"Der Begriff Formatradio ist für das, was die Sender heute spielen, auf beinahe zynische Weise treffend. Man könnte es auch Unverbindlichkeitsradio nennen. Die Sender tun nichts anderes mehr, als Musik und Wortbeiträge in ein bestimmtes Format zu pressen, das jeder Kreativität die Luft raubt. Sie spulen mechanisch ein Programm ab, an dessen Eckpfeilern offenbar niemand mehr zu rütteln wagt. Am Ende hören wir die Pflicht, anstatt die Kür. Wir hören hundert Songs, von denen sich die Sender vorgenommen haben, sie rauf und runter zu spielen...Mainstream-Stars ertönen in Endlosschleife, immer dieselben Hits, zu jeder Zeit; dazu die meist vorhersehbaren Gags der Moderatoren, ein paar vorbereitete Einspieler und der Tageskommentar, bei dem man bereits vorher weiß, welche Person des öffentlichen Lebens parodiert werden wird. Dabei wäre kreatives Radio möglich - man bräuchte dafür allerdings mutige Entscheider, Vorgesetzte, die es wagen, ihr Konzept einfach mal auf den Kopf zu stellen, es komplett neu zu gestalten, ohne ständig einen ängstlichen Blick auf den Hörer zu werfen und sich zu fragen, ob der den eignen Mut wohl honorieren wird. Man bräuchte Vorbilder, die ihr Publikum nicht einlullen wollen, sondern ihm mehr als nur einen einfältigen Musikgeschmack zutrauen. Natürlich hat der Hörer seine Hörgewohnheiten, und mit Gewohnheiten zu brechen ist immer ein Risiko. Es sieht so aus, als sei Risiko heute nicht mehr vorgesehen...Es ist traurig...Mein Empfinden hat dabei nicht das Geringste mit Nostalgie zu tun; von dem Satz "Früher war alles besser" halte ich sowieso nichts. Es ist nur dem Wunsch nach Vielfalt geschuldet, mit der etwas ganz Entscheidendes verlorengeht: nämlich das Bewusstsein, dass sich Qualität nicht nur in Verkaufszahlen messen lässt. Für die Ausbildung eines Musikgeschmacks muss jedes Gehör auch mal irritiert werden. Die Formatradioverteidiger grummeln jetzt wahrscheinlich, weil sie vergessen haben, dass Moderatoren zu den einzelnen Inhalten ihrer Sendungen dem Hörer auch mal eine Erklärung schulden. Ihm zu helfen, das Kommende zu verstehen und einzuordnen, ist eine Tugend, die aus den Servicewellen verschwunden ist - bis auf die Nachrichten und die Durchsagen für Autofahrer, wo sie sich auf einen Stau gefasst machen müssen. Inzwischen sind Moderatoren so fest in einen Vorgabenapparat eingezwängt, dass sie gar keine Chance haben, ein eigenes Profil zu entwickeln, was merkwürdig ist, weil gerade Wiedererkennbarkeit in unserer von Unübersichtlichkeit geprägten Medienwelt den höchsten Stellenwert überhaupt hat. Gesichter und Stimmen, an die sich das Publikum gerne erinnert, die es gerne sieht und hört, sind die Zugpferde jedes Senders. Es müsste also genau umgekehrt sein."
Frank Elstner kritisiert heutige Radio-Programme deutlich
(aus seinem Buch "Wetten Spaß", Seite 39-41, 2012)