Ich finde die 80er halt sehr wichtig, weil das das erste Jahrzehnt ist wo Popmusik eigentlich komplett elektronisch ist und weil es vorher schlicht und ergreifend bis auf ein paar Deutsche Rock Sachen (Lindenberg, Reichel, Westernhagen, Krautrock und Polizrock) eigentlich schlicht und ergreifend keine deutsche Popmusik in diesem Sinne.
Och na ja ... was ist "deutsche Popmusik"... die Imitationen vor allem in GB und USA angesagter Stilrichtungen gab's ja seit Ende des Zweiten Weltkriegs eigentlich immer, im Grunde genommen auch schon davor durch angeswingte Sachen, die man natürlich nicht "Swing" nennen durfte, da "Negermusik" etc. Und als dann Bill Haley durch den Äther rockaroundtheclockte, kamen ja mit Freddy ("So geht das jede Nacht"), Conny Froboess und Peter Kraus sofort die passenden Antworten darauf, teils auch mit ausländischer Unterstützung der Original-Interpreten, eigenständiger wurd's dann zunehmend mit den Burg-Waldeck-Festivals '64 bis '69 und dem internationalen Austausch von Folk/Folklore/Singer-Songwritern sowie bei den Essener Songtagen '68. Der Krautrock zog durch die Lande, teilweise mit deutschen Texten, dann gab's da auch noch solche Entwicklungen wie Ihre Kinder, die just zu Beginn der 70er Jahre deutsch sangen, Witthüser (Ruhe in Frieden) und Westrupp waren von Anfang an ebenso durchgeknallt wie deutsch, Ougenweide folgten traditionell mit Mittelalter-Rock nach, irgendwo da in der Ecke stöpselte dann auch der Maffay die E-Gitarre ein, um langsam das "Du" in der Schublade verschwinden zu lassen ("Samstag abend in unserer Straße"), der Osten war ohnehin auf einem völlig eigenen Deutschrock-Trip, da englische Texte ja bekanntlich wegen Klassenfeindallergie nicht gern gehört wurden, und im Süden taten sich durch den aufkeimenden Austro-Pop ebenfalls einige neue Möglichkeiten auf (Schmetterlinge, Ambros, Danzer), ...
Also - ja, vieles duftete noch mehr oder weniger nach Schlager, aber es gab da halt auch schon ganz ordentliche Versuche, sich davon zu lösen und zu erkunden, welche Möglichkeiten es da noch so gab. Hey, wenn Cindy & Bert anno '70 ein Lied von Black Sabbath covern, ...
Die 80er haben dann eben so unfassbare Dinge wie die NDW und deren Folgen losgetreten und auch wenn deren Anfanf sicher in den 70ern zu suchen ist, kam der Höhepunkt aus kommerzieller Sicht erst 1982/83 wo sich meiner Ansicht das Jahrzehnt soundtechnisch erst richtig entfaltet, das sieht man auch daran, was für Songs auf den Samplern aus der Zeit sind und was in den Top 100.
Hm. "Soundtechnisch" ... eigentlich wiege ich da etwas nachdenklich den Kopf ... Die soundtechnisch besten Aufnahmen verorte ich in den 50ern und 60ern, dort garantiert im Klassik-Sektor (EMI) und zunehmend im Jazz-Bereich. Mit den 80ern verbinde ich vor allem den flächendeckenden Einzug der Digitaltechnik und damit leider einhergehend die zunehmende Schlampigkeit der Tontechniker, weil man ja plötzlich Möglichkeiten zur Korrektur hatte, die es vorher nicht in dieser Form gab.
Ich gestehe, daß ich die Sampler der 80er Jahre eher nicht mochte, obwohl alterstechnisch das eigentlich "mein" Jahrzehnt wäre. Das hängt vor allem damit zusammen, daß man eigentlich schon ab Ende der 70er versucht hat, möglichst Zielgruppen mit der Musik zu beglücken. Auf früheren Samplern, die ja meistens noch von Menschen zusammengestellt wurden und nicht von Verkaufscharts, fanden sich immer wieder überraschende Überleitungen zu einzelnen Titeln oder Sachen aus der zweiten Reihe, die man bei der Gelegenheit auch entdecken konnte. Die Zusammenstellung war bunter (Jürgen Drews neben ABBA? Kein Ding) und meistens harmonischer. Auf den 80er Samplern mußte Hit auf Hit folgen - oder Sachen, die man dringend noch zu Hits machen wollte, stilistische Brüche nahm man da oft gern in Kauf.
Ja in den 90ern ist für mich das letzte richtig innovative Jahrzehnt, weil sich Techno durch Eurodance und Rave einer breiten Masse zugänglich macht und am Ende ist dann noch Deutsch Rap und das große Aufkommen von R‘n‘B, Rock findet sich ein paar mal neu, anfangs durch Grunge und Crossover, später durch NuRock und Fun Punk obwohl es da schon anfängt, dass Alles nur der X-te Aufguss von etwas war, was es schon gab.
Okay, Neuorientierung von R&B - einverstanden, wobei ich das so ähnlich empfinde wie NuRock oder Grunge - letzten Endes werden hier die bestehenden Grenzen zwischen bestehenden Genres bewußt verwischt. Ist ja in Ordnung, kann man auch machen. Aber bei manchen Entwicklungen kam ich schon in den 90ern aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus, beispielsweise im Heavy-Metal-Sektor, als auf einmal mehr oder weniger jeder Band ein eigenes Genre zugedacht wurde. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, mir die Frage zu stellen, wie eine Symphonic Melodic Viking Pirate Hardcore Meth Folk Grindcore Death Neoclassical Post-Power Gothic Black Funeral Doom Christian National Socialist Funk Dark Metal-Band klingt. Das klingt nach mehr Innovation als letzten Endes drin ist. Schubladenbezeichnungen werden überbewertet.
Aber die 80er waren doch vor Allem so innovativ wegen der Technik, die es vorher nicht gab. Es geht einfach darum, dass nicht nur ständig neue Genres entstanden, sondern ab 82/83 jedes Album einer Band ein völlig Neues Sounddesign hatte und die krassen Unterschiede im Sound zwischen 1980 und 1990 sind so frappierend wie in keinem anderen Jahrzehnt davor oder danach. Und das hängt ganz klar mit der Digitaltechnik, Computern, Samplern, FM Synthese zusammen.
Klar. Wie oben angedeutet: lachendes und weinendes Auge. Die Digitaltechnik hat Dinge ermöglicht, von denen früher die Leute mit den guten Ohren geträumt haben, aber die Leute, die heute mit diesen Träumen arbeiten dürfen, haben oft nicht mehr die guten Ohren. Die moderne Technik hat vieles ermöglicht, das gilt für die Tontechnik ebenso wie für die Vertriebswege - kriegen heute auch pfiffige Laien hin. Und das, wofür man 1970 noch ein Nebenzimmer reservieren mußte, bekam man ab 1980 in der Sporttasche unter, ab 1990 in der Gürteltasche. Muß nicht nur von Vorteil sein
Wobei - man soll ja fair bleiben: ich habe das Gefühl, daß in jüngerer Zeit wieder mehr Leute auf die analoge Technik zurückgreifen und sich damit quasi automatisch wieder die Frage stellen müssen, wie man schon bei der Aufnahme so tricksen kann, daß sich das Ergebnis hören lassen kann. Keine falsche Entwicklung.
Gruß
Skywise