Woran machst Du das aus? Meinen Beobachtungen nach ist genau das Gegenteil der Fall.
Am Jahr 1952 und dem damit zusammenhängenden Musikkonsum.
Tonträgerstandard ist noch Schellack mit einer geringeren Spielzeit, dazu kommt eine stark verbesserungswürdige Technik. Die Schallplatte gab es zwar schon seit drei, vier Jahren, aber die hatte sich noch nicht durchgesetzt, Stereo war noch völlig unbekannt, das kam erst ab 1958. Das Ausschöpfen von akustischem Potential übernahmen damals die Tontechniker von Decca, die damals zwar nicht mit echtem High Tech, aber dafür mit guten Ohren und Kreativität ausgestattet waren und damit dem Klang zu einem echten Aufschwung verhalfen. Ab da konnte man wirklich klassische Musik hören, bei der man nicht alle vier Minuten gezwungen war, die Platte umzudrehen oder zu wechseln, und bei der Nuancen vor allem in der Dynamik oder in den Arrangements eingefangen werden konnten.
Im noch jungen Fernsehen war klassische Musik zwar durchaus vorhanden, aber im größeren Stil fand der Siegeszug der klassischen Musik erst statt, als man die optische Komponente eher würdigte, sprich: Bühnenmusik, meint: Oper. Die erste Oper lief im deutschen Fernsehen erst 1953.
Wer Musik hören, meint vor allem: kennenlernen wollte, der war darauf angewiesen, selbst zu musizieren, oder er mußte ins Theater/in die Oper/zu Konzerten gehen (was sich '52 nicht viele Leute leisten konnten), oder er brauchte einen Plattenspieler, der damals den kleinen Mann auch Monatslöhne kostete.
Tom Buhrow unterstellt in seiner Rede Deutschland im Jahr 2022 mehr als 120 Berufsorchester. Die Musikakademien sind ebenfalls gut gefüllt, was ich zuletzt so gehört habe, aus der Klassiksparte habe ich in jüngerer Zeit nichts vernommen, das auf einen Nachwuchsmangel schließen läßt, insofern gehe ich davon aus, daß Klassik sein Publikum und seine Interpreten hat. Mit der Einschränkung, daß das Publikum, das einen Mozart-Abend besucht, traditionell größer und nicht zwangsläufig mit dem identisch ist, das sich auf Ondřej Adámek, Harry Partch oder Conlon Nancarrow einläßt.
Und wieviel davon wird wirklich im Rundfunk gesendet?
Deutlich weniger als produziert wird, was aber völlig normal ist. Gibt ja auch genug Musikproduktionen, bei denen sich Musiker die Orchestermusiker mal "ausleihen", oder es wird vor Publikum, aber nicht hinter Mikrofon musiziert
Nein, die Orchester waren seinerzeit notwendig, weil es gar nicht so viele (sende-)fertige Aufnahmen auf Platte und Band gab, um damit ein oder mehrere Vollprogramme zu füllen, da mußten Eigenproduktionen her, und viele Radiosendungen, die man heute als "Show" bezeichnen wurde, wurden von Live-Orchestern begleitet.
Stimmt. Wie ich sagte: viele Orchester waren damals schon mit dem Rundfunk verbandelt. Die Orchester ohne derartige Verbindungen oder ohne Stammbühne/-engagement sind aber in jener Zeit zunehmend weggebrochen.
Auf der einen Seite steht der ÖR Rundfunk per se zur Disposition, weil die Kosten zu hoch sind, auf der anderen Seite leistet man sich absolute Luxuseinrichtungen, wie besagte Orchester. So wichtig auch Kultur ist, irgendwo muß das aber auch finanzierbar sein.
Wie finanziert man eigentlich eine Nachrichtensendung?
Mag an mir liegen, aber irgendwie habe ich bei diesen Diskussionen immer häufiger das Gefühl, als ob gestern jemand die musikalische Vielfalt weggeknipst hat, weil man davon ausgeht, daß die das Publikum überfordert hat, heute möchte jemand die Sendungen wegknipsen, in denen intensiv recherchiert werden muß, weil man die Leute einsparen möchte, morgen will jemand bestimmte Sportübertragungen wegknipsen, weil die Übertragungsrechte zu teuer sind, übermorgen sollen die Orchester eingedampft werden, weil die so teuer sind. Und überübermorgen beschweren sich dann wieder alle fleißig darüber, warum der Rundfunk so teuer und so scheiße ist, wenn man bedenkt, daß da früher noch richtige Magazine liefen, tolle Sportübertragungen und viel Orchestermusik, aber das können die natürlich alle nicht mehr. In diesen Diskussionen sehe ich die Abwärtsspirale vorprogrammiert. Ich hätte viel lieber erst mal ein Konzept gehabt, wie's weitergehen soll. Die überflüssigen Teile wegsterben lassen können wir dann immer noch.
Und es ist ja kein Geheimnis, dass beispielsweise der BR sein Klassikangebot lieber heute als morgen ins digitale Abseits schieben will, um die wertvolle vierte UKW-Senderkette für ein jugendorientiertes Programm zu nutzen. Also einerseits wollen die Rundfunkanstalten gar kein richtiges Klassikangebot mehr, andererseits will man aber den Luxus millionenteurer Klangkörper. Das paßt nicht!
Mag an mir liegen, aber "digitales Abseits" ist für mich nicht automatisch gleichbedeutend mit "Nirwana".
Gruß
Skywise