Kein Mensch hat behauptet, dass Voicetraking "Betrug" sei.
Nicht generell. Der Grad zwischen Voicetracking mit und ohne Betrug an der Hörerschaft ist allerdings ein sehr schmaler. Allenfalls halte ich VT für ein in vielen Fällen unehrliches Vorgehen, unehrlich den Zuhörern gegenüber. Ehrlichkeit hieße für mich in dieser Sache, deutlich darauf hinzuweisen, dass das gerade Gehörte eben nicht just in diesem Moment ins Mikrofon moderiert wird, sondern (Minuten, Stunden, Tage) vorher aufgezeichnet wurde. Bei an sich live gefahrenen Sendungen mit einzelnen Beiträgen aus der Konserve erleben wir das teilweise, etwa bei Interviews ("ich habe mit XYZ telefoniert und nachgefragt, ob ..."). Wenn aber eine komplette Sendung gevoicetrackt ist, informieren nur wenige darüber, dass da nichts live ist.
Denn die meisten Hörer werden - unterstelle ich - nicht von selbst draufkommen. Ob es für die Programmwahl dabei von Relevanz ist, wie viel in einer Sendung live passiert, hat damit erst mal nichts zu tun. Es ist und bleibt die Unterschlagung einer Information, die etwas Wesentliches über die Produktion des konsumierten Programms aussagt.
Richtig gefährlich wird es, wenn nicht nur verschleiert wird, dass gevoicetrackt wurde, sondern bewusst ein Live-Programm vorgegaukelt wird, wo schlichtweg keines ist.
Da wäre der Gute-Laune-Wachmacher, den es vorhin auf dem Weg ins Studio richtig gefröstelt hat, weil es ja saukalt ist draußen, während er - Extrembeispiel - sich im realen Leben noch mal unter die Bettdecke kuschelt. Vielleicht sitzt er auch schon im Studio, aber in einem ganz anderen, da er mehrere Frühsendungen gleichzeitig moderiert, wovon maximal eine live ist.
Oder der ebenso gut gelaunte Nachtarbeiter ("ich bleib mit Ihnen wach"), der schon lange nicht mehr wach ist. "Toll", denkt der ahnungslose Hörer vielleicht, "der macht auch Nachtschicht - so wie ich". Jedenfalls ist es diese emotionale Verbindung, die der Sender aufzubauen versucht, damit der Hörer eine Zuneigung zum Programm entwickelt und wieder einschaltet.
Oder der schnellste Verkehrsservice für Stadt und Land, der die ganze Nacht (oder das ganze Wochenende) nur die ein bis zwei Baustellensperrungen wiederholt, die für die VT-Show planbar waren. Immer exakt derselbe Wortlaut, dieselbe Sprachmelodie - und in der nächsten Nacht wieder diese Prozedur. Tatsächlich vielleicht größtes Verkehrschaos, in der Stauzentrale sieht Auto-Axel oder Traffic-Tina davon aber nichts auf dem Verkehrsmonitor. Würde man wenigstens auf die Ansage verzichten: "sofort informiert, wenn auf den Straßen was passiert". Es gibt aber Kandidaten, die tun das nicht, pervertieren es noch durch die bereits erwähnte Nennung von Hotlines zum Blitzermelden.
Für die Nachrichten gibt es gottlob Agenturen, die eine 24/7 besetzte Redaktion unterhalten, womit in der Regel ein gewisser Aktualitätswert sichergestellt wird, wenn man nicht gerade auf die preiswertesten Angebote zurückgreift. Aber auch diese Zulieferer-Produkte werden häufig gevoicetrackt, damit sie jeder Kunde in seine individuelle Stundenuhr einbauen kann, und das Ergebnis kommt freilich "live aus den Radio XYZ-Nachrichtenstudios".
Ich möchte solche Praktiken schon als Lug und Trug abstempeln. Letztendlich müssten sie starke Kratzer in der Glaubwürdigkeit hinterlassen. Das geschieht aber kaum, da das Gros der Hörer nichts davon mitbekommt, sofern die Automation mitspielt. Und darin liegt das große Glück der Radiostationen, die wir in diesem Faden anprangern.