Ich finde es persönlich sehr interessant und auch teilweise schade, dass diese Diskussion mitunter so emotional geführt wird. Als ich diesen Thread im Juli eröffnet hatte, dachte ich nicht, dass wir Ende September immer noch hier schreiben. Und dass so leidenschaftlich diskutiert wird.: 24.923 Aufrufe, fast 700 Antworten. Ich habe mich länger nicht zu Wort gemeldet, da ich nicht die Diskussion dominieren möchte und interessiert den Austausch hier verfolge. Nun aber möchte ich doch zu einigen Aussagen und Fragen Stellung beziehen.
Entschuldigung, dass dieser Post hier etwas länger ausfällt. Ich möchte nun auf Verschiedenes eingehen.
Einige der Gegenargumente sind dabei durchaus nachvollziehbar. Es gibt nie die EINE unumstößliche Wahrheit.
Die Stimmen von Menschen, die gendern oder gendersensiblen Journalismus befürworten, sind hier leise und in der Minderheit. Was wir nicht wissen: Sind sie so leise, weil niemand dieses Gendern gut findet, bis auf eine kleine Minderheit, oder weil es Menschen gibt, die dieser raue Ton bei Diskussionen darüber abschreckt? Wer möchte schon persönlich angegangen werden?
Aber was soll das Ganze mit dem Gendern überhaupt? Worum geht es denn?
Gendersensibler Journalismus bedeutet aus meiner Sicht nicht, einfach überall ein Sternchen hinzuknallen (oder Doppelpunkt, Binnen-I, Beidnennung etc.). Es geht darum, sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen. Es geht um Themensetzung und um Recherche. Zum Beispiel dann, wenn bestimmte Gesundheitsthemen für Frauen andere Konsequenzen haben, als für Männer. Gute Beispiele dafür sind die Beiträge der Journalistinnen Mareike Nieberding und Nicole Ficociello, die zeigen, dass die Exklusion von Frauen in der medizinischen Forschung und Therapie tödliche Folgen haben kann:
„Was Frauen krank macht“ (SZ-Magazin, 23.05.2019) und
„Gender Data Gap: Warum es Frauen gefährdet, wenn sie unsichtbar sind,“ (Bayern 2/Zündfunk, 08.03.2020)
Zum Schließen des Faden hier: Ich finde ja schon interessant, wenn hier Fundstellen geteilt werden und wir darüber diskutieren. Auf Polemik kann ich allerdings gut verzichten.
Es kann aber auch sein, daß man den "Urheber" eines Postings möglichst schnell aus der Schußlinie nehmen möchte, um ganz allgemein Schaden (für alle Seiten) abzuwenden.
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Ich persönlich sehe mich nicht in einer „Schusslinie“, denn ich halte es für möglich, sachlich zu diskutieren, ohne persönlich zu sein. Ist das Thema so zentral, dass "geschossen" werden muss?
Im Kommentar #604 fällt die Formulierung
„Aber Radiohörer und Fernsehzuschauer haben keinerlei Einfluss auf das, was gerade formuliert wird, sie werden einfach vergewaltigt und vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Das Wort "Vergewaltigung" im Kontext von Sprache und Gendern zu verwenden, macht mich betroffen. Ich finde es all jenen gegenüber unanständig, die Opfer einer Vergewaltigung geworden sind - sowohl Frauen als auch Männer. Bitte überdenken Sie, ob so ein Wort eine geeignete Metapher für eine Diskussion über gendersensiblen Journalismus ist. Sprache wirkt.
Im Kommentar #604 heißt es:
„Die Presse und Verlage merken das eher am nachlassenden Umsatz der wegen Genderei nicht mehr verkauften Erzeugnisse.“
Gegenfrage: liegt das tatsächlich am gendersensiblen Journalismus? Ich denke, dass die Auflagen seit Jahren wegen anderer Gründe runter gehen: Die Medien - Verlage und Rundfunkanstalten - haben mit dem Aufkommen sozialer Netzwerke und Kurznachrichtendienste ihre Gatekeeper-Funktion verloren. Es ist Verlagen nicht gelungen, ein zukunftsfähiges Bezahlmodell zu etablieren. Jahrelang war die Erwartungshaltung: was im Internet ist, gehört der Allgemeinheit und muss kostenfrei sein. Dass Recherche Geld und Zeit kostet, ist vielen heute irgendwie nicht klar. Es passiert recht häufig, dass sich Menschen in anderen Netzwerken darüber aufregen, wenn Inhalte verlinkt werden, die hinter Bezahlschranken liegen. Als ob es selbstverständlich wäre, dass journalistische Produkte gratis sind – anders als Handwerksleistungen, wie Reparaturen z.B.
Journalismus wird wenig wertgeschätzt – das liegt ganz sicher nicht am Gendern oder nicht Gendern, sondern einer sehr mangelhaften Medienbildung. Auch verändertes Konsumverhalten (On-Demand, Wunsch nach mehr Individualität) spielt eine Rolle.
Und vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass Themen und Inhalte zu lange nur durch die "männliche" Brille hindurch aufbereitet wurden.
Ein Gegenargument finde ich wichtig:
so lange nicht im Radio konsequent auch von Clan-Kriminell*Innen bzw. Clan-Kriminellseienden gesprochen wird, ist die stets nur beschönigende Verwendung von Genderformen nur ein Versuch, Frauen als das bessere Geschlecht zu behaupten.
@Beyme
Kannst Du bestreiten, dass Politik und Medien sehr gerne gendern, wenn Frauen damit positiv dargestellt werden (Bürger*Innen, Sportler*Innen, Leistungsträger*Innen), man das aber mit atemberaubender Konsequenz nicht tut, wenn es um Kriminelle, Mörder, Gefängnisinsassen, Schwarzfahrer und Maskenverweigerer tut?
Und dies soll ich dann "geschlechter
gerecht" nennen?
Beschönigen soll gendersensibler Journalismus nicht, sondern zeigen, was ist. Wenn in einer negativkonnotierten Gruppe nicht nur Männer dabei waren, dann sollte das auch so dargestellt werden. Menschen, die versuchen, eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, sind keine Heiligen. Auch sie wurden gewissermaßen sozialisiert und vielleicht spielt hier auch noch etwas mit hinein: In den Strafanstalten befinden sich ganz überwiegend Männer:
https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-Rechtspflege/Tabellen/strafgefangene.html?nn=212536
https://www.querelles-net.de/index.php/qn/article/view/228/236
https://www.fernuni-hagen.de/rechtundgender/downloads/Moldenhauer_Karstedt_Taeterinnen.pdf
Aber natürlich gibt es kriminelle Frauen und das sollte dann auch so benannt werden. Allerdings: die Pluralform von der Kriminelle/die Kriminelle ist die Kriminellen … da braucht es gar kein Gendersternchen…..
Was aber diese Diskussion zeigt: es ist sehr interessant, sich mal anzuschauen, was eigentlich mit den kriminellen Frauen los ist. Wenn sie nicht sprachlich vorkommen, kann es sein, dass sie auch nicht mitgedacht werden.
Und dann gab es noch dieses Statement hier:
Man ist nicht Mann.
Wieso schreibt man man nur mit einem n.
Eben, weil es es kein Mann ist. Man ist ja gerade der Ausdruck, wenn man sich nicht auf eine Person festlegen will und man so viel Distanz und Unverbindlichkeit schaffen will, wie man für richtig erachtet. Also vom Gedankengang genau konträr zur Absicht des Genderns, das man abzuschaffen.
Mit dieser Frage hier haben wir uns auch schon mal auseinandergesetzt. Wir sind jetzt bei diesem Stand:
https://www.genderleicht.de/Textlabor/soll-man-man-gendern/
Weil der Wunsch nach Studien aufkam:
@Beyme
wenn man tatsächlich eine hinreichende Studienlage zur Notwendigkeit angeblich "gendergerechter" Sprache hätte: dann könnte man doch all die überzeugenden Studien einfach glasklar benennen
Ich möchte einige Studien hier verlinken – allerdings nicht, weil ich hier jemanden gegen seinen oder ihren Willen vom Gendern überzeugen will, sondern, weil danach gefragt wurde. Die folgenden Studien und Aufsätze halte ich für bemerkenswerte Denkanstöße.
„Aus Gründen der Verständlichkeit ...“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten“
von Friederike Braun, Susanne Oelkers, Karin Rogalski, Janine Bosak und Sabine Sczesny in Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie
https://wiki.kif.rocks/w/images/0/08/Braun-et-al.pdf
„Automechanikerinnen und Automechaniker - Geschlechtergerechte Sprache beeinflusst kindliche Wahrnehmung von Berufen“,
von Dries Verwecken und Bettina Hannover in Social Psychology
https://www.dgps.de/index.php?id=143&tx_ttnews[tt_news]=1610&cHash=1308c97486a0f55bc30d6a7cf12bf49f
Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland.
Von Elisabeth Prommer + Christine Linke, Institut für Medienforschung, Universität Rostock.
https://malisastiftung.org/studie-audiovisuelle-diversitaet/
Geschlechterverteilung in der Corona-Berichterstattung. Wer wird in Krisenzeiten gefragt?
https://malisastiftung.org/studie-geschlechterverteilung-corona-berichterstattung/