AW: Quo vadis, Internetradio?
Konsens, Mindeststandards, nicht monetärer Gewinn.... das liest sich alles wunderschön, aber durch die im Laufe der Zeit hier gemachten Erfahrungen - und dazu zählt auch ein intensiver Gedankenaustausch mit Dir - beschleichen mich doch Zweifel ob der Realisierbarkeit dieses Vorhabens.
Ich habe erst unlängst ein Seminar mitmachen dürfen, in dem es genau um solche Dinge ging - da ging es um die zukünftigen Ziele unserer Firma. In diesem Workshop wurde der Weg dorthin aufskizziert.
Der erste Punkt, das ist das, was wir hier gerade diskutieren - die Vision. Das ultimative Ziel, der "perfekte Zustand".
Der zweite Punkt ist die Bestandsaufnahme - wo stehen wir im Moment, und was muß getan werden, um möglichst nahe an die Vision heranzukommen.
Der dritte Punkt ist die Reflektion jedes einzelnen - was kann ICH tun, damit dieses gemeinsame Ziel erreicht werden kann. Und da braucht es keine hochtrabenden und ehrgeizigen Ziele, da reichen kleine Schritte und Verbesserungen im Alltag - in der Summe all dieser kleinen Schritte macht die gesamte Gemeinschaft einen riesigen Schritt auf das - dann gemeinsame - Ziel zu.
Du wirst mit Sicherheit nicht alle Misstände auf einen Schlag ausmerzen können und das ganze wird ein Prozess sein, der sich sehr sicher über etliche Jahre hinwegziehen kann. Kurzfristig läßt sich da nichts erreichen.
Das ist auch mithin einer der Gründe für die "scheinbare" Ruhe z.B. beim DIRV - man kann es eher als eine Art "abwartende Haltung" bezeichnen, da momentan einfach die Zeit und die Szene nicht reif genug ist für eine wirkliche Weiterentwicklung. Ideen lassen sich auf der momentanen Basis einfach nicht umsetzen, also - und das ist mein erklärtes Ziel bei diesen Diskussionen - muß erst einmal das Bewußtsein geweckt werden, daß wir entweder alle zusammen weiterkommen können oder jeder einzelne für sich untergehen wird.
Wer diesen Gedanken für abwegig hält, der möge bitte sich derzeit die Podcaster-Szene anschauen. Während vor 2 Jahren und letztes Jahr ein riesiger Hype um den Podcast entstanden ist, Verbände gegründet wurden und alle Welt nur noch vom Podcast redete, dümpeln die meisten Podcasts jetzt mehr oder minder unbeachtet vor sich hin. Es gibt einige gute Projekte, die auch weiterhin rege Nachfrage haben, es gibt viele "Mitläufer" die gelegentlich genutzt werden, aber es gibt nicht mehr diese intensive Diskussion darum.
Auch hier war es so, daß der Gedanke eines Verbandes/Vereines von der Szene abgelehnt wurde, weil sich die Podcaster dadurch zu sehr eingeschränkt und reglementiert fühlten. Das gleiche, was hier zu beobachten ist, da gab es "persönliche Animositäten" gegen den einen oder anderen Vorstand oder sonstige "Funktionsträger" , da wurden Grabenkämpfe auch zwischen den beiden Verbänden ausgefochten und letztlich hat sich die gesamte Szene daran aufgerieben.
Gegenbeispiele gibt es auch genügend, man muß sich ja nur mal die Berufsverbände und Handerwerkinnungen anschauen - da funktioniert es auch ohne Konkurrenz zu Gunsten der Mitglieder als auch der "Kunden", die sich im Streitfall nämlich an die Innung wenden können.
Ich habe kein Problem damit, das zu vermitteln - auch wenn ich damit lieber Geld verdienen würde. Leider ist aus der Szene niemand bereit dafür zu bezahlen, auch wenn, wie mir schon mehrfach bestätigt wurde, das das durchaus gerechtfertigt wäre.
Auch hier ist einfach mal ein Grund, daß es momentan einfach noch viel zu früh für derartige Planungen wäre. Das Problem, das ihr alle habt - ihr wollt unbedingt sofort was ändern, um morgen schon zu profitieren. So funktioniert das aber nicht, das ist zu kurzfristig gedacht. Man muß langfristig investieren, damit man eine profitable Rendite macht. Ein Strohfeuer brennt heiß, aber zu kurz, ein auf Länge angelegtes Kohlenfeuer hält beständig für einen langen Zeitraum warm.
Der Bedarf an Beratung ist da - aber meines Erachtens viel zu wenig.
Da gibt es Sender, die ein sensationelles Potenzial haben, es aber nicht ausnutzen (wollen); Moderatoren, die zwar keinen eigenen Sender eröffnen wollen (nein, ich bin das nicht
), aber aus Frust über die Sendeleitung ihr eigenes Konzept fahren und sich einen feuchten Kehricht um die Vorgaben kümmern - und die Sendeleitung das duldet, weil sie sonst gute Leute verliert. Andere Betreiber wiederum würden ja gern gutes Radio machen, können es auch, bekommen aber kein Team zusammen oder sind zu loyal, den bisherigen Stamm schlechter Moderatoren auf den Mond zu schießen. Fanclubs verteidigen ihren Sender / Moderator bis auf's Blut und Kritikern in
radioforen.de wird die Unterdrückung der Konkurrenz nachgesagt.
So wird das nix.
Weil momentan noch kein Bewusstsein für die notwendigen Änderungen vorherrscht. Aber du willst gerne vorgehen wie die katholische Kirche in der neuen Welt anno 14xx - auf einen Schlag alle Heiden bekehren. Hat nicht funktioniert, weil dann automatisch wieder das "Zwangsprinzip", das ich im vorigen Beitrag sehr zu Pegasus Leidwesen eingebracht habe. Das Geheimnis hinter einer erfolgreichen Missionierung liegt darin, die Leute dazu zu bringen, zu glauben, daß es ihre eigene Idee ist, besser werden zu wollen. Es muß von innen heraus kommen, nur dann wird es auch wirklich umgesetzt.
Änderungen sind zunächst mal ein schwieriger Aspekt und die Angst davor ist dementsprechend groß - weil man weiß, daß eine Menge Arbeit, evtl. auch Ablehnung einzelner auf einen zukommt. Der Mensch tendiert immer zum bequemsten und einfachsten Weg - und genau das ist meistens der Holzweg auf dem wir uns befinden.
Jemanden den steinigen und harten Weg schmackhaft zu machen hört sich zunächst unmöglich an - wer aber selber einmal auf dem Gipfel eines Berges stand, nachdem er einen solchen Weg bezwungen hat, und dann stolz hinabblicken kann ins Tal, und sich sagen kann "ich habs geschafft" - der weiß, daß man einen Teil dieser Begeisterung und dieses Stolzes durchaus weitertragen kann.
Und dieser kleine Teil genügt, um - allerdings eben über einen längeren Zeitraum - nachhaltige Änderungen zu erzeugen.
Wenn die Leute hier sehen - hey, das klingt ja richtig professionell, wie im "richtigen Radio" (was ja doch insgeheim viele als "Vorbild" ansehen), dann glaube ich schon, daß das den notwendigen Anstoß geben wird.
Wie gesagt, bei anderen Hobbys klappts doch auch problemlos - der Musiker übt auch zu Hause, daß er nicht so viele falsche Töne produziert, der Fussballer bemüht sich, das Team voranzubringen, weil sie am Saisonende gerne in der Tabelle oben stehen würden und der Schütze wird sich auch freuen, wenn er öfter als einmal ins Schwarze getroffen hat.
Genauso wird sich auch ein jeder Webradiomacher freuen, wenn er in seinem Gästebuch liest, daß seine Sendung gut war und professionell geklungen hat.
Sicherlich ist die Durststrecke am Anfang nicht unbedingt motivierend, sicherlich gibt es auch derbe Rückschläge, die einen ebenfalls nicht unbedingt zum Weitermachen animieren werden. Wenn aber das Ziel entsprechend lohnenswert ist, wird man auch dort ankommen - früher oder später.
Randnotiz: In diesem Konsens-meeting kommen dann überraschend der gefrustete Moderator und sein lascher Sendeleiter zusammen; der möchte-gern-mehr-erreichen Mitbetreiber sitzt ganz verdutzt mit seinem laschesten Moderator an einem Tisch. Special Guests (Referenten?) sind a) ein Betreiber eines Smilie-Radios zum Thema "Radio soll Spaß machen" und b) für technische Fragen der Vertreter der These "ein Mikrofon muss gut aussehen und es mir so antun wie meine Frau".
Sorry, ist überzeichnet und 'n Insider, soll aber die Problematik verdeutlichen.
Ich stelle mir diese Situation gerade bildlich vor. Und was meinst Du, würde dann passieren?
Ich finde alleine schon den Gedanken, alle diese Personen in REAL an einem Tisch versammelt zu sehen, lohnenswert genug. Wenn nur dieses schon einmal geschafft wäre, dann wäre das ein enormer Sprung.
Wie viele Webradios gibt es, wo sich die einzelnen "Mitarbeiter" lediglich aus Chat und Forum kennen, aber noch nie persönlich begegnet sind?
Wie viele der hier so schön zelebrierten "persönlichen Animositäten" liessen sich schon im Vorfeld umgehen, wenn sich die entsprechenden Streithanseln beim Bier oder antialkoholischen Getränk gegenüber säßen?
Ich erinnere mich immer noch gerne an die Gründungsversammlung des DIRV zurück, als wir nach erfolgter Abgabe der Protokolle beim Notar noch in einer kleinen, feinen Kneipe am Berliner Stadtrand einkehrten und beim Mittagessen und danach wirklich produktive und ergebnisreiche Diskussionen und Kontakte entstanden.
Vielen Dank für die Blumen, aber wie kam es? Tagesform?
Nein, hier passierte etwas, was auch seitens der Vorsteller zu selten geschieht: Konkrete, höfliche / respektvolle und sachliche Nachfrage, gute Argumentation. Dass die Tipps von der Fragestellerin aufgrund der Art der Antwort angenommen wurden, ist meiner Ansicht nach die falsche Betrachtungsweise. Der Grund für die Antwort lag vielmehr in ihrer guten Fragestellung. Das war der Grundstein; dass sie dann darauf einging, die logische Konsequenz.
Sicherlich war das ein Paradebeispiel, das nicht dem alltäglichen Bild hier entspricht, aber ich wage einmal zu behaupten: würde sich dieser Stil hier auch in den Vorstellungen, die es an den genannten Punkten (konkrete, höfliche / respektvolle und sachliche Nachfrage, gute Argumentation) mangeln lassen, durchsetzen, wäre auch die Resonanz eine ganz andere.
Es ist doch sonnenklar, so wie es im Moment laufend passiert:
- Sender stellt sich hier vor, hat deutliche bis extreme Mängel beim Betrachten des Projektes
- Erstes Antwortposting : Am besten machste gleich zu
- Zweites Antwortposting : Alles Sch....
- Drittes Antwortposting: das tu ich mir gar nicht erst an...
damit provoziert man geradezu eine Trotzreaktion bei der Gegenseite, zum einen schon aus ganz simplen psychologischen Gründen, zum anderen - viele der Leute wissen ja, wie Du schon schriebst, noch gar nicht, daß und wie es besser gehen könnte - für die ist das, was sie da abgeliefert haben, schon top.
Würde man so jemandem einfach mal mit einfachen Mitteln zeigen, wie schnell und unkompliziert sich gewisse Dinge ändern lassen würden, wie z.B. Seitengestaltung etc. , dann wäre das Echo auf diese Äußerungen sicherlich positiver. Sicherlich kann man nun argumentieren "wenn ich schon so eine Vorstellung lese, dann kann ich gar nicht anders argumentieren" , oder "wie man in den Wald hineinruft" - NEIN dem ist nicht so, jeder einzelne hat es selber und sich selber in der Hand, und wer gereizt, genervt oder gar unflätig reagiert, nur weil sein Gegenüber es auch tut, der zeigt, daß er eigentlich auch keine bessere Erziehung genossen hat. Wer aber trotzdem ruhig, sachlich und konstruktiv bleiben kann, auch wenn der andere trotzig oder bockig reagiert, der hat meinen Respekt, weil er sich dann wirklich besser ins Benimm zu setzen weiß. Wer Respekt hat, hat auch Autorität, hier würde man eher vielleicht Kompetenz sagen. Und wer diese ausstrahlt, der wird auch etwas erreichen mit seinen Ausführungen.
Zusammenfassung: Im Grunde plädierst Du doch
hierfür, oder?
Das sind einige Punkte, die man ebenfalls in die Überlegungen und Diskussionen mit einbeziehen sollte, ja.
Wenn es Raum für Variationen gibt, dann sollte man diese auch zulassen. Ganz im Zuge der geforderten und notwendigen Toleranz. Damit würde man auch eine Brücke für diejenigen bauen, die sich die notwendigen Änderungen nicht im vollen Umfang zutrauen, denn das dürfte das Hauptproblem sein.
Wie gesagt, das Ziel ist noch fern und die Vision noch unscharf, aber viele kleine Schritte können auch einen weiten Weg bewältigen. Man muß nur mit dem ersten anfangen und darf nicht nach dem zweiten wieder aufhören, nur weil ein Felsbrocken im Weg liegt. Ich hab gesagt, daß es eine Menge Arbeit ist, die da auf viele zukommen wird. Ich bin aber überzeugt, daß sich diese Arbeit lohnen und auszahlen wird - vielleicht nicht mehr für uns, aber mit Sicherheit dann für die nächste Generation an Webradios.
Gruß,
Croydon