Federführend für RadioEins wurde der ORB (Potsdam) ebenso wie bei Fritz und Inforadio. Federführend für Kulturradio wurde der SFB.
Die Federführung vom Inforadio lag beim SFB, inklusive des kleinen technischen Details der Verlegung der Berliner Frequenz 93,1 MHz zum SFB-"Hausstandort" Berlin-Scholzplatz (und nicht zum Alexanderplatz, was auf Grund der vorherigen "Ost"-Zuordnung dieser Frequenz (Berlin-Köpenick) eigentlich naheliegend gewesen wäre).
Mir geht es aber nicht um diese Korrektur, sondern um einen Blick ins Jahr 2000. Das Verhältnis von ORB und SFB war zu diesem Zeitpunkt derart zerrüttet, dass der ORB sogar den Rückzug vom Inforadio ankündigte.
Einige Quellen:
Die Welt, 28.08.2000:
Fünfter Geburtstag des erfolgreichen Nachrichtensenders -ORB verlässt das Gemeinschaftsprogramm - Interview mit InfoRadio-Chef
www.welt.de
Tagesspiegel, 01.09.2000:
Das Inforadio wird zum 1. Januar 2001 eine Alleinveranstaltung des Senders Freies Berlin (SFB).
www.tagesspiegel.de
Berliner Zeitung, 20.12.2000:
Eigentlich sollte alles besser werden: Vor gut drei Jahren beschlossen SFB und ORB eine weit reichende Zusammenarbeit bei ihren Radioprogrammen, um sich in der Region nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen. Neben den gemeinsam betriebenen Sendern Radio 1 und Inforadio galt vor allem den neuen...
www.berliner-zeitung.de
Hintergrund dieser Grabenkämpfe war der erhebliche Misserfolg der Hörfunkreform von 1997, die unter anderem auch Radio Eins hervorbrachte. Nebenbei gesagt, einige der gegenseitigen Anwürfe (z.B. die Wahrnehmung, Brandenburg käme nicht ausreichend vor) haben sich bis heute gehalten, auch wenn sie nun vornehmlich von der Landespolitik, und nicht mehr aus dem Haus selbst, adressiert werden.
Das Jahr 2000 ist, und damit zurück zum Thema, auch interessant hinsichtlich der Musikfarbe auf Radio Eins. Die enorme Quoten- und Akzeptanzschwäche des Programms war eigentlich schon Anlass für das Aus, in den Medien wurden schon Pläne für ein "Hitradio Eins" kolportiert, Lehnert wurde als damaliger Chef massiv in Frage gestellt und teilweise demontiert. Eine Reaktion war, die Musikfarbe von Radio Eins erheblich umzustellen, nämlich deutlich den Mainstreamanteil zu erhöhen. "Ecken und Kanten" sowie ein durchgängiges Indie-Profil gab es nicht mehr. Und aus Radszuhn wurde kurzzeitig "Super-Ratze" als Pate irgendwelcher dämlichen Gewinnspiele, Tiefpunkte gab es also einige.
Mitte der 2000er war dann, den steigenden Hörerzahlen sei Dank, mit diesem Unsinn wieder Schluss, und spätestens mit dem Antritt von Florian Barckhausen als Wellenchef hatte die Musikredaktion wieder vollständigen Spielraum für ein alternatives Musikprogramm, auch tagsüber.
Heute besteht dieser Druck eigentlich nicht. Was sich am Beispiel von Harry Styles (sicherlich etwas zu detailverliebt) hochschaukelte, hat prinzipiell aber eine wahre, übergeordnete Dimension.
Der Interims- und vielleicht auch künftige Dauer-Musikchef Frank Menzel betreibt gerade einen massiven Umbau der Musikfarbe des Programms. Da werden nicht nur "Spitzen gekappt", sondern es geht schon um die Klangfarbe als Ganzes.
Gitarren, Shoe-Gaze, (klassischer) Independent-Pop raus; R'n'B', Dance-/Hip-Hop-Lastiges und Mainstream rein - so kann man es beschreiben.
Was Menzel antreibt, keiner weiß es so richtig. Sicherlich eigene Vorlieben und die eigene Biografie. Ob das diesen heftigen musikjournalistischen Umbau rechtfertigt, muss sich zeigen.
Von den mutmaßlichen drei Gruppen (
verärgert, uninterressiert, erfreut) gehöre ich zugegebenermaßen vollständig zur ersten, d.h. ich höre kaum noch dieses Programm bzw. bin raus.
Am Ende wird aber nicht diese individuelle Haltung entscheiden, sondern ob das Programm sein Renomme insgesamt behalten kann.
Nach dem Ende von Radio B Zwei war man sich beim RBB einig, dass man ohnehin nichts vom Kuchen der großen Popwellen abbekommen würde. Man ging dort also ab 1997 bewusst den entgegengesetzten Weg, welchen SWR3 ab 1998, Bayern3 ab 1992, NDR2 ab 1995/1999 und HR3 ab 1998 eingeschlagen waren: Man setzte auf Qualität statt auf Masse. Hochwertig produzierte Musik, anspruchsvolle Texte, handgemachte Melodien, echte Instrumente statt Computersounds und gepitchte Vocoder-Stimmen waren das Motto.
Mit Blick auf Radio Brandenburg, dem Frequenzvorgänger von Radio Eins und formeller Teil der Fusion, kann ich radiohistorisch diesen Blick nicht teilen. Radio Eins war genau der Versuch, für ein vermeintlich musikalisch und gesellschaftlich
progressives Spektrum ein Massenangebot zu schaffen. Lehnert, Skuppin und Wieprecht, also die Senderprotagonisten, glaubten schon sehr ernsthaft, mit ihrem taz-affinen Kreuzberger, Neuköllner und Schöneberger Umfeld und deren Marotten auch die Mehrheit im Sendegebiet zu haben (und damit mal so locker 100.000 Hörer pro Durchschnittsstunde zu wuppen). Dieser fatale Irrtum hat nicht nur entscheidend journalistische Qualität, sondern auch Vertrauen, gekostet.