Das ist so schade, dass jetzt die Verfehlungen der Patricia Schlesinger dazu ausgenutzt werden, um das ganze System in Frage zu stellen.
Das System wird seit Jahren massiv in Frage gestellt - nach meinem Eindruck mehr als die schweizer Öffis von der schweizer Bevölkerung. Ist doch ein willkommener Anlass für eine "Wiedervorlage", den die Ereignisse beim rbb da aktuell bieten.
Es sind nicht nur die "Verfehlungen der Patricia Schlesinger" - selbst wenn alles, was derzeit so hervorgezaubert wird, zuträfe, wären das finanziell gemessen am Gesamtbudget lächerliche Summen und wer mal in der oberen Etage eines wirklich sehr gut laufenden Industriekonzerns war, weiß, dass es da äußerst luxuriös aussehen kann in simplen Beratungsräumen, edelste Möbel, hochwertigste Böden, perfekte Präsentationstechnik, alles stylish, alles wirkt wie gestern frisch eingebaut, auf den Tischen steht immer frisches, allerfeinstes Obst und das Wasser kommt nicht aus einem verkalkten Wasserspender, sondern steht in den gleichen Flaschen, die man aus guten Restaurants kennt, fein arrangiert auf dem Tisch. Das gehört ab einer bestimmten Liga einfach dazu.
Und da kommt der Inhaber auch nicht mit dem Polo oder dem alten Opel Kadett, sondern hat Chauffeur, ggf. gepanzertes Fahrzeug und ich erinnere mich an einen Fall, bei dem der Inhaber des (Familien-)Unternehmens, einem Weltkonzern mit Sitz in Deutschland, regelmäßig das Nummernschild gewechselt bekommt am Wagen - aus Angst vor Entführungen (kein Witz!). Solche Leute werden behandelt wie Staatschefs.
Selbst Führungskräfte-Meetings in mittelgroßen Business Units nicht allzu großer Technologiekonzerne werden teils an Orten und mit einem Catering abgehalten, das ich vorher nie in meinem Leben gesehen hatte und wo es mich peinlich berührte, dazuzugehören, weil ichs für pervers hielt, was da abgezogen wurde.
Wenns also in der Chefetage eines Unternehmens - auch eines großen Medienunternehmens - für unsere normalen Maßstäbe dekadent glitzert, ist das in gewissem Maße normal.
Was nicht normal ist, ist, dass dafür der eigentliche Betrieb abgewirtschaftet wird, dass sich bei Betrachtung der "Produkte" das Gefühl der Zweit- oder Drittklassigkeit bzw. gar Minderwertigkeit einstellt, dass vorsätzlich vom Auftraggeber (hier: Beitragszahler) letztlich bestellte Produkte und deren Qualität abgebaut werden, während in die Repräsentation der Chefetage investiert wird. Was nicht normal ist, ist, dass ein übermäßiges Ausbauen des Repräsentativen außerhalb des Auftrages eines öffentlich-rechtlichen, beitragsfinanzierten Medienhauses erfolgt - eine ARD-Anstalt muss zwar zu Teilen auch im Konzert der großen Medienhäuser mitspielen können, ist und bleibt aber eine Einrichtung, die mit einem klaren gesellschaftlichen Auftrag geschaffen wurde - und dieser Auftrag hat zuallererst erfüllt zu werden. Was nicht normal ist, ist dass es überhaupt so weit kommen konnte und dass selbst mit einem Sack voll Anschuldigungen auf dem Tisch keine Bereitschaft erkennbar war, den Wahnsinn zu stoppen und selbstkritisch zur Aufklärung beizutragen.
Hier hat weit mehr versagt als die Intendantin. Der Fall Schlesinger bestätigt mir meine vor nun schon vor teils drei Jahrzehnten gemachten Erfahrungen mit Rundfunkräten einer anderen Anstalt (Vorlagen aus der Intendanz durchwinken, Kritik abwimmeln, keine Ahnung vom eigentlichen öffentlich-rechtlichen Auftrag haben, Beitragszahler zum Teil regelrecht verachten). Warum konnte beim rbb das, was jetzt offenbar wird, nicht wesentlich früher und durch den Rundfunkrat statt erst jetzt und durch Druck von außen gestoppt werden?
Das alles ist nicht Werk einer Einzelperson. Wie war das gestern Abend im rbb-TV? Sinngemäß "Haben Sie auch Prämien erhalten?" - "Ja".
Hier ist das Klima innerhalb des Hauses zu beleuchten. Arbeiten die "einfachen" Mitarbeiter möglicherweise in ständiger Angst, morgen draußen zu sein, wenn sie bestimmte Dinge ansprechen? Wie geht es wirklich in den Redaktionen zu? Wieviel Druck haben die Menschen an der Basis auf dem Kessel, warum konnten sie ihn nicht zielführend kanalisieren?
Und ich gehe davon aus, dass das Grundklima, das solche Fehlentwicklungen begünstigt, und das in meiner Wahrnehmung regelrecht pervertierte Verständnis vom Sinn eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in anderen Anstalten nicht wesentlich anders aussieht. Wenn z.B. ein WDR oder auch ein NDR oder hr seine Hörfunk-Substanz weitgehend vernichten konnte, wie, wenn nicht mit einem ähnlichen Klima und einem ähnlichen Verständnis von "Macht" seitens der Führungsspitze sollte das möglich gewesen sein? Ob man dort auch bewässerte Grünwände in der Intendanz installiert hat oder nicht, ist dabei für die Beitragszahler, die wertvolles und relevantes Programm erwarten, genauso wurscht wie beim rbb.
"Der Fall Schlesinger" ist einen neues Indiz für die These: "Der ÖR ist aktuell überfinanziert!" ...
So schnell würde ich das nicht daraus schließen. Ich schrieb es gerade: der finanzielle Schaden durch individuelles Verprassen und Größenwahn ist gemessen am Gesamtbudget klein, der Schaden ist auf anderem Gebiet groß.
So lange wichtige und wertvolle Programminhalte beseitigt werden, weil man "sparen" müsse und weil man auf dem Weg ins heilige Nirvana der Trimedialität und ausschließlichen Verortung in der online-Welt nicht alles bisher im Programm Berücksichtigte mitnehmen könne, ist offenbar zumindest beim Programm nicht genug Geld vorhanden oder es wird Geld ineffizient eingesetzt.
Ob die Umverteilung der Finanzmittel von Managergehältern und -prämien, Luxuskarossen und Edelparkett hin ins Programm zu einer spürbaren Aufwertung des Programms führen würde, ob entsorgte Programminhalte in hochwertiger Qualität zurück kämen - das müssen wir erst mal noch sehen bzw. hören.