es ist so schlimm, das radio-mv keine deutschen schlager mehr spielt. warum eigentlich? der großteil der höhrer möchten diesen ewigen englischbrei gar nicht höhren.
Es ist mitunter wirklich schwer die Entscheidungen der öffentlich-rechtlichen Radioverantwortlichen nachzuvollziehen, vor allem wenn sie wie im Fall von NDR1 SH/MP gar keinen wirtschaftlichen Zwängen unterliegen. Über Inhalte und Programmgestaltung der meisten werbefinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender bestimmt ja längst eine Werbewirtschaft, die sich auf altersmäßig überschaubare aber sonst nicht weiter spezifizierte Zielgruppen fixiert hat, die sie im allgemeinen für besonders einträglich hält. Obwohl das unter limitierten Bedingungen ächzende Radiogeschäft heute nicht mehr viel abwirft und einer recht düsteren Zukunft entgegensieht, ist man nicht bereit, das eigene Handeln einer gründlichen Revision zu unterziehen.
Man muss nicht besonders helle sein um zu begreifen, dass ein halbes dutzend musikalisch weitgehend gleich aufgestellter Musikwellen, die nicht einmal ansatzweise um verschiedene Geschmäcker buhlen, die Leute am Radio verzweifeln lassen und langsam aber sicher zur kreativen Selbsthilfe veranlassen. Wer nicht zum siebzigsten Mal mit den aktuellen Spitzenreitern der nationalen Airplay-Charts genervt werden will oder bis zum Abwinken mit den vermeintlichen Favoriten ihrer/seiner/seines Nachbarn Jugend behelligt werden möchte, ist geradezu gezwungen, sich mit Gerätschaften auszustatten, die ihm eine größere musikalische Stilbreite eröffnen, aus der er gezielt auswählen kann. Diese Entwicklung ist völlig unabhängig vom Lebensalter, wie man noch früh genug feststellen wird.
Die große Selbsttäuschung der Radiobranche ruht auf zwei Säulen - den
Renditeforderungen der meist im Printbereich engagierten Gesellschafter und dem Disziplinierungs- und Propagandawerkzeug "
Media-Analyse". Die Zeitungsverlage wollen mit ihren Radioangeboten junge Hörer ansprechen, wenn möglich viele der Unter-25-Jährigen. Dabei scheint man keinerlei Vorstellung von der tatsächlichen Erwartungshaltung der Zielgruppe zu haben, weil fast alle Radioprogramme Interpreten und Musikgattungen wie wild durcheinanderwürfeln und kaum noch einen definierbaren Hörerkreis im Blick haben. Das aber hat den zwangsläufigen Überdruss der Hörerschaft zur Folge, die sich ein ums andere Mal vom Radio abwendet, bis das Medium im Leben des Durchschnittsbürgers kaum noch einen erwähnenswerten Stellenwert einnimmt; das ist schade, aber folgerichtig.
Mit nach Dekaden (nicht etwa nach Musikrichtungen) gestaffelten Wellenablegern wollen die Verleger das völlig an der Realität vorbeigehende Alterssegment der 14-49-Jährigen abdecken. Bis hin zu den am Ende des Spektrums rangierenden "Oldiesendern" orientiert man sich ausschließlich an der Chartchronologie (60er, 70er, 80er, 90er-Hits), nicht aber an stilistischen Abstufungen. Dabei hätten gerade Genresender ein immenses Hörerbindungspotential und eine wirtschaftlich exzellent verwertbare Anhängerschaft; wegen der klar vorgegeben musikalischen Bandbreite halten sich die Störmomente nachvollziehbarerweise in engen Grenzen.
Zwar kann kein noch so treffsiches Musikangebot die Verlockungen des Internets bannen, aber immerhin fühlt sich der Hörer vom Radio noch einigermaßen gut bedient, er nutzt es zumindest nebenbei noch mit beachtlichem Interesse und zieht nicht bereits nach zehn Minuten Radiokonsum einen Flunsch. Dabei gäbe es so viele vernachlässigte Zielgruppen, die man mit profililierten Musikangeboten an Land ziehen und wieder fürs Radio erwärmen könnte, oft hülfe schon eine klare Abgrenzung vom direkten Konkurrenten. Leider entwertet ein falsches Musikkonzept auch die journalistischen Beiträge, die besonders bei ARD-Wellen eine hohe Güte aufweisen und mit Regionalität und profunder Tiefenrecherche punkten können..
Dass deutsche Musik vom beinah allmächtig gewordenen Beraterzirkel rundweg abgelehnt wird, hat mehrere, heute mitunter grotesk erscheinende Gründe. Als sich die DJs und Musikredakteure der 90er-Jahre sozialisierten, verbanden sie mit dem Begriff Schlager üblicherweise billig gemachte, gefühlsduselige Schmalzmusik, wie sie zu Beginn der 80er-Jahre in Mode kam. Dass der qualitativ wertvolle Schlager der 70er-Jahre gleichermaßen in Verruf kam erklärt sich vor allem dadurch, dass kaum moderne Schlager mit generationsübergreifendem Flair nachrückten, womit der Schlager für die hippen, jungen Plattendreher zur Todeszone wurde. Aus diesen Erfahrungen rekrutiert sich überwiegend das Gedankengut der heutigen Beraterszene.
Seit Mitte der 80er-Jahre wurden alle Versuche, populäre deutsche Musik jenseits der Seniorenschiene unter Marktbedingungen ins Radio zu hieven, von einer unerbittlichen Betonfraktion samt ihren Epigonen auf brutale Weise abgewürgt. Dabei könnte gerade moderne, schwulstfreie Musik mit allgemein verständlichen Texten, die mit emotionalen oder sozialkritischen Botschaften das Empfinden der Menschen trifft oder ganz einfach gute Laune verbreitet dem Radio ungeahnte Zukunftsperpektiven eröffnen. Erfahrungen aus anderen Ländern machen unmissverständlich klar, dass landessprachliche Formate für die Hörerbindung unerlässlich sind.
Natürlich gab es zu allen Zeiten exzellente deutsche Musikerzeugnisse, in den 90er-Jahren gab es sogar eine Reihe zaghafter wie hoffnungsvoller Versuche den Schlager auch für junge und jüngste Hörergruppen populär zu machen, aber da regierten im Werbegeschäft längst anglophile Klischees und weltanschaulich zementierte Meinungskartelle, die mit dem tatsächlichen Musikgeschmack der Menschen schon lange nichts mehr zu tun hatten. Als Beleg für hastig umgestzte Programmreformen führte man die längst auf automatisierten "Telefoninterviews" beruhende Media-Analyse ins Felde, die ganz nach Bedarf immer die passenden Ergebnisse lieferte und die von der Branche herbeigesehnten Trends vorzugeben schien.
Weil die Musikbegeisterung der 70er-, 80er-Popfans in den 90er-Jahren einen herben Dämpfer erhielt, kaprizierten sich die personell unveränderten, aber in Würde ergrauten Entscheidungsträger im Radiogeschäft wie verbissen aufs Oldiesegment - "Bayern 1" , "Bremen 1" oder "Arabella" legen noch heute ein beredetes Zeugnis von einer rückwärtsgewandten Medienpolitik ab, die sich spätestens mit dem Ende des RTL-Oldiesenders als wenig zukunftsträchtig erwies.
Kommen wir zur zweiten großen Selbsttäuschung, die eigentlich stets eine Fremdtäuschung war - die "Media-Analyse Radio". Auf dem großen Feld der MA-Auswertungsparameter gab es immer schon eine Vielzahl verworrener, unlogischer, für Außenstehende aber auch für Radiobetreiber völlig unverständlicher Bestimmungsfaktoren und Formelsätze, die in einer transparenten, klar überprüfbaren Meinungsumfrage nichts zu suchen haben. Die MA ist ja noch nicht mal eine Hochrechnung, sie soll nur ein möglichst aussagekräftiges Stimmungsbild bezüglich der Radionutzung zeichnen, sollte man meinen. Doch sie ist in Wahrheit zum manipulationsanfälligen, unglaubwürdigen, einschlägigen Interessen unterworfenen Instrument der Sendergängelung und allgemeinen Irreführung geworden, das zunehmend auch von den werbetreibenden Unternehmen in Frage gestellt wird. So verwundert es wenig, dass das Radio als Werbeträger nur noch eine untergeordnete Rolle spielt - adäquat zur geschwundenen Popularität des abgehalfterten Beraterradios.
Wer sich aus Unwissenheit auf die vermeintliche "Quote" beruft, die kaputtgesparte Engrotierer angeblich erzielen sollen, der sei darauf hingewiesen, dass die MA-Zahlen nichts mit den verlässlichen und nachvollziehbaren GfK-Fernsehquoten zu tun haben, die recht belastbare und allgemein überprüfbare Orientierungshilfen für die Werbewirtschaft liefern. Quoten beziehen sich immer auf einen Prozentwert im Sinne eines Marktanteils; Marktanteile werden von der veröffentlichten Media-Analyse aber im Regelfall gar nicht ausgewiesen, und selbst da, wo sie unter der Hand weitergereicht werden, kommt ihnen keine besondere Glaubwürdigkeit zu (siehe unten).
Die harte Währung der "MA Radio", die sog. "maximale Reichweite", kann innerhalb eines vorgegebenen Rahmens willkürlich ausgedehnt oder eingeschränkt werden, gerade so wie es den Erstellern beliebt. Im MA-Jargon kursieren abenteuerliche Begriffe wie "Verweildauer" oder "Hördauer", die streng voneinander unterschieden werden und den ganzen Aberwitz der MA-Befragung und -Auswertung erst so richtig illustrieren. So wird bei der Media-Analyse/Funk-Analyse dem Marktanteil eine Größe namens "Hördauer" zugrundegelegt, die mit der tatsächlichen "Verweildauer" (Zeit, während der ein bestimmtes Radioprogramm eingeschaltet ist) nicht viel zu tun hat. Sie definiert sich folgendermaßen:
Jede Viertelstunde, in der vom Befragten laut Tagesablauferhebung ein Hörfunkprogramm gehört wurde, wird mit je 15 Minuten Dauer verrechnet, sofern der Befragte in der betreffenden Viertelstunde nur ein Hörfunkprogramm gehört hat. Wenn in der Viertelstunde zwei Hörfunkprogramme gehört wurden, so werden jedem der beiden Programme 15/2 = 7,5 Minuten zugewiesen. Entsprechend bei drei gehörten Programmen 15/3 = 5 Minuten usw. Die Summe dieser Minuten geteilt durch die Anzahl der Befragten ingesamt ergibt die durchschnittliche Hördauer für ein Programm bzw. Radiohören gesamt. Bei der Berechnung der Hördauer werden also im Gegensatz zur Berechnung der Verweildauer alle Befragten herangezogen, also auch diejenigen, die das Programm an dem Tag gar nicht gehört haben.
Eine Radiolandschaft, die aus drei, vier kaum unterscheidbaren anglophilen Hitdudlern sowie ein paar engrotierenden Top-40-Festplatten und Oldiewellen besteht, ist mit Sicherheit dem Untergang geweiht. Diese Prophezeiung gilt natürlich nicht für den finanziell immer noch üppig versorgten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich rechtzeitig vom Markt abkoppeln, neu erfinden und gesundschrumpfen kann, wohl aber für all diejenigen, die mit terrestrischem Radio langfristig Geld verdienen müssen.