Die Sprachlotterei treibt neue Blüten

Überhaupt scheinen Wetterberichte DIE sprachlichen Stiefkinder zu sein. Auch Sätze wie: "Am Tage gibt es höchstens 32-36 Grad" zählen dazu, weil "höchstens" zwar rein sachlich korrekt ist, aber sprachlich die Intention enthält, dass es insgesamt eher wenig sei...
In diesem Zusammenhang auch immer wieder gern genommen:

„Warme/kalte Temperaturen“

und

„Mit 32°C ist es heute doppelt so warm wie letzte Woche.“

:rolleyes:
 
Was hast Du denn gegen warme und kalte Temperaturen? Ich würde mal sagen: Alles unter zehn Grad sind kalte Temperaturen, und alles über 25 Grad sind warme Temperaturen. Das dazwischen sind normale Temperaturen.

Und wenn vergangene Woche 16 Grad waren, dann ist doch 32 Grad doppelt so warm, oder?

Matthias
 
Was hast Du denn gegen warme und kalte Temperaturen? Ich würde mal sagen: Alles unter zehn Grad sind kalte Temperaturen, und alles über 25 Grad sind warme Temperaturen. Das dazwischen sind normale Temperaturen.
Du meinst "warme Temperaturen" wie "teure Kosten" oder "leckerer Geschmack"? Dann doch schon lieber "hohe Temperaturen" oder "warmes Wetter"

Und wenn vergangene Woche 16 Grad waren, dann ist doch 32 Grad doppelt so warm, oder?
So geht das nicht. Allenfalls ist der Wert (auf der Skala) doppelt so hoch. Welche Temperatur ist schon doppelt so hoch wie die andere? Außerdem: Was sagen dann die Menschen, die mit Fahrenheit messen?
 
Gegen "Drei Grad mehr als gestern" wird auch keiner was sagen.
Mit der Aussage "Mit 3 dB ist es doppelt so laut als bei der letzten Sendung" würdest Du Dir vermutlich einigen Zorn zuziehen, wenn ich dieses Forum richtig einschätze.
 
Temperaturen können so wenig kalt und warm sein, wie Preise teuer oder billig sind. Es sind Maßzahlen einer Größe (Größe = Maßzahl mal Einheit), und Zahlen sind weder warm noch kalt, ihr Wert ist bestenfalls hoch oder niedrig, je nach Betrachtungsweise. Artikel im Supermarkt können teuer oder billig sein, ihre Preise jedoch nur hoch oder niedrig.

Die in unserem Alltag gebräuchliche Celsius-Skala ist nur ein kleines Intervall, das aus der Kelvinskala abgegriffen und dessen Nullpunkt verschoben wurde; es handelt sich dabei nicht um Wärmewerte, die ins direkte Verhältnis gesetzt werden können.
 
Zahlentheorie, heikles Thema...

Man könnte behaupten, dass jeder Wert und jede Variable, der/die durch sich selbst dividiert wird, 1 ergibt (5 durch 5, a durch a, x durch x, kg durch kg...).

Somit könnte man annehmen, dass 0 durch 0 auch 1 ergibt (Division durch 0, noch heikler...).

Da Du aber nach einem Faktor fragtest, müsste man mit dem Kehrbruch multiplizieren, also 0 mal (1 durch 0), was vereinfacht 0 durch 0 bedeutet und somit 1 ergibt.

Schwachsinn, ich weiß. :D
 
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Ist doch ganz einfach: Doppelt so warm ist halb so kalt!
 
WDR2 Nachrichten: "in den Streit um das iranische Atomprogramm kommt möglicherweise Bewegung"
Hmm ... also kommt nun Bewegung in die Sache oder nicht? Was sagt die Schlagzeile aus, wenn die Meldung zu einem anderen Schluss kommt? Hier wurde entweder unüberlegt formuliert oder es geht um eine doppelte Absicherung, damit niemand denkt "Bewegung = Lösung".
 
Absicherung. :thumbsdown:
Mir dünkt, in den ö-r - Redaktionsstuben führt die Angst vor der eventuell anders verlaufenden Realität die Feder, begleitet von dem hätte - wäre - könnte und einem satten eventuell. Bloß nichts falsch machen, bloß nirgendwo anecken, bloß nicht Gefahr laufen, eine Entwicklung mal anders eingeschätzt zu haben.

Hört genau hin - diese sprachlich unschöne Unterwanderung ist die vorbeugende Entschuldigunierung in den Meldungen.
Wie auch immer es ausgeht, wir haben es angedeutet, aber nicht präzise gesagt. Hätte ja sein können.... :wall:
 
Lieber Hefeteich - ich bin so häufig Deiner Meinung, dass ich Dir auch mal vehement widersprechen darf :) :

Es ist - vor allem in den Nachrichten - nicht die Aufgabe eines ÖR-Journalisten, unbestätigte oder nicht überprüfbare Aussagen unrelativiert über den Sender zu pusten. Wenn etwas "Unsicheres" gemeldet wird, ist es ein - leider oft nicht beherzigtes - Grundgesetz, 1.: Quellenangaben hinzuzufügen und 2.: einordnende Begriffe zu verwenden (möglicherweise, angeblich, offenbar, nach Angaben von, unbestätigten Berichten zufolge etc.), die signalisieren, dass der Fakt möglicherweise kein Fakt ist. Das ist unser verdammter Job! Unser Job ist es nicht, durch Unfähigkeit oder Sensationsgier oder, nur, um schneller sein zu wollen als die "anderen", missverständlich zu formulieren, Fehlinformationen zu verbreiten oder auch nur schiefe Sprachbilder zu produzieren. (siehe Beispiel "Bewegung kommt in den Streit")
 
Ich glaube, ihr habt beide Recht. Onkel Otto beschreibt die handwerklichen Spielregeln - die eigentlich unstrittig sein müssten - während Hefeteich beschreibt, was bisweilen daraus gemacht wird. Oder präziser: Wie man sich hinter handwerklichen Spielregeln verstecken und damit eigene Unsicherheiten/Blößen verdecken kann.
Die oben zitierte Meldung hätte ohne Not auch lauten können: "In den Streit um das iranische Atomprogramm kommt Bewegung". Das kann ich schon daraus ableiten, dass es plötzlich wieder eine Meldung wert ist, muss es also nicht relativieren. Ob dann aus der "Bewegung" etwas wird, das wird sich allerdings erst weisen müssen. Aber um diese Frage aufzuwerfen, hätte man ja die Rubrik "Kommentar" bemühen können.
 
Die oben zitierte Meldung hätte ohne Not auch lauten können: "In den Streit um das iranische Atomprogramm kommt Bewegung". Das kann ich schon daraus ableiten, dass es plötzlich wieder eine Meldung wert ist, muss es also nicht relativieren.
Genau darauf wollte ich hinaus, danke.
@OnkelOtto, so weit sind wir gar nicht voneinander entfernt, zumal Widerspruch eine Herausforderung ist, den eigenen Standpunkt zu überdenken.
:)
Für mich steht der Hörer im Mittelpunkt: Was bringt ihm diese Information? Habe ich etwas zu melden oder besteht die Möglichkeit einer relevanten Entwicklung, die erst dann, wenn sie eintritt, eine Meldung wird?

Eine weitere Differenzierung kommt hinzu, um es auf Alt-Berlinerisch zu formulieren:
"Wat kümmert mir det an?"

Wenn der Bundestag über den Rückzug deutscher Soldaten aus einem Einsatzgebiet debattiert, ist der Zusatz, ob die Soldaten möglicherweise schon zu Weihnachten oder erst zu Ostern wieder zurück bei ihren Familien sein können, aus meiner Sicht nicht relevant. Besser: "Geplant ist, den Abzug innerhalb der kommenden sechs Monate abzuschließen".

Anderer Bezug: Kommen mehrere Geologen und Vulkanforscher zu der Überzeugung, dass der Vogelsberg im Laufe dieses Jahres wieder aktiv werden könnte, mache ich da natürlich eine Meldung daraus. Zwar ohne Gewissheit, aber mit einer, Du schreibst es selbst, nachprüfbaren (und verlässlichen, anerkannten) Quelle.
"Der anerkannte Vulkanforscher Ferdinand Frommhausen hält eine verstärkte vulkanische Aktivität des als erloschen geltenden Vogelsberg im hessischen Mittelgebirge noch in diesem Jahr für sehr wahrscheinlich. Dies erklärte er auf einer spontan einberufenen Pressekonferenz an der Autobahnraststätte Hünfeld-West. Aus Hessen berichtet Herbert Monalla."

Etwas aktuelles: Wettskandal und Fußball; auch Europa und selbst der deutsche Fußball sind in den Fokus der Ermittlungen gerückt. Wo ist die zu überschreitende Grenze, wo ist die Hemmschwelle, über etwas zu berichten? Warte ich auf die Bestätigung von Europol oder melde ich die Aushebung eines betrügerisch arbeitenden Kartells, das eventuell auch Auswirkungen auf den deutschen Fußball hatte?

Da Du das "leider oft nicht beherzigte Grundgesetz" eines ö-r Journalisten ansprichst: Da ist sicher Verbesserungspotenzial vorhanden. Eine von Dir sauber formulierte Meldung wird jedoch spätestens durch den O-Ton konterkariert, wenn es im Beitrag heißt "Die Polizei wollte sich zu weitergehenden Ermittlungen hinsichtlich der Bestechlichkeit deutscher Schiedsrichter nicht äußern".
Dann ist zwar die Aussage so nicht gefallen, aber sie wird suggeriert. Ist das jetzt ein Fehler oder eine Hintertür?

Die Werbung macht es mit uns nicht anders: Was sie aus rechtlichen Gründen nicht sagen darf, lässt sie uns auf anderem Wege glauben.

Jetzt bin ich vom Pfad der Sprachlotterei abgekommen.
Zurück zur WDR-Meldung: Weckt mich, wenn Bewegung in den Streit gekommen ist. Solange durch die "mögliche Bewegung" nicht die Gefahr besteht, dass mal wieder eine Grenze mitten durch Deutschland gezogen wird, "kümmert mir det bis auf weiteres ooch nich an".
 
Lieber Hefeteich, bevor möglicherweise Gefahr im Verzug ist, dass Du mich für einen notorischen Relativisten hältst, will ich Dir ungeschützt und hoffentlich nicht falsch interpretierbar zustimmen.

Auch für mich steht einzig und allein der Hörer/die Hörerin im Mittelpunkt meines beruflichen Tuns. Ich weiß: hehrer Anspruch, durch Alltagsumstände leider oft genug verfehlt.

Da ist dieser unendliche Dschungel von im Sekundentakt aufploppenden Agenturmeldungen – von der Schnittwunde nach einer Disko-Klopperei bis hin zum neuerlichen Ausbruch des Vogelsbergs (waren wir auf demselben Seminar? ;).

Ich sichte, ich sortiere aus, ich gewichte, ich bespreche mich mit den Kollegen, wir filtern, wir ordnen ein, geben, wenn es die Zeit erlaubt, Hintergrundinformationen, schreiben auf Radiospreche um, manchmal recherchieren wir sogar die gesamte Meldung bis zur Originalquelle nach - selten genug. Und dann endlich, knapp vor der Sendung, die auch von Dir gestellte Gretchenfrage: Was bringt dem Hörer genau diese Information? Muss ich das melden?

Das alles tun wir, weil wir mit den eingeschränkten Möglichkeiten unseres kleinen Mustopfs, in dem wir sitzen, denen da draußen die Welt erklären müssen. Und die da draußen haben gar kein Filtersystem, werden völlig „nackt“ mit der Information konfrontiert – und meinen zu wissen - denn: „Das Radio hat’s doch gesagt!“

Uns, im Radio, fehlt das allwissende, göttliche Auge, das über dem Geschehen schwebt und objektiv alle Fakten im Blick hat. Wir können uns nur verlassen auf Korris, auf doppelte Agenturbestätigung, auf unser journalistisches Können, auf eine gewisse Grund-Ethik und vielleicht auf ein durch Erfahrung erlangtes Fingerspitzengefühl. Andere Mittel stehen uns nicht zur Verfügung. Deswegen dieser notwendige Gitterzaun an verbaler und redaktioneller Absicherung.

Wenn nun aber tatsächlich diese notwendige Distanzierung missbraucht wird, um aus einem Nichts eine Meldung aufzublähen, die im seriösen Mantel daherkommt, die Form also nutzt, um Inhalt vorzutäuschen, dann, ja dann, bliebe sie besser ungesendet. D’accord. Der Alltag sieht manchmal anders aus.

Kleine Anmerkung noch zu den Korri-Tönen: Wenn sich Antext und O-Ton widersprechen, ist das ein handwerklicher Fehler erster Güte.
Wenn Redakteur oder Korri durch missverständliche Formulierungen („wollte sich bezüglich… nicht äußern“) Nachrichtenwert hineinmogeln, der nicht drin ist, dann grenzt das m.E. an Manipulation.
Auch hier: d’accord!

By the way: Unsere kleine Diskussion geht zwar über die reine Sprachlotterei hinaus, doch sind die Mittel, die dazu führen, dass Nicht-Information zu Pseudo-Information wird, oft aus dem kruden Instrumentarium der Sprachlotterei - Verschleierung durch unpräzise Ausdrucksweise, Weglassen von einordnenden Formulierungen - bewusst oder unbewusst entliehen.
 
Uns, im Radio, fehlt das allwissende, göttliche Auge, das über dem Geschehen schwebt und objektiv alle Fakten im Blick hat. Wir können uns nur verlassen auf Korris, auf doppelte Agenturbestätigung, auf unser journalistisches Können, auf eine gewisse Grund-Ethik und vielleicht auf ein durch Erfahrung erlangtes Fingerspitzengefühl. Andere Mittel stehen uns nicht zur Verfügung. Deswegen dieser notwendige Gitterzaun an verbaler und redaktioneller Absicherung.

Wenn nun aber tatsächlich diese notwendige Distanzierung missbraucht wird, um aus einem Nichts eine Meldung aufzublähen, die im seriösen Mantel daherkommt, die Form also nutzt, um Inhalt vorzutäuschen, dann, ja dann, bliebe sie besser ungesendet. D’accord. Der Alltag sieht manchmal anders aus.

Der Clou ist ja auch noch, dass man sich durch alle möglichen verbalen Absicherungen zwar handwerklich auf der sicheren Seite wähnt, aber der Hörer diese Absicherungen mitunter gar nicht wahrnimmt.

Ich habe mal eine sehr aufschlussreiche Studie gelesen "Erinnern von Radionachrichten". Was ich vor allem mitgenommen habe: Die allermeisten Hörer merken sich nicht die Quelle. Ob "nach unbestätigten Informationen", "nach Recherchen des SPIEGELs" - das ist zwar journalistisch astrein, aber der Hörer nimmt dies nicht als Relativierung wahr und wird am Inhalt der Nachricht deshalb nicht mehr zweifeln als wenn ich schreibe, dass Regierungssprecher Seibert etwas verkündet.

Für mich ergebt sich daraus eine ganz besondere Verantwortung bei der Entscheidung, was ich nun auf Sendung nehme oder nicht.
 
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