Ist es nicht so, dass man mit der Zeit auch einfach abstumpft und resigniert? Zumindest geht mir das so. Ende der 90er, als ich angefangen hatte, Radio zu machen, war ich mit vollem Herzblut dabei, habe alles in mich aufgesogen, Nächte in Studios verbracht, mir Sender aus der ganzen Welt angehört und überlegt, was ich - auch über den Rahmen des Erlaubten hinaus - in meine eigene Sendung übernehmen kann. Ergebnis: Mehr als einmal habe ich dafür sowohl von Kollegen als auch von Chefs bösen Ärger bekommen. Wer lässt sich schon gerne von einem Anfang 20jährigen Radio-Enthusiasten eine lange Nase machen? Und weil man als kleiner Moderator ja irgendwie sein Studium oder sein restliches Leben finanzieren muss, schaltet man irgendwann um auf "Dienst nach Vorschrift": Nichts hinterfragen, nichts doof finden, nichts kritisieren. Einfach machen und Hirn abschalten. Und Herzblut auch, denn sonst krepiert man innerlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was für einen geistigen Dünnschiss man da eigentlich abspulen soll.
Der Versuch, es besser zu machen, ist ebenfalls gescheitert. Ein wahrer Dialog:
Wortchef: "Wieso bringst du in der 5-Uhr-Stunde Inhalte?"
Ich: "Weil ich das für wichtig halte."
Wortchef: "Lass das. Ab sofort gibt's in der 5-Uhr-Stunde nur noch Musikmoderationen!"
Ich: "Aber morgens um 5 interessiert doch keinen, ob Taylor Swift Fußpilz hat. Da will man andere Sachen wissen. Musikmoderationen sind doch eher was für den Vormittag oder für Magazinsendungen am Abend."
Ich brauche nicht auszuführen, wer von uns beiden diesen Fight gewonnen hat und was daraufhin passiert ist.
Anderes Beispiel. Ich erinnere mich an ein Vorstellungsgespräch, das ich etwa 2014/15 mit dem GF eines angeschlagenen Privatsenders in Baden-Württemberg hatte, bei dem ich mich als PD beworben hatte und hoffte, dadurch etwas verändern zu können. Der GF hat das offenbar gemerkt und gesagt: "Damit eins klar ist: Wir wollen hier keine Experimente. Das muss alles so bleiben, wie es ist." Das Gespräch war dann recht schnell beendet, und ich bin heute froh, dass ich diesen Job nicht bekommen habe.
Nun, rund 25 Jahre nach meiner jugendlichen Euphorie und Begeisterung für das Radio gebe ich zu, dass ich fast vollständig aufgegeben habe. Ich arbeite schon lange nicht mehr beim Radio, dafür in einer Firma, die mir eine unbefristete Festanstellung mit jährlicher Gehaltserhöhung bietet und in der meine Fähigkeiten als Moderator gut gebraucht werden. Natürlich hatte ich immer wieder überlegt, mich doch nochmal bei dem ein oder anderen Sender zu bewerben, aber da geht's schon mit der Frage los: Wo? Bei welchem Sender würde ich mich wohlfühlen? Ich muss offen gestehen: Bei keinem. Höchstens bei Kulturprogrammen, aber dafür fehlt mir die klassisch-musikalische Expertise. Mir graut die Vorstellung, in einem Sender zu arbeiten, in dem sich die Hot Rotation alle zwei Stunden wiederholt, in dem die inhaltsleere und oft unfassbar peinliche "Morning-Show" der einzige Inhalt des Programms zu sein scheint und in dem Leute arbeiten, die offensichtlich mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss geschafft haben. Was man denen noch nicht einmal mehr vorwerfen kann, weil Leute aus dem Holze eines Patrick Lynen, Matthias Holtmann oder Frank Seidel heute einfach nicht mehr gebraucht und gewollt sind und die sich entweder über ihre (anstehende) Rente freuen oder, wie Lynen und auch ich, der Branche den Rücken zugekehrt haben.
Das Radio schafft sich selbst ab.
Einerseits argumentieren die PDs, man habe ja kaum noch Hörer und müsse deshalb plattes Programm mit enger Hot Rotation fahren. Und außerdem würden die Hörer es doch wollen, wie man an der MA ja wohl sähe. Klar: Wenn ich beim Rewe nur Holland-Tomaten kriege und aber dringend welche brauche, dann kaufe ich die eben. Dass Rewe dann sagt: "Die Leute kaufen sie doch! Also wollen sie sie ja auch!", ist natürlich völliger Irrsinn, denn wenn es gar nichts anderes mehr gibt, dann MUSS man nehmen, was man kriegen kann.
Andererseits hätten zahlreiche PDs (insbeonsdere die von ÖR-AC-Wellen) die Macht und die Möglichkeiten, es eben NICHT so zu machen wie tausend andere Sender, sondern sich wieder auf das zurückzubesinnen, was Radio ausmacht. Es bräuchte einen Mutigen, der sich nach vorne traut und sich von dem löst, über das wir uns hier mehrheitlich ärgern. Ich bin derjenige nicht. Es sei denn, jemand käme mit einem guten Angebot auf mich zu, aber dafür müsste mehr drin sein als eine auf zwei oder drei Jahre befristete Freie Mitarbeit.
Solange es diese(n) Mutige(n) nicht gibt, wird sich das Radio in der Form, wie wir es heute kennen und hassen, selbst abschaffen. Dann will ich aber bitte seitens der Progrmmverantwortichen auch kein Geschrei mehr hören von wegen "Die Leute hören nur noch Spotify", "Nachrichten zieht man sich über Twitter", "Wetter und Verkehr kriegt man ja auch über Apps" - mit anderen Worten: "Wozu sollen wir uns Mühe geben? Reicht doch, was wir machen."
Wenn einem das, was man da tagtäglich vom Stapel lässt, reicht, bitteschön. Die Konsequenz wird sein, dass das Radio samt seiner Macher noch weiter in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wird. Noch ist es nicht zu spät, das Ruder herumzureißen.