AW: JUMP – Wie lange wird noch gehüpft?
Interessant. Woher nimmt aber die Freie Presse die Gewißheit, was Radiohörer vermissen? Die übliche "Unterhaltung und Information für die mittlere Generation" gibt es in Mitteldeutschland zuhauf: PSR, AThü, SAW, ... - überall der gleiche biedere Mix für eine langweilige Bevölkerung. Das ist Grundversorgung für die Masse - nachweislich, MA-dokumentiert. Dazu halt das Geprolle von Jump, das sicherlich manchen verschreckt, weils zu aggressiv daherkommt. Das ist halt ein Spartensender für eine ganz spezielle Zielgruppe. Und selbst viele Mittzwanziger hören bereits die MDR-Landeswellen, sehr zu meinem Entsetzen, ist aber so. Auf dieser Ebene ist doch wirklich für viele gesorgt. Lücken sehe ich ganz woanders:
Was fehlt, ist einerseits ein akzeptables Angebot für Menschen, die sich intellektuell ernstgenommen fühlen wollen, ohne primär im Bereich Klassik zu Hause zu sein. Das allein kann Figaro nicht abdecken - und nur weils Klassik ist, muß es noch lange nicht spannend oder wertvoll sein. Und Lücken sehe ich auch bei denen, die wirklich über 70 sind. Müssen sich meine Eltern, an denen schon die Beatles als "neumodischer Krach" völlig vorbeigegangen sind, auf MDR 1 Madonna reinfahren? Nein, also wird das Radio nur noch zu den Nachrichten an- und danach sofort wieder ausgemacht. Das, was meinen Vater interessiert (Bigband, Klassischer Jazz, die Amiga-Schlager der späten 40er Jahre (Walter Dobschinski, Kurt Henkels, Bully Buhlan, Peter Rebhuhn, ...) findet sich nirgendwo, das, was meine Mutter ansprechen würde, ebensowenig. Für Wortsendungen reicht der Deutschlandfunk, da hat es wenigstens oft noch Substanz.
Ich hatte vor einem Jahr eine alte Kassette mit einer Aufnahme einer Sendung von Radio DDR 1 aus dem März 1989 gefunden, Inhalt: Hörerwünsche aus dem Bereich Schellack. Die davon erstellte CD mußte ich zigmal kopieren, die hat mein Vater an seinen halben Bekanntenkreis verschenkt. Das ist alles noch allgegenwärtig und ungemein beliebt und wird auch anderswo diskutiert.
Und wie reagiert der MDR? Mit einer "Neuregulierung" bei Sputnik, die auch dieses Programm erfolgreich entwertet hat. Das Formatradio-Gejaule, das einem da entgegenquillt, ist übelkeitserregend. Habs vor kurzem mal probiert und nur wenige Minuten ausgehalten. Dann kam das Teasing des Musikmülls der nächsten halben Stunde - und ich mußte schnell wegschalten. So eine elendige, belanglose, musikalisch wertlose, uninteressante, verlogene, zum Verkauf produzierte klebrige Popscheiße auf einem öffentlich-rechtlichen Programm zu spielen ist wirklich unfassbar - nicht nur beim MDR. Null Aussage, keinerlei ethische Werte, keinerlei Gehalt in den Texten. Das rangiert knapp oberhalb von Klingeltönen. Daß man dafür Gebühren verbrennen darf, ist skandalös.
Und so darf es auch nicht wundern, daß z.B. ganze Bevölkerungsgruppen nicht mehr daran teilnehmen. Eine Freundin (Anfang 30, Biologin mit 4-jährigem Sohn) hört letztlich in Thüringen nur Wortsender. Die Musik kommt irgendwo anders her und hat dann plötzlich auch Aussage und Wert: Dota (die Kleingeldprinzessin), Gundermann (auch 13 Jahre nach seinem Tod bei Leuten um die 30 ungemein beliebt und musikalischer Stammgast am Lagerfeuer - "spiel doch mal bitte 'Vater'"), Moritz Krämer (den habe ich angeschleppt gebracht) undsoweiter. In Mitteldeutschland hat man erfolgreich nicht eine Generation, aber eine Bevölkerungsgruppe aus dem Radio vertrieben: die, die ihre Würde nicht verlieren wollen und einen eigenen Kopf haben.
Nee, so wird das alles nichts. Abwickeln, den ganzen Laden. Endlich. Nach 20 Jahren Programm ausschließlich für eine Bevölkerungsgruppe wird es Zeit, daß auch mal die anderen drankommen.