ricochet
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Man will die Mittvierziger ansprechen, aber nicht weh tun, man will Oldies senden, irgendwie doch die vermeintlichen Klassiker (gibt´s als Sampler an der Tanke für 5 €), aber nur als Ausnahme, und man will Zeitgeist zeigen bei aktuellen Charthits - aber nur die, die nicht stören. Das ergibt diesen Brei.
Das wage ich zu bezweifeln. Die verhalten beigesteuerten "Classics" ("Oldies" passt im Falle von WDR2 nicht) sollen wohl tatsächlich auch die Mittvierziger mitnehmen, aber die letzten Reformbemühungen deuten unmissverständlich auf eine Positionierung als "Mainstream-AC-Welle" hin, die üblicherweise auf die Altersgruppe der 18-35 zugeschnitten ist. Selbst wenn in begrenzter Zahl ältere Titel laufen, dürfte diese Welle besonders im gehobenen Alterssegment starke Abwehrreaktionen hervorrufen. Es gibt unter den Hörern viel zu viele Heimatlose, in Bayern oder NRW sowie einigen anderen Ländern dürften sie sogar die überwältigende Mehrheit stellen. Dabei ist nicht das Alter, sondern der Musikgeschmack das herausragende Kriterium.
Womit wir wieder beim Kernproblem wären - die deutsche Radiowirtschaft ist unfähig oder vielmehr nicht willens, die Musikgeschmäcker einer heterogenen Hörerschaft auch nur ansatzweise abzudecken und versperrt sich mit Vehemenz allen sinnvollen und angezeigten Neuerungen. Das ist kein gutes Omen für eine Zeit, in der Mobilfunkfirmen mit günstigen Flatrates werben oder am Ende sogar selbst ins Radiogeschäft einsteigen - der zeitliche Horizont dafür beträgt im günstigsten Fall zwei, im ungünstigsten Fall fünf Jahre. Glaubt ihr tatsächlich, dass die mobile Hälfte der Gesellschaft zwischen Tweets, News- und Mail-Checks oder Facebook-Einträgen noch aufs langweilige und werbeverseuchte Einheitspopgedudel umschaltet? Als Radiobetreiber würden bei mir längst alle Alarmglocken läuten.
Natürlich müssen sich die Betreiber früher oder später den irreversiblen Entwicklungen beugen, aber dann diktieren längst andere Marktteilnehmer die Spielregeln im Radiogeschäft. Die Regulation des terrestrischen Hörfunks und die absolutistischen Durchgriffsrechte von Agenturen und Beraterfirmen werden binnen kürzester Zeit zum Fluch der Branche geraten. Um mit Gorbi zu sprechen: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Überall da, wo Radio noch fesseln kann, haben sich die einschlägigen Unternehmen als Meister der Diversifizierung (Spezialisierung) und musikalischen Innovation erwiesen. Einen richtigen Schritt markieren die deutschen Nachrichtensender, obwohl die meisten noch immer zu wenig Substanz und zu starre Sendekonzepte aufweisen (15-minutes-fast-food).