Ich habe diesen Artikel von Rene Zipperlen aus der Zeitschrift "Der Sonntag" vor einigen Jahren schon mal hier im Forum gepostet. Er gibt Antworten auf diese beiden Fragen:
Was ist denn schon dabei, wenn zwei Titel mit gleicher Punktzahl alphabetisch sortiert werden?
Mich würden vor allem auch die abgegebenen Stimmen pro Song und für die ganze Top 1000 interessieren.
Hier der vollständige Artikel:
"SWR1 schummelt bei der Hörerhitparade
Schmu bei der SWR1-Hörerhitparade: die abgegebenen Stimmen reichen bei Weitem nicht aus, um wirklich 2000 oder gar 3000 Platzierungen sauber auszuzählen. Dies suggerierte bislang der SWR.
Zwar will der Sender die Stimmenzahlen aus Sorge um Manipulationen auch weiterhin nicht öffentlich machen, doch gewährten die Hitparadenmacher dem Sonntag nun Einblick. Das Ergebnis: Ja, es geht mit rechten Dingen zu, aber grade so. Platz 1 hat dieses Jahr immerhin rund 160-mal so viele Stimmen bekommen wie Platz 1000. Der hat allerdings gerade etwas mehr als doppelt so viele Punkte wie der Titel auf Platz 2000.
Oder besser: die Titel. Denn wie der Sender vergangene Woche mühsam zugab, tummeln sich in der zweiten Tabellenhälfte reihenweise Titel mit gleicher Stimmenzahl. Von bis zu acht gleichplatzierten Titeln war die Rede. Nun aber ist klar, dass viele Plätze zehnfach belegt sind, auch gut dreißig Titel haben die gleiche Punktzahl erhalten. Anders könnte man aufgrund der abgegebenen Stimmen gar keine 2000 Plätze errechnen. Dass die Abstände mickrig sein müssen, legt schon die Mathematik nahe – für die befürchteten Manipulationen bräuchte es sonst fast kriminelle Energie. Die endgültige Platzierung legt, das ist jetzt klar, kein Hörer fest, sondern ein Helferlein: der Zufallsgenerator.
Zufallsgenerator hilft mit
Eine echte Hitparade ist diese untere Hälfte daher kaum mehr zu nennen. Eigentlich, sagt Hitparaden-Urgestein Rathfelder, gebe es die Platzierungen 1000 bis 2000 nur für die "Jukebox", bei der Hörer sich eine hintere Platzierung wünschen können. "Das ist nur ein Spiel." Allerdings hat der Sender über 20 Jahre so getan, als seien dies genau ausgezählte Platzierungen.
Dass der Sender das seinen Hörern nie erklärt hat, verwundert – die mussten davon ausgehen, eine quasi repräsentative Hitliste des Südwest-Geschmacks vorgelegt zu bekommen. Und echte Fans vergleichen tapfer und akribisch auch hintere Platzierungen Jahr für Jahr und freuen sich über einen Aufstieg ihres Lieblingstitels.
Eines aber kann man dem SWR getrost abnehmen: dass er Betrug an seiner Hitparade befürchtet, wenn klar wird, ab welcher Stimmenzahl man die 1000er-Klippe schon überspringen kann. Ab dieser wird jeder Titel gespielt. Betrug, das heißt hier: organisierte Abstimmungen, oft auch unter falschen Namen. Seit Facebook lässt sich so etwas leicht organisieren. So hatte bei der SWR4-Hitparade einmal eine Schlagersängerin ihre Fans zur Massenabstimmung aufgerufen, erzählt Rathfelder. Als ihr Titel auffallend hoch stieg, wurde das Team hellhörig und sortierte die Spam-Stimmen aus. Die Sängerin ging daraufhin durch mehrere Instanzen, um ihr Recht auf den höheren Platz einzuklagen. Da hört der Spaß dann wirklich auf.
Deswegen beschäftigt der SWR nun fünf Leute, die die Hitlisten auf Auffälligkeiten durchsehen. Kurz vor Toresschluss seien gerade noch einmal zwei Titel deutlich nach unten korrigiert worden. Das geht, weil der Sender die organisierte Massenabgabe in seinen Teilnahmebedingungen inzwischen verbietet.
Andererseits startet heute Abend die "Sub 2000" – hier können Hörer eine Platzierung zwischen 2000 und 3000 wählen, die dann gespielt wird. Das ist dann allerdings nicht mehr ernst zu nehmen. Wenn aus ein paar Dutzend Reststimmen 1000 Plätze errechnet werden sollen, hat der Zufallsgenerator viel Arbeit.
Das große Stimmengeheimnis
Garantiert nur einmal "Hotel California" in sieben Tagen, das ist für SWR1 rekordverdächtig. Legendär ist seine große Hörer-Hitparade aber aus einem anderen Grund: Noch eine Woche lang kann jeder über seine Lieblingssongs abstimmen. Die meistgewählten 2000 werden ermittelt, dann laufen eine Woche lang nonstop mit vielen Schaltungen ins SWR-Land mehr als 1000 Songs, von denen man viele sonst nie im durchformatierten Radio hören kann. Das ist zu Recht Kult und wird beworben, dass einem schwindeln kann.
Es gibt aber eine kleine Frage, und mit der hat Carl Friedrich Gauß zu tun. Der Mathematiker vom Zehn-Mark-Schein war schon mit sieben ein Genie: Während seine Schulkameraden noch schwitzten, hatte Carl Friedrich im Nullkommanix ausgetüftelt, was eins plus zwei plus drei und so weiter bis zur Zahl 100 ergibt: 5050.
Seine Formel – 100 mal 101 geteilt durch zwei – ist so einfach, dass man im Mathebuch eine schön lebensnahe Aufgabe stellen könnte: Wie viele Stimmen braucht man mindestens, um 2000 Platzierungen genau bestimmen zu können? Das geht ganz leicht: Platz 2000 braucht mindestens eine Stimme, Platz 1999 mindestens zwei, und so addiert man weiter bis 2000. Mit Gauß geht das ganz fix: Man braucht zwei Millionen und eintausend Stimmen.Dem SWR reichen 45000 Teilnehmer. Wie machen die das?
2014 konnte jeder Teilnehmer fünf Stimmen vergeben, das gibt schon 204000. Dann wurden die Stimmen von Platz eins bis fünf unterschiedlich gewichtet, dadurch werden insgesamt 675000 Punkte vergeben. Das ist aber auch nur ein Drittel dessen, was für 2000 eindeutige Plätze eigentlich nötig wäre.
Kuddelmuddel bei der Stimmenverteilung
Die Hitparade geht also nur richtig auf, wenn viele Titel gleich viele Stimmen bekommen. Nur tauchen weder in den veröffentlichten Hitlisten Mehrfachplatzierungen auf, noch erklären die Moderatoren, dass etwa die nächsten fünf Titel gleich viele Stimmen bekommen haben. Man müsste also mal die Anzahl der Stimmen sehen können, die jeder Song erhalten hat. Jedoch: "Die Anzahl der Stimmen können wir leider nicht veröffentlichen", so der SWR.
Diesen Donnerstagabend, die SWR-Hitparadenmaschine läuft seit Wochen heiß, meldet sich Moderatorenlegende Günter Schneidewind live im Radio und lacht: "Es muss ja bei der Stimmenabgabe für die Hitparade auch alles mit rechten Dingen zugehen, wir sind ja schließlich nicht der ADAC." Der hatte bei der Wahl zum "Goldenen Lenkrad" legendär böse manipuliert.
Nach penetranten Nachfragen wird die Stimmung gereizt: "Unsere Mitarbeiter haben keine Zeit, Gauß"sche Zahlentheorien oder Infinitesimalrechnungen zu bemühen oder sich mit der Funktionstheorie komplexer Zahlen zu beschäftigen, um bestimmte Platzierungen von Songs zu bestimmen", schreibt ein Sprecher. Müssen sie aber gar nicht, zählen reicht.
Doch die Stimmen bleiben unter Verschluss. Um Manipulationen von Fangruppen zu vermeiden, wie der Sender sagt. Wenn die wüssten, wie viele Stimmen für eine bestimmte Platzierung reichen, würden die sich organisieren. Das tun sie freilich ohnehin – und eine Zeitung ist sowieso keine Fangruppe. Aber: nichts zu machen.
Auch ältere Zahlen gibt es nicht, nicht zu einzelnen Plätzen, nicht die Zahl der Mehrfachplatzierungen. Dass es Stimmengleichheit gibt, bestätigt schließlich Jürgen Rathfelder, Urgestein der Musikredaktion und schon bei der Ur-Hitparade 1989 dabei. "Wir könnten schon kommunizieren, dass es Mehrfachplatzierungen gibt, aber dann macht es weniger Spaß."
Um dennoch eine schöne Hitliste von 1 bis 2000 aufstellen zu können, reicht den SWR-Redakteuren ein findiges System, das ähnlich funktioniert wie eine Bundesligatabelle, wo bei Punktegleichstand die Tordifferenz entscheidet: Gleichplatzierte Bands werden einfach alphabetisch sortiert. Damit aber nicht immer Abba oben stehen, gilt für den Schlüssel zum Beispiel der dritte Buchstabe eines Titels, erklärt Rathfelder.
Schließlich lässt sich der SWR etwas hinreißen: Mehrfachplatzierungen tauchen demnach ab Platz 400 auf. "Maximal landeten auf den Plätzen 400 bis 1000 im vergangenen Jahr vier bis fünf Songs auf dem gleichen Platz", erklärt die Pressestelle. "Auf den hinteren Platzierungen, also deutlich über der 1000er-Grenze, war ein Platz mit maximal acht Songs belegt." Ob nun 675000 Stimmen reichen, weiß aber immer noch keiner.
Fans von "Crimson and Clover" (2014: Platz 1438) wollen mit solchem Firlefanz nicht belästigt werden, betont der SWR mehrfach. Denn wie sagt Jürgen Rathfelder? "Ob ein Song jetzt auf Platz 1000 oder 1300 steht, ist doch nicht so wichtig."