Lieber Hefeteich, bevor möglicherweise Gefahr im Verzug ist, dass Du mich für einen notorischen Relativisten hältst, will ich Dir ungeschützt und hoffentlich nicht falsch interpretierbar zustimmen.
Auch für mich steht einzig und allein der Hörer/die Hörerin im Mittelpunkt meines beruflichen Tuns. Ich weiß: hehrer Anspruch, durch Alltagsumstände leider oft genug verfehlt.
Da ist dieser unendliche Dschungel von im Sekundentakt aufploppenden Agenturmeldungen – von der Schnittwunde nach einer Disko-Klopperei bis hin zum neuerlichen Ausbruch des Vogelsbergs
(waren wir auf demselben Seminar? .
Ich sichte, ich sortiere aus, ich gewichte, ich bespreche mich mit den Kollegen, wir filtern, wir ordnen ein, geben, wenn es die Zeit erlaubt, Hintergrundinformationen, schreiben auf Radiospreche um, manchmal recherchieren wir sogar die gesamte Meldung bis zur Originalquelle nach - selten genug. Und dann endlich, knapp vor der Sendung, die auch von Dir gestellte Gretchenfrage: Was bringt dem Hörer genau diese Information? Muss ich das melden?
Das alles tun wir, weil wir mit den eingeschränkten Möglichkeiten unseres kleinen Mustopfs, in dem wir sitzen, denen da draußen die Welt erklären müssen. Und die da draußen haben
gar kein Filtersystem, werden völlig „nackt“ mit der Information konfrontiert – und
meinen zu wissen - denn: „Das Radio hat’s doch gesagt!“
Uns,
im Radio, fehlt das allwissende, göttliche Auge, das über dem Geschehen schwebt und objektiv alle Fakten im Blick hat. Wir können uns nur verlassen auf Korris, auf doppelte Agenturbestätigung, auf unser journalistisches Können, auf eine gewisse Grund-Ethik und vielleicht auf ein durch Erfahrung erlangtes Fingerspitzengefühl. Andere Mittel stehen uns nicht zur Verfügung. Deswegen dieser notwendige Gitterzaun an verbaler und redaktioneller Absicherung.
Wenn nun aber tatsächlich diese notwendige Distanzierung missbraucht wird, um aus einem Nichts eine Meldung aufzublähen, die im seriösen Mantel daherkommt, die
Form also nutzt, um Inhalt
vorzutäuschen, dann, ja dann, bliebe sie besser ungesendet. D’accord. Der Alltag sieht manchmal anders aus.
Kleine Anmerkung noch zu den Korri-Tönen: Wenn sich Antext und O-Ton widersprechen, ist das ein handwerklicher Fehler erster Güte.
Wenn Redakteur oder Korri durch missverständliche Formulierungen („wollte sich bezüglich… nicht äußern“) Nachrichtenwert hineinmogeln, der nicht drin ist, dann grenzt das m.E. an Manipulation.
Auch hier: d’accord!
By the way: Unsere kleine Diskussion geht zwar über die reine Sprachlotterei hinaus, doch sind die Mittel, die dazu führen, dass Nicht-Information zu Pseudo-Information wird, oft aus dem kruden Instrumentarium der Sprachlotterei - Verschleierung durch unpräzise Ausdrucksweise, Weglassen von einordnenden Formulierungen - bewusst oder unbewusst entliehen.