtschaftlich lukrative Zielgruppen (einschl. Wechselhörern) bereitstünden, deren hohe Loyalität auch erhebliche Zusatzeinnahmen durch Cross-Marketing (Musikgeschäft) ermöglichen würde. Gemessen am Gesamtmarkt ist ja sogar die größte Präferenzgruppe eine kleine Minderheit.
Dieses Cross-Marketing gibt es zwar längst auch in Deutschland, wegen der Formatarmut und wegen der grassierenden Hörerresignation kann es sein Potential aber nicht ausschöpfen und als zusätzlicher Einnahmefaktor kann es die Verluste im Werbegeschäft nie auch nur ansatzweise ausgleichen, weil jede Rotationsverengung zwangsläufig zu Hörerverlusten führt, die die Werbeeinnahmen schmälern.