AW: Hat Berlins Radio-Frosch ausgequackt?
Im großen Hundertradiowald herrschte von morgens bis abends ein Klingen und Singen. Dutzende Wichtel beschallten den Wald von ihren Bäumen aus mittels Posaunen und Schalmeien, und all die Waldläufer, die Eichhörnchen und Igel, die Dachse und Hirsche, die Hasen und die Vögel, tanzten und schwirrten beschwingt zwischen den Bäumen, dass es eine Freude war.
Die Wichtel sahen dies mit Wohlgefallen, denn wer den größten Applaus bekam, der erhielt auch die meisten Goldstücke aus dem großen Füllhorn der Äpfel-, Heu- und Nussverkäufer.
Im Hundertradiowald lebte in einem Kämmerchen auch ein lustiger Troll mit Namen Tobias Trotz. Er besaß nur eine kleine Blockflöte, und diese zu spielen hatte er leider nie gelernt: Aber in Gold wollte er baden wie die Oberwichtel, die stets die größten Batzen nach Hause tragen konnten. Dafür brauchte der Troll aber die Erlaubnis, von einem Baum die Hörner erschallen zu lassen, ein Vorrecht, das nur vom Rat der Radiodruiden vergeben wurde.
Durch den bizarren Sturz eines Mega-Wichts gelangte der Troll an einen großen Hof am Rande des Waldes, auf dem eine mächtige alte Eiche stand, von der seit Jahr und Tag Musik erklungen war; so lieblich, wie einst die Weisen des Frosches, der auf dem Hof gehaust hatte. Denn dies hatte der Troll den Radiodruiden versprochen: Er wolle es quaken und quirilieren lassen, dass die Bewohner des Waldes in noch fröhlicherem Reigen ihr Tagwerk verrichten könnten.
Und obgleich Tobias Trotz vom Tuten um vom Blasen keine Ahnung hatte, konnte er für nur ein Goldstück die an der Eiche aufgehängten Posaunen und Hörner genauso für sich gewinnen, wie die zahlreichen Dienstleute, unter denen da waren erfahrene Tischler, Bauern und Schmiede. Der Troll übernahm den Hof, obschon dessen Felder für so viel Gold gepachtet waren, wie es kaum von einem Radiofürsten zu erwirtschaften war. „Mir egal“, dachte der Troll, „ich sag’ einfach, die Pachtverträge sind ungültig, dann muss ich auch nichts zahlen.“ Dann drehte sich der Troll Tobias zum Spiegel, seine Mundwinkel wanderten hoch bis zu den Ohren und er sagte laut: „Ich bin ein Radio-Fuchs.“
Drei Jahre lang versuchte Troll Tobias seine Schatulle zu füllen: Er suchte nach Gefährten, die für sein waghalsiges Spiel Gold und Silber geben würden, versprach den Heuverkäufern das Blaue vom Himmel und protzte, er sei bald der größte Wicht im Hundertradiowald. „Mit 50 Gigawatt will ich bald ganz Nordeuropa beschallen“, jauchzte der Troll, und die Kundigen schüttelten die Köpfe ob solchen Unsinns und dachten: „Soll der Troll doch erst mal sein Programm ordentlich durchformatieren.“
Anstatt sich aber um sein Programm von der mächtigen Eiche zu sorgen, schmiedete der Troll immer absonderlichere Pläne für ein Radio-Reich, so groß wie das der größten Wichtel. Antrag um Antrag schrieb der Troll auch an die Radiodruiden in anderen Wäldern, wie dem in der Pfalz, die Kontrolle zu erlangen über möglichst viele Bäume. Stets versprach er die spannendste Vielfalt an Melodeien und die höchste Güte an Neuigkeiten aus dem jeweiligen Revier; indes gedachte er nie, sein Gelöbnis zu erfüllen. „Mit ungelernten, möglichst unbezahlten Kräften will ich es vermögen, alle Radiodruiden in die Irre zu führen“, dachte sich der Troll.
So kümmerte sich Tobias Trotz immer weniger um seine Posaunen und Hörner in der alten Eiche. Stets erklangen des Morgens aus von seinem Baume dieselben Litaneien und Weisen zur gleichen Stunde, auf dass die Eichhörnchen sich schließlich die Ohren mit Petersilie verstopften. Doch Troll Tobias wollte auch dies nicht sehen. In seinem Verlangen, reicher als die anderen Wichtel zu werden, erbat er sich von den Radiodruiden, zehn weitere kleine Bäume am Waldrand besteigen zu dürfen, um von dort eine Musike in den Wald und über die Felder zu schicken. Indes fehlten ihm die Schalmeien für dieses Unternehmen, so dass er nur an eine einzige Krüppelkiefer eine Flöte hängen konnte – das störte den Troll aber nicht. Er wollte vor allem bei den Goldverleihern mächtigen Eindruck schinden, dass sie ihm beste Währung in die Kasse fließen lassen würden.
Mit diesem Bild vor Augen streifte der Troll in jenen Tagen immer wieder durch den Wald und protzte weiter, er sei bald der Marktführer unter allen Wichteln, und jeden Abend tanzte Tobias nun, gemeinsam mit seinem treuesten Gefährten, dem Zwerg Gisbert, um seine Schatulle, und die beiden sangen im Chor: „Was kümmern uns die Waldläufer, wichtig sind die Heuverkäufer!“ Doch durch den Wald ging unterdessen ein Klagen. „Ist denn heute schon wieder Murmeltier-Tag?“
Je länger Troll Tobias die Posaunen in immer gleicher Fasson schallen ließ, desto weniger wollten die Tiere diese hören und schon bald sah der Troll, dass seine Schatulle sich nicht so füllte, wie er dies gehofft hatte. Da wurde der Troll zornig und fing an, die Bediensteten seines Hofes zu beschimpfen, und den einen oder anderen jagte er sogar davon.
Der Troll versilberte über die Jahre die Karren, Pflüge, Tische, Stühle und Betten des Hofes, seine Schulden zahlte er aber dennoch kaum. So stand eines Tages der Finanzdruide vor seiner Tür und sagte, Tobias müsse den Hof bis zum kommenden Morgen räumen, die Gläubiger verlangten ihr Recht. Da raufte sich der Troll die krausen Haare und jammerte bitterlich über die Ungerechtigkeit der Welt. Nach kurzem Greinen sann er aber darüber nach, wie er weiter im Kreise der sendenden Wichtel bleiben könne, um nicht komplett in die Bedeutungslosigkeit zurückzufallen.
Er ging zum Rat der Radiodruiden und klagte flehentlich, die gepachteten Felder seien so groß, sie würden zuviel Wasser vom Sendebaum abziehen, deshalb wolle er diesen versetzen lassen, an einen friedlichen, sonnigen Ort, auf dass er erblühe in alter Pracht. Dann würden auch die Posaunen wieder lieblicher klingen. Von seiner geplanten Flucht schwieg er wohlweislich.
Der Rat der Radiodruiden war gerührt von der Sorge des Trolls um den alten, mächtigen Baum, einigen rann eine Träne über die Wange, und so gewährten sie ihm seine Bitte und ließen ihre Zauberkraft spielen.
Daraufhin packte Troll Tobias noch am gleichen Abend die Koffer und hob den Zwerg auf die Kutsche. Er rief eine kleine Schar seiner zahlreichen Knechte zusammen und beschwor sie: Sie müssten mit ihm gehen und von nun an dürften nur noch trollgleiche Worte aus ihrem Munde fließen, dann würden sie alle reiche Belohnung erfahren. Die neue Behausung sei zwar kein Hof mehr, sondern nur eine kleine Hütte, doch in dieser stünden bereits Fässer mit Gold und große Radio-Karrieren bereit. Sollten Sie aber nicht auf seine Kutsche steigen oder gar seinen Plan an die anderen Bediensteten verraten, so würde er sie in den Schlund des Monstrums Hartzvier stoßen, auf dass sie elendiglich zu Grunde gehen sollten. Nur wenige widerstanden dem Drängen des Trolls, die meisten der gerufenen Knechte dachten an die Dunkelheit im Abgrund der Arbeitsagentur und der Speichel floss ihnen beim Gedanken an das Gold in der neuen Hütte, auch dem öligen Knecht, der von allen nur noch Sardine gerufen wurde, weil er sich fügsam in jede Konservenbüchse legen ließ. Einer der Knechte zerschlug mit dem Hammer noch schnell alle Hörner, die auf dem Hof verblieben waren, auf dass keiner der Zurückgebliebenen noch einen Ton aus ihnen hervorbringen könne.
Und so erklangen die Posaunen und Hörner am kommenden Morgen aus einer anderen Ecke des Waldes. Und die Knechte des Trolls tönten, als hätten sie nicht bereits drei Jahre lang dem gleichen Herrn gedient und dessen Aufträge ausgeführt, alles was sie von nun ab erschallen ließen, sei vollkommen neu und einzigartig, so knackig wie die rosigsten Äpfel auf dem Markt, ein frischer, neuer Sound im Äther.
Die zurückgebliebenen Bewohner des Hofes aber rieben sich die Augen und staunten über die Flucht von Tobias Trotz. Sie zürnten dem Troll und schlugen die Triangeln, Becken und Pauken, dass es ein großes Getöse gab. Die Radiodruiden erwachten daraufhin aus ihrem tiefen Schlummer, in den sie vor Wochen nach dem letzten Besuch des Trolls gefallen waren, und sie rieben sich ihre weißen Bärte. Eine kleine Weile grübelten sie vor sich hin, dann war ihr Verstand von seinem Ausflug zurückgekehrt, und sie befahlen dem Troll, die Eiche wieder an ihrem alten Ort einzupflanzen, wollte er nicht aus dem Wald gejagt werden. Listig stimmte der Troll zu, denn auf dem alten Hof gab es ja keine Posaunen oder Hörner mehr, um vom Wipfel des Baumes eine Melodei erklingen zu lassen, und so konnten die Trompeten des Tobias Trotz weiterhin munter ertönen.
Doch ein Feldhüter des Finanzdruiden erstand auf einem Markt ein paar alte Trompeten, eine Tuba und eine Flöte und bestimmte einige der Tischler, Bauern und Schmiede, wieder die Eiche zu erklimmen, auf dass von dort ein Lied in den Wald tönen möge. Die Melodei war noch kein Wohlgesang und die Eichhörnchen beschlossen, die Petersilie noch nicht wegzuwerfen, aber die Bediensteten übten weiter, so gut sie es mit den alten Instrumenten vermochten.
Den Troll Tobias aber hatte die Furcht ergriffen, endgültig sprudelnden Goldquellen Adé sagen zu müssen, und so jagte er alle seine restlichen Knechte auf die ihm verbliebene Krüppelkiefer, dass sie ein großes Klagen anstimmten über gewaltiges Unrecht, das dem Troll widerfahren sei. Sie krähten vom Wipfel des Baumes, ihre Krüppelkiefer sei eigentlich eine Eiche, und sie riefen „Haltet den Dieb“, in Richtung des Feldhüters, aber ihre Stimmen waren so leise, dass die Eichhörnchen mit Petersilie in den Ohren sie kaum hören konnten.
So nahm der Troll sich einen großen Trichter und lief durch den Wald, zu jammern über sein unendliches Leid. „Alles habe ich für die alte Eiche getan“, schluchzte der Troll in den Trichter hinein, „nur ich lasse den Wind in den Blättern singen, wie es der althergebrachten Weise entspricht, die ich den Radiodruiden vor Jahren versprochen habe. Ich bin der wahre und einzige Hüter des Froschgesangs.“
„Nanu“, dachten da die Eichhörnchen verwirrt, „hieß es nicht noch vor kurzem, das Quirilieren von der Krüppelkiefer sei etwas ganz Neues und Frisches, das es bisher nie gegeben habe?“ Nun sprach der Troll wieder von Traditionen, und Versprechen, die er den Radiodruiden gegeben habe. Waren drei Jahre nicht genügend Zeit, dafür zu proben? Und wie ging das zusammen mit der Botschaft, alles sei neu?
Während die Eichhörnchen noch über die Worte des Trolls sannen, hob dieser wieder an. „Drei Millionen Goldstücke mehr sind durch meine harte Arbeit in den Hof geflossen, ich bin ein kolossaler Kaufmann“, röhrte der Troll in den Wald zu den Tieren und Druiden, um am darauf folgenden Tag zu rufen:„Um acht Millionen Goldstücke pro Jahr habe ich die Bilanz verbessert, niemand kann so kreativ buchen wie ich.“ Und die Vögel und die Hirsche waren verwirrt ob dieses Zahlenkarussells und sie schüttelten die Köpfe, denn ihnen allen gemein war die Frage, welche Zahl denn nun stimme und wie der Hof so verkommen konnte, wenn das Gold, wie vom Troll berichtet, in Karren herangeschafft worden sei.
Doch der Troll hockte, wie immer wenn er geklagt hatte, auf seinen Knien, verbarg schluchzend das Gesicht hinter seinen Händen, die Worte murmelnd: „Ich war’s nicht, ich war’s nicht, die ander’n sind schuld, die ander’n sind schuld ...“. Und zwischen zwei Fingern lugte er währenddessen hervor, ob ihm denn jemand seine pfiffige Ballade glauben möge.
Der Troll musste so ränkevoll sprechen, obwohl er das natürlich gar nicht wollte, denn er befürchtete zu Recht, von den Radiodruiden wegen seines Gebarens einen kräftigen Schlag aufs krause Haupthaar zu erhalten.
Um ihren Gebieter zu stützen, zogen sich auch einige Knechte des Trolls lustige Masken übers Gesicht und streunten wie im Sommernachtstraum in neuem Antlitz durch den Wald; wie ihr Herr erzählten die einen die Mär vom echten Eichenradio, das nur der Troll beherrsche, die anderen erklärten, der Froschgesang sei tot, nun tue Neues not. Andere wieder, die sich Hubert K., waldfm oder dj-zehenkappe nannten, gaben sich als unbeteiligte Beobachter aus und beklagten einen sinnlosen Streit um die Eiche, der doch so gar nicht zum besten aller Waldbewohner sei, und Krokodilstränen rannen dabei über ihre Wangen.
Die Vögel und Hirsche, die Maulwürfe und Eichhörnchen, die Hasen und Igel, die all dies hörten, wussten ob dieser widersprüchlichen Bekundungen nicht mehr, was der Troll eigentlich wollte, und dachten, dieser solle lieber mal einen Logik-Kurs besuchen.
Mittlerweile hatte der Feldhüter den unwirtschaftlichen Hof geschlossen und mit anderen Wichteln gesprochen, so dass die Gläubiger nun hofften, bald zumindest ein wenig des ihnen zustehenden Goldes zu erhalten.
Und der Troll? Er sitzt wieder in einem Kämmerchen, und schreibt wie in allen früheren Tagen Antrag um Antrag an Radiodruiden. Immer noch will er Radio-Hütten aufbauen, die so schöne Kulissen sind wie die Häuser im Filmwald Babelsberg. „Nie will ich den Radiodruiden mein großes Geheimnis verraten,“ denkt der Troll, „dass von meinen Hütten nur die Wände stehen, darinnen aber nichts ist außer Ankündigungen.“ Das ist ja auch klar: Wo sollte der Troll denn das ganze Gold lagern, wenn er Redakteure in der Hütte wohnen lässt?
Und da noch nicht sicher ist, ihr lieben Kinderlein, ob die Radiodruiden dem Troll nicht doch noch einmal einen Sendebaum zusprechen –
- werft eure Petersilie noch nicht weg!
Gute Nacht.