Die Sprachlotterei treibt neue Blüten

Ist "verticken" jetzt wirklich schon in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen? :confused:
Ermittlungen gegen Post-Mitarbeiter
Päckchen geöffnet und auf Ebay vertickt

(...)
Ein ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Post soll in Wiesbaden zahlreiche Sendungen gestohlen und den Inhalt zum Teil auf Ebay vertickt haben. Einen entsprechenden Bericht des Wiesbadener Kuriers bestätigte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch dem hr. (...)
http://hessenschau.de/panorama/post...chen-inhalt-vertickt-haben,post-ebay-100.html
 
Zuletzt bearbeitet:
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Bei hr-online ist schon seit einiger Zeit eine schleichende Boulevardisierung der Beiträge zu beobachten - es begann mit dem Versuch witziger Überschriften, bei denen Heinz Erhardt im Grab rotieren müsste. Vor Scham.

Mit der Umbenennung in hessenschau.de muss dann der Sprachbesen zugleich sämtliche Dämme (Sprachbarrieren?) hinweggefegt haben, denn seither findet man dort nur noch selten Artikel, hinter denen man - zumindest sprachlich - einen Journalisten resp. gestandenen Redakteur vermuten könnte.

Wie es in den anderen Bundesländern und ihren ö-r Webauftritten aussieht, weiß ich nicht; bei den Privatfunkern traue ich mich gar nicht erst.

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Für mich begann es bereits am 28. Mai 2008 :eek: in Post #400 sowie TSDs perfekter Zusammenfassung in #403. Vor über sieben Jahren! Schlimm schlimm schlimm!
 
Was mich auch seit einiger Zeit nervt, wenngleich das Thema eher traurig ist:


"Die Fahrerin kam von der Straße ab, fuhr gegen einen Baum und wurde getötet."

"Der Mann stürzte in die Tiefe und wurde getötet."

"Das Kind befand sich noch in dem brennenden Haus und wurde getötet."



Fällt es nur mir auf, dass sich diese Formulierung bei Unglücksfällen häuft?

Meinem Empfinden nach hat "töten" etwas Aktives in sich: Jemand nimmt eine Waffe und tötet einen anderen. Der Jäger tötet das kranke Reh. Der Löwe tötet das Zebra. Das sind aber bewusst herbeigeführte Ereignisse und keine Unfälle.

In den weiter oben genannten Unglücksfällen kommt mir das "Töten" recht deplaziert vor, da tendiere ich eigentlich eher dazu, dass die Leute "ums Leben gekommen", "umgekommen" oder an den Folgen bzw. in den Situationen "gestorben" sind. Wie seht Ihr das?
 
Verstehe ich das richtig? Bei einem Tod mit Tötungsabsicht wurde das Opfer getötet. Bei einem Unfall ohne Tötungsabsicht kam es ums Leben. Und bei Suizid, wo zwar eine Tötungsabsicht, aber nicht die eines Dritten, vorliegt?

Dass das Opfer dabei ums Leben kam, ist ja in jedem Fall richtig formuliert. Aber wählte man dies dann nicht eher aus Pietätsgründen? Ist es so unangebracht zu sagen: "Der Mann warf sich vor den Zug und wurde dabei getötet."?
 
Ist es so unangebracht zu sagen: "Der Mann warf sich vor den Zug und wurde dabei getötet."?
Folgt man der Annahme, dass Tötungsabsicht vorlag und klammert dabei den Betroffenen selbst als denjenigen, der die Absicht verfolgte, aus, so impliziert diese Aussage ja, dass der Zug den Mann getötet hat. Das mag rein technisch betrachtet zwar auch nicht ganz falsch sein, ein Zug hat aber freilich keinen eigenen Willen.
 
Ja - gut und schön, aber man sagt doch auch, "der Mann wurde während des verheerenden Sturmes von einem umfallenden Baum erschlagen", obschon vermutlich keine explizite Tötungsabsicht seitens des Baumes vorlag.
 
Es wäre sowieso schöner - und professioneller - wenn diese Passivformen "wurde getötet" durch eine aktive Formulierung ersetzt werden würden. Also: "Während des verheerenden Sturmes hat ein umstürzender Baum einen Mann erschlagen ..."
"Ein Zug hat den Mann erfasst und getötet ..."
"Die Frau fuhr zu schnell, kam von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum. Dabei zog sie sich tödliche Verletzungen zu ..."
Und so weiter ...
 
Es wäre sowieso schöner - und professioneller - wenn diese Passivformen "wurde getötet" durch eine aktive Formulierung ersetzt werden würden.
Würdest Du mir das bitte anhand des Unfalls, bei dem der Fahrer aus dem Auto geschleudert wurde (auch eine Sprachlotterei?) und infolge dessen ums Leben kam, erläutern?

Diesen Unfallhergang kann man gar nicht ins Aktiv setzen. Dazu bräuchte es einen aktiv Mitwirkenden, der den Fahrer im Verlauf des Schleudervorgangs aus seinem Wagen in die Landschaft steckt.
Kleiner Tipp: Der Sicherheitsgurt ist es in den meisten Fällen nicht. ;)
 
"Bei einem schweren Autounfall auf der Landstraße xy ist ein 24jähriger Autofahrer ums Leben gekommen. Der Mann aus xy fuhr nach ersten Vermutungen der Polizei zu schnell, kam von der Fahrbahn ab und schleuderte gegen einen Baum. Der Aufprall war so stark, dass die Wucht den Fahrer durch die Frontscheibe schleuderte. Er flog mehrere Meter einen Abhang hinunter und zog sich beim Aufprall lebensgefährliche Verletzungen zu. Nach Angaben der Polizei starb er noch am Unfallort."
 
Ja, so würde ich es gerne lesen. Jedoch: Ich lese es nicht. Es ist zu lang, zu schwer verdaulich, es fordert Denkvermögen. Der dummredigierte Rezipient (wasn das nu wieder?) versteht es nicht, weil ihn die Verwendung einer differenzierten Sprache schlichtweg überfordert. Und die Redaktionen wollen diesen Leser / Hörer nicht verlieren.

Also lieber Schnitzel aus der Fritte für alle statt Rindsrouladen von einem Koch, der noch weiß, wie man sie bindet.
Isso.
 
Eben, im Leadsatz einer Nachrichtensendung in der ARD "Der Rauswurf des Kölner Polizeipräsidenten..." Ich halte das erstens für zu umgangssprachlich, zweitens faktisch für falsch, denn der gute Mann ist ja "nur" in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden, wird also seine Bindung an die Behörde behalten und seine Bezüge wohl ebenso. Was denkt Ihr über die Formulierung?
 
"Zu umgangssprachlich" ist doch nichts anderes als die höfliche Umschreibung für "Anbiederei".
Blöd nur, dass solche Formulierungen mittlerweile benötigt werden, damit überhaupt noch jemand hinhört. Erinnert irgendwie an den Teufelskreis der Drogensucht im Körper (der immer stärkere Kick etc.).

Ich habe dieser Tage aus gegebenem Anlass in diesem Thread weiter vorne (Jahre!) recherchiert. Wenn man die Diskussionen von damals™ zu heute vergleicht: Wundert euch überhaupt noch was? Da haben wir über Militärlyrik und Pietät diskutiert. Klasse!
Jedoch: Worüber wir heute stolpern, interessiert "da draußen", Verzeihung, keine Sau mehr.

Ich geh' jetzt in die Ecke und heul' 'ne Runde.
:cry:
Trotzdem: Danke, @OnkelOtto :thumbsup:
 
Eben, im Leadsatz einer Nachrichtensendung in der ARD "Der Rauswurf des Kölner Polizeipräsidenten..."

"Der Polizeipräsident von Köln wurde gekündigt". Warum kann man das nicht einfach formulieren? Aber Nachrichten sind vermehrt auch bei der ARD nur noch auf Sensation ausgerichtet, das nervt mich tierisch! Einfache Sätze verwenden, die nicht auf Sensation ausgerichtet sind, das würde der glaubhaften Berichterstattung viel mehr dienen.
 
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