Ich kann gar nicht sagen, was es in mir auslöst - verzeiht die Gefühlsduselei - diesen Thread hier gefunden zu haben. Ich hatte die letzten Jahre vollkommen verdrängt, wie mir seinerzeit der Wechsel von SDR3 zu SWR3 das Herz bluten ließ. Wenn dies kein allzu sachlicher Beitrag mit wenig Fakteninformationen wird, entschuldige ich mich schon jetzt - dann möge man meinen Gefühlsausbruch vielleicht als Dokument des Grades verstehen, mit dem SDR3 auf Menschen (okay, vielleicht auch nur auf Verrückte wie mich) gewirkt hat.
Unglaublich, wie gut ich die Jingles oder einzelne konkrete Ausschnitte - etwa das Intro zu den Top1000XL noch im Ohr hatte - und unglaublich traurig, dass es diesen Sender nicht mehr gibt.
1998, als SDR und SWF fusionierten, war ich gerade 15 Jahre alt. Ich kann nicht mehr ganz genau sagen, wann meine damalige Radiobegeisterung begonnen hat - ich weiß nur, dass ich die Top 2000D noch nicht und die Top1000XL schon bewusst und als 'Fan' mitbekommen habe. Meine Liebe zu diesem Sender muss sich also zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr abgespielt haben. Und wie innig diese Liebe war!
Am herausstechendsten habe ich freilich die vielen Radioaktionen im Gedächtnis. Neben der Hitparade war das vor allem das 6-Tage-Radio. Ich erinnere mich noch genau, wie ich in diesen Wochen morgens mit dem Rad nach Alfdorf - für die Region Schwäbischer Wald dreimal mit dabei - gefahren bin und meine Tage vor der Radiobühne, als Teil des mit mehreren Kilometern längsten Äquadukts oder eines chinesischen Drachens verbracht habe. Und ich erinnere mich noch an den Jubel der vielleicht 2000, 3000 Anwesenden, als "wir" den Titel der "wildesten Region im Wilden Süden" geholt haben.
Aber auch meinen Alltag hat SDR3 damals wesentlich mitbestimmt. An allen Sendungen, die auf Hörerbeteiligung gesetzt haben - die "Plattenpost", der "Treff", die Playtime, die "ARD-Popnacht" von Freitag auf Samstag, aber auch die parallel im SWF3-Fernsehen ausgestrahlte Late-Night-Sendung "eXtraspät" mit dem damals noch agilen Matthias Holtmann habe ich mich so ausgiebig beteiligt, dass es mir heute schon fast ein bisschen peinlich ist und ich bei den Machern des Programms vermutlich den wahrscheinlich nicht ganz unberechtigten Ruf eines bemitleidenswerten, adoleszenten Nerds hatte. Wie oft habe ich auf den Plattenpost-AB gesprochen, wie viele Faxe habe ich an die Popnacht gesendet, wie oft (ich glaube, es waren 5 Mal) habe ich in eXtraspät gegen Matze Holtmann "Black&White" gespielt (und auch gewonnen), wie oft habe ich bei Treff Anrufe an irgendwelche Leute - vorzugsweise meine damaligen Lehrer - initiiert und wie oft habe ich meine Schreiben und Anrufe mit einer Kaskade an Grüßen an den Freundeskreis von "Lukas aus dem wilden Steinenberg" beschlossen? Und wie viele Stunden habe nach einzelnen Sendungen meiner Lieblingsmoderatoren Schmidt, Neelmeier und Holtmann vor dem Funkhaus in der Stuttgarter Neckarstraße ausgeharrt, um ein Autogramm zu bekommen? Die Mitschnitte meiner Musikwünsche jedenfalls füllten am Ende ganze 5 90-Minuten-Kassetten und ich bereue es unsagbar, dass ich diese Kassetten nicht aufbewahrt, sondern als ich mein Jugendzimmer räumte, entsorgt habe. Welcher unwiederbringliche Schatz ist da verloren gegangen?
Ganz besonders erinnere ich mich auch noch an eine ARD-Popnacht. Mit Freunden war ich mit der letzten S-Bahn ins benachbarte Stuttgart gefahren, wo wir die Nacht in der Wohnung der Schwester eines meiner damaligen Freunde verbrachten, selbstverständlich Radio hörend. Die heimischen Faxgeräte waren so programmiert, dass sie unsere Nachrichten, die wir aus Stuttgart nicht persönlich absetzen konnten, zu einem bestimmten Zeitpunkt losschickten. Mit der ersten Straßenbahn, irgendwann gegen 4 Uhr muss es gewesen sein, fuhren wir dann wie geplant zum Funkhaus. Es regnete, wir hatten ein kleines Kofferradio und ein riesiges Satelliten-Telefon vom Vater eines Freundes dabei und postierten uns unterhalb des Fensters des Sendestudios. Von dort wählten wir die Nummer des Studios, die sonst wohl nur zur internen Kommunikation genutzt werden konnte - der Pförtner hatte sie mir einmal verraten, nachdem er mich stundenlang vor dem Funkhaus hatte ausharren sehen und meinte, ich solle hereinkommen und einmal im Studio anrufen, ob diejenigen auf die ich wartete, überhaupt noch im Haus seien. In dieser Nacht moderierte Jochen Graf, der es kaum fassen konnte, als wir sagten, er solle mal aus dem Fenster schauen und dem wir von dort aus unter unserem Regenschirm zuwinkten.
Einmal haben wir es auch bis in das Büro von Thomas Schmidt geschafft, den wir eineinhalb Stunden lang für unsere - vor dem Abdruck des Gesprächsprotokolls allerdings eingestellte - Schülerzeitung interviewten. Auch die Kassette mit dem Mitschnitt dieses Gespräches gibt es leider nicht mehr...
Das Programm von SWR1, in dem viele Macher des damaligen SDR3 Zuflucht gefunden haben, nachdem sie erst eine Weile versucht hatten, sich mit dem Programm der Dudelwelle SWR3 anzufreunden, hat damit leider gar nichts mehr zu tun. Auch die dort mittlerweile jährlich durchgeführten und aus meiner Sicht vollkommen künstlich gehypten Hitparaden sind nur noch ein jämmerlicher, müder und trauriger Abklatsch dessen, was sich auf SDR3 abspielte. Der "Wilde Süden" war für meine damaligen Freunde und für mich viel mehr als ein Marken-Branding und SDR3 viel mehr als eine Popwelle. SDR3 war ein Lebensgefühl und für mich ein wesentlicher Teil meiner Jugend.