Ein Monat Life Radio
Was bekommt man in einem Monat Life Radio musikalisch geboten? Ich habe mir die komplette Tages-Playlist im Februar angesehen, hier eine kompakte Zusammenfassung – natürlich mit einer gewissen Unschärfe, die durch eigene Fehler und einen etwas holprigen Songfinder zustandekommen kann.
Beobachtet wurde der Zeitraum von 5-17h, 7 Tage die Woche (ausgenommen Made in Austria, jeweils sonntags von 12-14h).
Gespielte Titel: 3823 – davon verschiedene Titel: 716
Meine Einschätzung eines aktuellen Titels weicht möglicherweise von der des Senders ab, insofern komme ich auf viel mehr alte Titel als der offizielle 50/50-Mix.
Interpreten: 741; durchschnittliche Titelanzahl pro Tag: 136
Daraus ergäbe sich eine Titelsumme von knapp 50.000 pro Jahr
Der grundsätzliche Vorteil von Life Radio gegenüber Ö3 (zB) besteht darin, dass keine fixe Titelrotation gehandhabt wird (also nicht wie Ö3 die Hot Rotation alle +/- 5 Stunden). „Aktuelle“ Titel rotieren allerdings häufig genug – Hall of Fame oder Locked out of Heaven beispielsweise wurden jeweils ca 40x gespielt – das reicht völlig aus, um einen Titel nach spätenstens 14 Tagen nicht mehr hören zu müssen.
Wonach sich diese Hot Rotation richtet, bleibt weitestgehend im Unklaren. Fun mit Some Nights wurden zB 38x gespielt – der Titel ist seit 18. Jänner nicht mehr in den Charts und platzierte sich heuer mit Rang 54 als bestem Ergebnis.
Sehr penetrant auch die neuen Singles von Robbie Williams und Bon Jovi. Erstere war gleich nur 4 Wochen in den Charts (Jänner), zweitere erreichte mit Platz 21 (als Neueinsteiger – quasi als Teaser für das neue Album) die beste Platzierung und grundelt seither um Rang 30-40 in den Charts herum. Reicht aber, um Different 32x und Because we can (jetzt endgültig auf Musikantenstadl-Niveau) 37 x zu spielen – unverständlich.
Ansonsten der übliche Hitparaden-Schmus: Imagine Dragons, Alicia Keys, Pink, Rihanna, Linkin Park, Lenka, Lena, Olly Murs, Gossip, Rea Garvey, Emeli Sandé etc – darunter ist bestimmt der eine oder andere hörbare Song, aber in dieser Konzentration relativiert sich das natürlich.
Vieles aus den Charts wird auch bei Life Radio von vornherein ausgeklammert. Dafür promotet man plötzlich Mumford & Sons, die wohl bei jeder Music Research in den vergangenen 4 Jahren kläglich durchgefallen wären.
Dafür kann man noch immer nicht von Foster the People, Gotye oder Christina Perri lassen – schickt die endlich in Rente!
Viel interessanter ist natürlich die andere Hälfte der Playlist – vielmehr: sie KÖNNTE es sein. In der Praxis erweist sie sich allerdings als akustische Folter, sofern man nicht mit Elefantenhaut ausgerüstet ist. So wenig man jetzt in Teil 1 abweichen kann (oder will, oder darf…?), so viele Optionen hätte man bei den sogenannten Kulthits. Hier könnte man aus tausenden Songs wählen, die in jedem Fall auch heute Radiopotential haben, immerhin wurden sie ja auch vor 10, 20 oder 30 Jahren ebendort gespielt.
Was passiert aber (leider nach wie vor)?
60x Queen (bzw Freddie himself), 51x Michael Jackson, 42x Tina Turner, 40x Joe Cocker, 39x Phil Collins – mit oder ohne Genesis, 35x Roxette, 34x Bryan Adams, 29x Bruce Springsteen, 22x Mike and the Mechanics & U2 etc.
Die Altinterpreten, die zumindest 15x gespielt wurden, machen insgesamt 581 plays aus – das macht gar nicht schmale 15% an den Gesamttiteln aus. Der Anteil an Hymnischem oder Schmalzigem ist darüberhinaus auch noch recht hoch, was die ganze Sache nicht gerade peppiger macht.
Nimmt man dann noch ein paar Songs dazu, die längst nicht mehr „heiß“ sind (Chartsposition >60) und aber trotzdem zumindest 10x gespielt wurden, ist man plötzlich bei fast 1000 Titeln und einem Viertel aller gespielten Songs.
Allein 181 mal wurden Freddie der Jauler, die Rock-Oma, der weinerliche Phil und Whisky-Joe gespielt – das ist eigentlich unfassbar. Müßig zu erwähnen, dass es auch bei diesem Quartett noch genügend Songs gibt, die einfach nicht in die Hand genommen werden.
Es gäbe jetzt 2 Möglichkeiten, die Playlist interessanter zu gestalten:
1. Nervige Songs werden im Paket getauscht – und das rechtzeitig und regelmäßig
2. Die Playlist wird einfach um viele Songs, die spielbar sind, erweitert.
Beide Wege geht man bei Life Radio nicht. Am 9. Februar passierte Folgendes: auf einen Schlag wurden viele Songs aus der Playlist genommen und durch etwa ebensoviele andere, „neue“ ersetzt. Jetzt dudeln halt Eddie Money und Pat Benatar um die Wette. So sehr ich diese Änderungen auch grundsätzlich begrüßen würde – wieso hat man diese Songs nicht einfach dazugenommen? Wieso dauert es ewig, bis zumindest ein zweiter Melissa-Etheridge-Song (Like the Way i do) aufgenommen wird? Detto bei Mr. Mister: plötzlich kann man Broken Wings UND Kyrie spielen – neue Research-Ergebnisse?
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: die neuen Songs sind keine überaus originellen Einfälle, wären aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Am 9. Februar wurde Tage Wie Diese durch Altes Fieber (in der Hot Rotation) ersetzt. Am Vortag war dieser mit Platz 56 die vorletzte Woche in den Charts – seitdem läuft der Song ziemlich regelmäßig in der Playlist – immerhin 23x in 19 Tagen. Das versteh, wer will – ich komm nicht dahinter. Tage Wie Diese wurde also erst nach ungefähr 40 Wochen Charts (seit August 2012 nicht mehr besser als Platz 28) aus der Hot Rotation genommen – so flexibel und schnellebig ist Österreichs Music Business…
Elton John und Roxy Music wurden ganz aus der Playlist gestrichen – man hätte auch einfach die Playlist erweitern und dafür die Songs seltener spielen können – frei nach den Gebrüdern Marx „kenntma, machma owa net“…
Das Rockmusik-Geheuchel ist unerträglich. Jeden zweiten Tag Survivor (natürlich entweder Eye of the Tiger oder Burning Heart), dazu Toto, Van Halen, Joan Jett, AC/DC, Asia, Styx, REO Speedwagon, Foreigner, Boston – alle mit Minirotation (kein Interpret mit mehr als 4 Titeln) und viel zu oft gespielt (insgesamt 135 mal) – raus damit aus der Playlist oder das Song-Portfolio breiter machen. Es gibt genug Van Halen-Songs (u.a. aus der Ära Sammy Hagar), die radiotauglich sind – oder auch mal Dance The Night Away bzw Ain‘t Talkin Bout Love? Auch das Oeuvre von Survivor, Styx, REO Speedwagon oder Foreigner ist wesentlich radiotauglicher, als die paar Songs, die dauernd gespielt werden.
Wenn man der Meinung ist, dass Nik Kershaw zu Life Radio passt, wieso streicht man dann The Riddle aus der Playlist, anstatt I Won‘t Let The Sun Go Down on me dazuzunehmen? Was ist der Witz dabei? Wieso nur 4 U2-Songs? Wieso nur 3 Depeche Mode-Songs – einer erst kürzlich im Februar dazugekommen? Ein Song von Men At Work?
Nicht gespielte U2-Songs (Auszug):
One
Sunday, Bloody Sunday
New Year’s Day
Stay (Far Away, So Close)
When Love Comes To Town
Angel Of Harlem
I’ve Got You Under My Skin (Bono & Frank Sinatra)
Who’s Gonna Ride Your Wild Horses
Miss Sarajevo (Passengers)
Gloria
Desire
Hold Me, Thrill Me, Kiss Me, Kill Me
Beautiful Day
Geht nicht? Schwach. Würde man die Rock-Playlist erweitern, könnte das irgendwann mal glaubwürdig wirken.
Ein paar skurrile Randnotizen (Februar):
14x Soft Cell / Tainted Love
11x Huey Lewis And The News / The Power Of Love
11x Roxette / The Look
10x Frank Zappa / Bobby Brown
10x AC/DC / You Shook Me All Night Long
Jänner und Februar:
37x Toto (3 verschiedene Songs – an zwei von drei Tagen)
30x Survivor (2 verschiedene Songs – jeden zweiten Tag)
29x Bonnie Tyler (2 verschiedene Songs – jeden zweiten Tag)
28x Belinda Carlisle (2 verschiedene Songs – jeden zweiten Tag)
18x Bill Medley & Jennifer Warnes / The Time Of My Life (jeden dritten Tag!)
18x John Parr / St. Elmo’s Fire
17x Bangles / Manic Monday (quasi einziger Song in der Playlist)
17x Berlin / Take My Breath Away
17x Dire Straits / Sultans Of Swing
17x Queen & David Bowie / Under Pressure
16x Monty Python / Always Look On The Bright Side Of Life (jeden vierten Tag!!!)
16x Ozzy Osbourne / Dreamer
16x Soulsister / The Way To Your Heart (einziger Song in der Playlist – jeden vierten Tag; auch hier gibt es keinen anderen Song, den man zur Playlist hinzufügen möchte)
…
Wen würde man bei Life Radio niemals kennenlernen?
Michael Bolton
Cliff Richard
Juice Newton
Barry Manilow
Beach Boys
Bob Seger
Cat Stevens
CCR
Chris de Burgh
Christopher Cross
Crowded House
Air Supply
Diana Ross
Donna Summer
Kool & The Gang
Earth, Wind & Fire
Jackson Browne
Nur, um ein paar Beispiele zu nennen – lieber wird aber 100x Queen (Jan + Feb) gespielt…
Das hausgemachte One Hit Wonder-Drama nimmt weiter seinen Lauf. Aktuelle Nachfolgesingles werden ignoriert (hat jemand eine neue Single von Brooke Fraser gehört?) und von Interpreten der Kulthits wird sehr oft nur eine Single gespielt. Während Robbie Williams nahezu mit jedem Rülpser, den er je getan hat, in der Playlist ist, zensiert man bei anderen Gelegenheiten potentielle Songs einfach weg.
Conclusio:
Life Radio ist ein weiterer, akustischer Schattenspender in der österreichischen Radiolandschaft – aber solange das Marketing über der Musikvielfalt steht wird sich so schnell nichts ändern. Das ist schade, weil man auch mit mehr Qualität und Emotionen dasselbe bzw. sogar ein besseres Ergebnis erreichen könnte.