Der Amoklauf und die Medien

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@ Kobold: Ich wundere mich nicht, dass du über Köln und den Amoklauf nix mehr hören willst, ich wundere mich aber, wie lange du das überhaupt ausgehalten hast.

Das Maß war aber auch übervoll, ganz ehrlich.

Da ich nicht im Wolkenkuckuksheim wohne und mein Geld mit Klöppeln von lustigen Ideen verdiene, reicht mir der alltägliche Input derzeit vollkommen aus. Nebenbei habe ich mehr Zeit, CDs zu hören, die ich sonst nicht höre und mir ausgesprochen interessante Dokumentationen über Braunbären anzuschauen. :D

Das ist so dermaßen erholsam ohne Nachrichten, das mache ich jetzt einfach öfters. Nachrichtenfastenzeit. ;)
 
AW: Der Amoklauf und die Medien

Das ist so dermaßen erholsam ohne Nachrichten, das mache ich jetzt einfach öfters. Nachrichtenfastenzeit. ;)

Aber Kobold, das geht doch nicht! Du musst doch wissen, worüber die anderen stunden-, tage- und wochenlang sinnlos und ohne Ergebnis diskutieren! Du bist doch ohne Nachrichten gar nicht mehr informiert über alle sinnlosen Opelrettungsversuche, Amokläuferpsychologiegeschwätz und alle anderen großen Themen unserer Zeit! Womöglich weißt Du nicht mal, wie unser äh... Arbeitsminister gerade heißt. ;)
 
"immer gut informiert..."

Bei mir ist seit heute Morgen Nachrichtensperre. Ich habe dermaßen den Kaffee auf mit diesen episch breitgetretenen "Berichten" über Amoklauf, Fritzl, Kölner Stadtarchiv usw., daß ich die Nachrichten verweigere. Ich will davon nichts mehr hören und sehen. Es reicht!

Wenn das jeder machen würde!!! Wo kämen wir da hin? Denk doch bitte mal daran, was du alles verpaßt!!! Wieviele Interviews mit betroffenen Schülern, wieviele Kurzstatements von Medienpsychologen, wieviele eloquent vorgetragene Spekulationen. Die allerneuesten Katastrophen - möglicherweise kriegst Du sie erst Tage später mit. Dabei sind Heerscharen von Reportern unterwegs, um Dir die neusten Facts exclusiv ins Haus zu liefern. Jetzt noch schneller als je zuvor!!! Ja, die neusten News sind im Durchschnitt jetzt sogar 5,575 % früher auf dem Bildschirm als noch vor zwei Jahren, d.h. der TV-Zuschauer ist heute durchschnittlich um glatte 4 Minuten früher informiert! Wow! Man will schließlich auf dem Laufenden sein!

Und Du guckst einfach nicht hin!!!

Was machst du überhaupt mit der so gewonnenen Zeit? Ein Buch lesen, um in einem Thema wirklich kundig zu werden? Nachdenken? Ein eigenes Leben leben? Hör sofort auf damit und werde wieder ein Konsument der News-Factories! Wir leben in einer Informationsgesellschaft, Mann!
 
AW: "immer gut informiert..."

Was machst du überhaupt mit der so gewonnenen Zeit? Ein Buch lesen, um in einem Thema wirklich kundig zu werden? Nachdenken? Ein eigenes Leben leben? Hör sofort auf damit und werde wieder ein Konsument der News-Factories! Wir leben in einer Informationsgesellschaft, Mann!

Vorallem mache ich damit Sozialhygiene. Ich kriege keinen unsinnigen Nachrichtenspam, beschwere meine Memorialfähigkeit nicht mit Entsetzen, von denen ich keinerlei Kenntnis haben möchte und habe nebenbei bemerkt, in der Tat den Kopf und das Gemüt freier.

Ich bin wirklich ein Radiojunkie. Aber gerade macht der Entzug richtig frei. Das ist ganz großes Ohrenkino.
 
AW: "immer gut informiert..."

Ich finde die Diskussion darüber, wie VIEL Amoklauf in den Medien sein muss wichtig. Und ich finde die Frage, ob die PK wirklich live ins Programm musste durchaus diskussionswürdig.

Schade finde ich, dass in einem RADIOforum wir hier so wenig darüber gesprochen wird, wie eigentlich die Radiosender mit dem Thema umgegangen sind.

Klar: Es sind vor allem die BILDER, die psychologisch offenbar Nachahmer und Trittbrettfahrer animieren und insofern haben Fernsehen und Bildpresse hier die noch problematischere Rolle.

Dennoch: Die eiligsten, drängligsten, schnellsten vor Ort sind im Zweifelfall die Hörfunker. Das liegt in der Natur die Sache.

Und die Tatsache, dass es eben auch die Hörfunk-Zunft war, die den verängstigten und weinenden Mütter in Winnenden das Mikrofon unter die Nase hielt, um sie schildern zu lassen, wie schrecklich das alles sei, oder die tägliche Trittbrettfahrer-Meldung sobald auch nur irgendwo wieder ein 15jähriger eine Drohung los gelassen hat, ist doch nicht weniger fragwürdig, als das was im Fernsehen zu sehen ist?

Ganz allgemein gefragt:
Warum werden ethische Problemfälle in den Medien immer nur mit Blick auf Fernsehen und Print geführt und so gut wie nie über das Radio? Weil sich fürs Radio eh keiner mehr interessiert? Weil die guten Sitten im Hörfunk eh schon ruiniert sind?

Oder gerne auch noch mal konkret zugespitzt:
Wer von den Radiomachern hier hatte in seinem Sender hinterher ein ernst zu nehmende Diskussion über das eigene Tun in diesem Amoklauf-Trubel? Und gibt es ernst zu nehmende Vorsätze, Regeln, Absprachen (wenigstens innerhalb der eigenen Redaktion) fürs - Gott bewahre! - nächste Mal?



PS: Auch hier kommen übrigens keine Hörfunker vor. Gelungen find ich den Beitrag trotzdem:

http://www3.ndr.de/sendungen/zapp/media/zapp3202.html

Er zeigt, wie losgelöst von der Menschlichkeit Journalisten ihren Job nur als Handwerk zum Geldverdienen verstehen. Oder wie anders ist zu erklären, dass sich offenbar die meisten bei ihrer journalistischen Hetzjagd unwohl fühlen, aber kaum einer den Mut hat, zu sagen: ICH mache das nicht. - Ein Thema, das - wenn ich mich recht erinnere - in anderem Zusammenhang und dank eines drastischen Prostituiertenvergleichs auch in diesem Forum schon mal für Aufruhr sorgte....
 
AW: Der Amoklauf und die Medien

Feines Stück von Zapp.

Auch wenn ich hier nicht mehr häufig verkehre, jetzt muss ich mich noch mal melden, weil ich solche Situationen soooo gut kenne und als Reporter sooo oft von Nöten, Abstürzen, Terroranschlägen, Naturkatastrophen berichtet habe/berichten musste.

Ich erkenne hinter der Trost- und Würdelosigkeit der Berichterstattung verschiedene Ursachen und Tendenzen, die ich nur stichwortartig aufliste und damit, wie üblich, zum Zerreißen freigebe.

  1. Die technische Fortentwicklung der Übertragung macht extrem schnelles und qualitativ (technisch gemeint!!!!) hochwertiges "Berichten" möglich. Die Preise für Equipment sind sehr gefallen, die Verbreitungswege günstiger und leichter zu handhaben. Die Vielzahl an (konkurrierenden) Medien tut ein übriges.
  2. Die Ausbildung der "Journalisten" wird immer schlechter und oberflächlicher. Wo früher Sorgfalt, Sprache, Gründlichkeit und Umgangsformen in Lokalredaktionen gepaukt wurde, regiert heute "Coolness", Schnoddrigkeit, rasante Spreche, un-substantiierte "News-Gier".
  3. Obiges hat nun schon in der 2. und 3. Generation (also Redakteuren und Redaktionsleitern) Platz gegriffen, die auch schon nicht mehr durch die o.a. Schule gegangen sind.
  4. Beharrlichkeit, echte Neugier und überprüfbare Recherche, abwechslungsreiche, gepflegte Sprache werden mit Unverfrorenheit, Schamlosigkeit, Respektlosigkeit und Ausdrucksunvermögen verwechselt.
  5. Die O-Ton- und Betroffenheitsmanie hat sensible Sprache, zurückgenommene Beobachtung, einfühlsame Schilderung verdrängt.
  6. Ich traue mir zu eine Katastrophensituation oder eine "crime scene" so darzustellen, dass jeder Hörer in seinen Bann gezogen wird, ohne dass ich auch nur die Trauer, die Würde eines einzigen Opfers oder Angehörigen verletzt hätte. Dafür brauche ich weder O-Ton noch Betroffene vor dem Mikro, sondern meine Augen, meine Ohren, meine Haut, meine Nase und so was Weiches, was man "Menschsein" nennt.
    Dies wird heute weder gelehrt noch umgesetzt, wohl auch von unerfahrenen Redakteuren nicht mehr abgefragt.
  7. Solche Stücke, die Atmosphäre einfangen, vertragen sich weder mit Bumpern, Jingles oder Stingern und kommen in 1'30, gehetzt auch nicht gut rüber.

Um es an einem anderen, immer wieder praktizierten Beispiel zu verdeutlichen: was bringen die Bilder von Angehörigen an Flughäfen, die nach dem Absturz einer Maschine weinen, hoffen, zusammenbrechen? Was soll die Großaufnahme von entsetzten, hilflosen Eltern, die Angehörige verloren haben?

Haben diese "Großreporter" eine Sekunde lang überlegt, ob sie eine RTLSATEINSPROSIEBENBRISANTEXPLOSIV-Kamera vor der Nase haben wollten, wenn bei ihnen der Polizist klingelt und sagt, ein Betonmischer habe seine Tochter zermalmt......

Auf Wiederhören - ich mache altmodisches Radio!
 
AW: Der Amoklauf und die Medien

HR-Info hat die Frage, wieviel Amoklauf in den Medien sein müsse, letzten Samstag schon gestellt, vor dem Hintergrund, ob es nicht gerade die Medienpräsenz sei, die Trittbrettfahrer am meisten motiviere. Eine schlüssige Antwort kann es darauf nicht geben, ich stimme aber vollkommen zu, daß solche Ereignisse regelmäßig zu viel Medienaufmerksamkeit bekommen.

Niemand, außer den unmittelbar und mittelbar Betroffenen, kann etwas zur Sache beitragen. Egal, über welches Ereignis man spricht, wenn ich einem der Betroffenen (sofern ich ihn nicht persönlich kenne) mein (durchaus ehrlich empfundenes) Mitgefühl ausdrücke, ändert das für diesen Menschen was? Genau gar nichts, weil ich ihm von vornherein nichts bedeute. Insofern reicht für mich als Nicht-Betroffenen die Information, daß das Ereignis passiert ist und dann die Informationen, die sich in der Folge daraus ergeben (im für diesen Thread zentralen Fall zum Beispiel die Diskussionen um Computerspiele und Waffenbesitz).

Die Schwierigkeit beginnt immer da, wo es nahe an die Menschen herangeht, die wirklich betroffen sind. Natürlich ist es wichtig, zu wissen, was einen Menschen zu so einer Tat bringt, und sei es nur, um vielleicht in Zukunft Warnzeichen eher erkennen zu können. Verhindern kann man solche Verbrechen nie, das liegt in der Natur der Sache. Ebenso ist es schwierig, abzuwägen, wieviel Information man preisgeben darf. Es ist zum Beispiel eine Gratwanderung, inwieweit man die Eltern hier "reinziehen" sollte. Die Eltern haben niemanden getötet. Bevor jetzt der große Aufschrei kommt "aber die haben...!" Ja, natürlich, die Waffe und zugehörige Munition lagen offen herum, das streitet niemand ab.

Trotzdem stelle ich hier ganz ketzerisch die Behauptung auf, daß das nicht Kern des Problems ist. Dazu ein paar Gedankenexperimente: Hätte sich der Junge nur selbst damit erschossen, hätte das so einen Medienrummel gegeben? Sicherlicht nicht. Spätestens nach zwei Tagen hätte kein Hahn mehr danach gekräht. Hätte der Vater seine Autoschlüssel liegen lassen statt einer Waffe und der Junge hätte in einer Fußgängerzone 15 Menschen totgefahren und sich danach mit 200 um 'nen Baum gewickelt, hätte man dann gefordert, Autoschlüssel fürderhin im Tresor wegzusperren?

Nochmal. Eine Waffe ist als Tötungsinstrument erdacht und hergestellt. Ein Auto ist als Fortbewegungsmittel konzipiert. Das ist mir sehr wohl bewußt. Trotzdem gibt es hier Parallelen, die man untersuchen kann, nämlich: warum gibt es so ein riesiges Medieninteresse und in der Folge: warum kommt es zu solchen Auswüchsen dabei.

Die erste Frage ist von wineandradio, wie ich finde, sehr gut beantwortet worden und liefert indirekt auch gleich die Antwort auf Frage zwei: warum kommt es zu solchen Auswüchsen?

Die Antwort sehe ich ebenso einfach wie unangenehm: weil wir Menschen einem gewaltigen Irrtum erlegen sind, nämlich dem Irrtum vernunftgesteuert zu sein. Oh mein $GOTTHEIT! Schon wieder so ein Frevel! Wie kann ich es wagen, uns Menschen als nicht vernünftig hinzustellen?!? Gemach, ich erkläre es. Natürlich sind wir Menschen vernunftbegabt. Es zeichnet uns Menschen aus, daß wir ein großes Gehirn haben, das wir für viele nützliche Dinge verwenden können: wunderschöne Gärten anlegen, Oratorien schreiben, launige Texte verfassen, Auto fahren, philosophieren, um nur einige ganz wenige zu nennen. Diese Fähigkeiten verführen (auch mich, übrigens) dazu, sich zurückzulehnen, sich selber auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: "Boah, bin ich toll, Mann! Ey!" - und es dabei zu belassen. Was wir gerne (und auch da nehme ich mich nicht aus) übersehen, ist, daß das alles zwar im Grunde richtig sind, wir aber den Blick zurück vergessen: wo kommen wir her? Genau, ich will den Bogen zur Evolution spannen. Wenn wir uns diese anschauen, stellen wir fest, daß wir mindestens genaus instinktgetrieben wie vernunftbegabt sind. Ich will gar nicht darauf hinaus, ob das eine besser oder stärker ist, als das andere, das spielt für diese Betrachtung gar keine Rolle. wichtig ist nur: wir dürfen das animalische in uns nicht vergessen, es spielt eine große Rolle.

Auch, wenn wir in unserer Gesellschaft viele kluge Regeln zum Zusammenleben (vulgo: Gesetze) aufstellen, begenet uns doch das uralte "Recht des Stärkeren" auf Schritt und Tritt: das fängt hier im Forum an (wer am lautesten brüllt, hat Recht) und endet bestimmt nicht bei der armen Verkäuferin aus dem Zapp-Beitrag, die der Reporter zu manipulieren versucht, indem er ihr vorwirft, einen "Schuldigen decken" zu wollen, weil sie ihm seine blöden Fragen (die im Übrigen vermutlich außer der vermeintlichen Befriedigung von Sensationsgier keinen wesentlichen Beitrag zur Situation dargestellt hätten) nicht beantworten will. Oder kann.

Das Vernunftbegabte Wesen Mensch hat mit Humanismus und Ethik zwei mächtige Werkzeuge geschaffen, die es ihm ermöglichen würden, seinen eigenen Ansprüchen an sich selbst durchaus gerecht zu werden - wenn es ihm gelänge, sich seines instinktiven Wesens bewußt zu werden und es sicher zu verwahren. Die Wahrheit sieht indes ein wenig trostloser aus, die österreichische Band "Erste Allgemeine Verunsicherung" bringt das in ihrem Song "Neandertal" schön auf den Punkt: "Humanismus und menschliche Ethik bringen keine Kohle, darum hamma's auch ned nötig...", denn spätestens, wenn wir beim Geld angelangt sind paßt alles wunderbar zusammen:

Unsere eigene Sensationsgier (das wohlige Erschauern angesichts des Leides anderer (sage mir keiner: "das gibt es nicht", denn warum sonst schauen wir uns Horrorfilme an, haben "blutige" Nachrichten die besten Einschaltquoten?!), gepaart mit dem Recht des Stärkeren ("je unverfrorener ich vorgehe, umso skandalträchtigere Nachrichten kann ich produzieren") und das Ganze dann vermischt mit einer Prise Geschäftssinn (je skandalträchtiger die Nachrichten, desto mehr Zuschauer/-hörer woraus folgt bessere Reichweite woraus folgt bessere Verhandlungsbasis meinen Werbekunden gegenüber woraus folgt fettere Boni für *MICH*) ergibt die unheilige Allianz, die wir allerorten sehen.

Damit will ich auch das Geld nicht verteufeln, auch Geld ist nur ein Mittel. Das, was *wir* daraus machen, *das* bestimmt, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Und wenn wir halt Wert auf Geld, Autos, Waffen, das Recht des Stärkeren und unsere eigene Sensationsgier legen, dann bekommen wir genau die Gesellschaft und Medienlandschaft, die wir verdient haben.

Traurig, aber wahr.

LG

McCavity

Ein kleiner Gedanke zum Schluß noch: wie gefiele Euch eine Welt, in der morgen zum Zeichen der Solidarität mit den Trauernden *alle* Medienleute und *alle* weder mittelbar noch unmittelbar Betroffenen, die *nicht* direkt aus der Stadt stammen, den zentralen Trauerfeiern fernblieben, wenn die *lokalen* Medienleute angemessen darüber Bericht erstatteten und diese Berichte dann von den anderen Medien übernommen würden? Alle wären informiert und ich bin sicher, es würde sich keiner einen Zacken aus der Krone brechen. All die Journalisten, die ja so einen "Scheiß-Job" (Zitat eines der Photographen aus dem Zapp-Beitrag) haben, könnten sich ruhigen Gewissens entspannen...
 
AW: Der Amoklauf und die Medien

@Wineandradio: Bravo!

Ich bin der Ansicht, dass das Radio zwar aktueller berichten kann als das TV, aber die Bilder im TV mehr Emotionen freisetzen, als Worte. Ich erinnere mich an die Tage nach dem 11.September, wo man im Radio diesen Enya-Song spielte, in dem noch die O-Töne von Reportern und Augenzeugen eingebaut wurden. Das war schon emotional fesselnd, aber die Bilder im TV bleiben länger hängen.

Damit möchte ich nicht behaupten, dass die Radionachrichten weniger wichtig sind! Im Gegenteil, man ist dort schneller (meistens...) informiert.

Letztendlich werden in die Mikrofone bei jedem soweit das Gleiche gesprochen. Der qualitative Unterschied macht aus, wer wie viel davon "verwurstet". Viele übertünchen mangelnde Fakten mit an den Haaren herbeigezogenen Geschichten oder mit Irrelevantem. So kann man eine noch so kleine Story aufblasen. In der heutigen Zeit nennt man das Populismus.
 
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Nun: Im Ersten dürfen wir morgen Vormittag 3 Stunden in der 1. Reihe sitzen und Trauerfeier und Gottesdienst hautnah beiwohnen. Wahrscheinlich gleichzeitig live bei n-tv, aber nur wenn Köhler und Merkel reden, Phönix und SWR.
Ein Glück, dass in Sachen Wintersport am Wochenende das ZDF an der Reihe ist.
 
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Lieber wineandradio,

eine eindrückliche Analyse. Man möchte applaudieren und deinen Text dringend mal den Radio-Ausbildern und Redaktionsleitern ans Herz legen.

Und, McCavity: Dein Vorschlag ist klasse. Zumindest die öffentlich-rechtlichen könnten doch mal mit gutem Beispiel voran gehen?
Denn dass ZDF, SWR, BR und weitere ARD-Anstalten alle eigene Übertragungswagen vor Ort hatten, wie man hört und teilweise in den Beiträgen sieht, ist doch nun wirklich mehr als unnötig.

Ich glaube sogar mit so einer Grundsatzentscheidung könnten die öffentlich-rechtlichen richtig punkten.....
 
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Ich möchte nochmal auf das Interview mit dem Redaktionsleiter der örtlichen Zeitung in dem Zapp-Beitrag aufmerksam machen. Bemerkenswert ist seine Erfahrung, daß die Öffis letztlich auch nicht viel zimperlicher sind, wenn es um die Beschaffung von Bildern des Täters geht: "Wenn Du uns ein Bild gibst, dann nennen wir Deine Zeitung in der abendlichen Hauptnachrichtensendung" - das hätte selbst ich bei einem Öffisender bislang nicht für möglich gehalten... :mad:
 
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Da kommt inzwischen leider einiges zusammen, was man früher nicht für möglich gehalten hätte.

Und warum? Weil da inzwischen auch hemmungslos alles outgesourct und privatisiert und sonstwas wird, was nicht niet- und nagelfest ist.

Ein festangestellter Redakteur hat früher ein Thema unabhängig von Quoten und dem eigenen Portemonnaie objektiv beurteilt und seinen Beitrag entsprechend nach den Kriterien "wichtig oder nicht wichtig" gebaut.

Aber fest angestellt sind bei den Öffentlich-Rechtlichen bekanntlich nur noch wenige Leute, und zwar die, die der Sender am liebsten lieber heute als morgen loswürde.

Die Beiträge machen die Freien, und wenn die die Wahl haben zwischen Beitrag verkaufen oder kleinere Wohnung, gibt es nur "wichtig, super-wichtig und giga-wichtig".
 
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@ Makeitso

@ Cocorita *)

Gute Hinweise!

Endlich mal wieder eine gehaltvolle Diskussion, ein lohnenswerter Thread.

*) eins stimmt nicht. Es gibt immer noch eine große Zahl extrem guter festangestellter Redakteure bei den Ö-Rs. Die mag man zwar nicht unbedingt loswerden, aber diese sind ihrerseits total gefrustet und finden keinen Platz mehr zwischen den Präsentationskünstlern, Zwangsformatierern, Event-Fuzzis und Design-Fetischisten.
 
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Nun: Im Ersten dürfen wir morgen Vormittag 3 Stunden in der 1. Reihe sitzen und Trauerfeier und Gottesdienst hautnah beiwohnen.

Und kommenden Montag...?

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*) eins stimmt nicht. Es gibt immer noch eine große Zahl extrem guter festangestellter Redakteure bei den Ö-Rs. Die mag man zwar nicht unbedingt loswerden, aber diese sind ihrerseits total gefrustet und finden keinen Platz mehr zwischen den Präsentationskünstlern, Zwangsformatierern, Event-Fuzzis und Design-Fetischisten.

Jjjjjjjjjjjjj.....aa.

Sagen wir es mal mit Loriot: Das ist fein beobachtet.

Kann man so sehen, wenn man es nicht muss.

Ich möchte mein früheres Posting

icke selbst schrieb:
Aber fest angestellt sind bei den Öffentlich-Rechtlichen bekanntlich nur noch wenige Leute, und zwar die, die der Sender am liebsten lieber heute als morgen loswürde.

bei dieser Gelegenheit etwas relativieren, in folgende Formulierung abmildernd:

Bei den Öffentlich-Rechtlichen sind nur noch die fest angestellt, die angestellt werden müssen. Wobei "müssen" früher eine Frage des Ermessens*) war, und heute nur noch eine Frage der arbeitsrechtlichen Paragraphen.

*) und zwar des redaktionell-qualitativen

@ K6
Süß! Selbstgemalt?
 
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Was mir im Zusammenhang mit der Bericherstattung aufgefallen ist, ist der Fauxpas eines nicht gerade unbedeutenden öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsprogramms am heutigen Samstag vormittag:

Es läuft ein BmO über die Trauerfeier, der natürlich auch keinen Tränendrüseneffekt ausläßt und ziemlich detailliert die Stimmung beschreibt, die sich am Rande und im Rahmen des Gottesdienstes darstellte.

Danach Abmod durch die Moderatorin und die fröhlichen Klänge der Dire Straits mit "Walk of life".

Yeah, you do the walk of life! Düü düü, düdü dü düdü düü düü...

Wieder einmal zeigt dies deutlich, daß Wort- und Musikredaktion miteinander kunkurrieren und nicht einmal die letzte Kontrollinstanz in Gestalt der Moderatorin dazu imstande ist, einen solchen Fehler zu erkennen und zu korrigieren.
 
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Es gibt ja einen Ehrenkodex der Presse:

Ziffer 1
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.


Ziffer 2
Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und Informationen in Wort und Bild sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Dokumente müssen sinngetreu wiedergegeben werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen...


Wenn sich die Medien an den Kodex halten ist schon viel erreicht.
Das nun auch Ärzte ihre Schweigepflicht brechen, aus welchen Motiven auch immer, und öffentlich über das Seelenleben des Tim K. diskutieren ist nicht hinnehmbar.

Gerade nach einer Tat wie in Winnenden ist Sensibilität in der Berichterstattung nötig, schon aus Achtung vor den Betroffenen und den Angehörigen der Opfer, dazu zähle ich auch die Familie von Tim.

Ich finde die Berichterstattung abstoßend und verstehe Kobold gut.
 
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Die Berichtersattung selbst war an bestimmten Stellen schon schlimm genug. Wie sich jetzt aber beinahe ausnahmslos alle über sich selbst beschweren, darüber wie böse und mies sie berichtet haben, ist fast noch schlimmer und vor allem heuchlerischer als die Amok-Berichterstattung selbst.
Und eine Kanzlerin und ein Bundespräsident stellen sich hin und schwadronieren über die Verschärfung von Waffengesetzen und über Verbote von sogenannten Ballerspielen. Und die Medien plappern es fast alle ausnahmslos nach ohne zu hinterfragen...

Ausgerechnet die "Junge Welt", einst pateikonformes Propaganda-Blättchen der FDJ, bringt es zwar leicht polemisch, dafür aber ziemlich genau auf den Punkt: Klick! Aber um etwas so darzustellen, müßte man sich ja mit der Thematik beschäftigen. Und das würde schon wieder echte Recherche bedeuten... Armes Medien-Deutschland!
 
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Zuallererst einmal: Die Art der Auseinandersetzung in dem Faden hier gefällt mir richtig gut derzeit!

das hätte selbst ich bei einem Öffisender bislang nicht für möglich gehalten... :mad:

Luke, ich bin dein Vater...
In welchem hübschen, harmlosen Film warst Du denn bislang beheimatet?

@ wineandradio

Schön, dass Du Dich zu Wort gemeldet hast. Und schön, was Du geschrieben hast.

[*]Ich traue mir zu eine Katastrophensituation oder eine "crime scene" so darzustellen, dass jeder Hörer in seinen Bann gezogen wird, ohne dass ich auch nur die Trauer, die Würde eines einzigen Opfers oder Angehörigen verletzt hätte. Dafür brauche ich weder O-Ton noch Betroffene vor dem Mikro, sondern meine Augen, meine Ohren, meine Haut, meine Nase und so was Weiches, was man "Menschsein" nennt.

Genau das erwarte ich von Journalisten. Mache bitte weiter so.

Neben dieser Verantwortungslosigkeit im Umgang mit Betroffenen, wie wir sie derzeit erleben mussten, ist auch jeder halbwegs empathiebegabte Mensch komplett überfordert mit der medialen Umgangsweise mit Verbrechen wie in Winnenden, mit Unglücken wie in Köln und mit dieser fast ein Vierteljahrhundert dauernden Qual von Fritzl. Das sind Zumutungen, die eines Vergleiches spotten. Ich möchte mich weder in die Haut der Tochter Fritzls versetzen, noch in die der Betroffenen in Winnenden, noch in die der in Köln. Meine Medienabstinenz der letzten Tage hinsichtlich Hörfunk und TV hat dazu geführt, dass ich hier die Wahl hatte, welche Informationen ich mir zumute. Denn entgegen des Gehörs, welches nun einmal nicht abzuschalten ist, haben Zeitung und Videotext den Vorteil, dass ich wirklich Dinge ausblenden kann, die ich nicht wissen möchte. Fritzl ist nun seiner Strafe zugeführt. In Köln werden Fakten bekannt, die vermutlich das Unglück hätten verhindern können. Und in Winnenden sind hoffentlich die Fahrzeuge und die Papparazzis abgezogen.

Um es an einem anderen, immer wieder praktizierten Beispiel zu verdeutlichen: was bringen die Bilder von Angehörigen an Flughäfen, die nach dem Absturz einer Maschine weinen, hoffen, zusammenbrechen? Was soll die Großaufnahme von entsetzten, hilflosen Eltern, die Angehörige verloren haben?

Es bringt nichts an Informationswert. Es schadet den Betroffenen. Und es bringt mir als zusehenden Menschen Entsetzen, da ich nur wählen kann zwischen Abstumpfen, indem mich solche Bilder (und Radio ist Kino im Kopf!) nicht mehr berühren, und tiefer Verzweiflung, indem ich mich in die Situation hineinversetze.

Ich möchte weder das eine noch das andere wählen müssen.
 
AW: Der Amoklauf und die Medien

Es hat auch mit Selbstachtung zu tun. Jeder Journalist entscheidet vor Ort welche Bilder er macht und welche Bilder er freigibt die hinterher veröffentlicht werden.
Es muß nicht alles gezeigt werden. Wer Katastrophenbilder sehen will braucht nur Googeln.

Wenn ich mir eine Zeitung kaufe oder Radio höre, erwarte ich Fakten. Das heißt Meldungen aus unserer Welt die auch der Realität entsprechen.

Dafür wird mir mehrmals jährlich Geld abgebucht. GEZ.

Ich finde das Leben ist spannend genug und jeden Tag erfrischend anders.

Nachrichten sollten sachlich sein und gut recherchiert.
 
AW: Der Amoklauf und die Medien

Bei all meinem Unmut über die Berichterstattung muss ich aber doch ein Stück weit die in Schutz nehmen, die da vor Ort ihren Dienst taten. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Ich habe den Verdacht, dass sehr viele Fotografen und Journalisten gar nicht die Wahl haben, was sie da machen, sondern es machen müssen, weil die Verantwortlichen in den Medien sie da hinschicken und sagen, das muss so gemacht werden. Damit sind wir aber auf der Ebene angelangt, wer eigentlich die Verantwortung dafür trägt, wie die sog. Berichterstattung heutzutage aussieht. In einer Zeit, in der in diesem Land kaum einer mehr den Luxus der freien Berufswahl gar -gestaltung hat, möchte ich hier nicht auf die dreschen, die das mit Magenschmerzen tun.
 
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