Guten Tag, die Herrschaften...!
@grün:
Der Computer dient hier dazu, das "Musikprogramm" des Senders nach zahlreichen vorgegebenen Kriterien der Musikredaktion zu erstellen (ich habe nur fünf aufgezählt, es gibt sehr viel mehr davon), der Musikredakteur sorgt bei der Musikplanung für den nötigen Feinschliff.
JA und NEIN! "Der Computer", also das Musikplanungsprogramm, schlägt dem Musikredakteur, der für die Hörfunk-Welle oder für bestimmte Sendestrecken innerhalb der Hörfunk-Welle für die Musik verantwortlich ist, über seine automatische Planungsfunktion Titel vor. Das bedeutet, dass dem Musikplanungssystem der Befehl "Plane mir für die Zeit von X bis Y die Musik" gegeben wird. Darauf hin "guckt" die Musikplanungssoftware zunächst in die für den gewünschten Planungszeitraum gültigen Stundenuhren und besetzt die einzelnen Musik-Positionen mit - laut Rotationsregeln - "zulässigen" Titeln, also mit Titeln, die innerhalb der Suchtiefe entsprechend weit "vorne" stehen und demnach jetzt an der Reihe wären, wieder gespielt zu werden.
Was ist die "Suchtiefe"?
Die sog. "Suchtiefe" ist der aufgrund der Rotationsregeln definierte "zulässige" Abstand der einzelnen Einsätze der Titel in der jeweiligen Musik-Kategorie, in dem der Computer oder auch der Musikredakteur "wühlen" darf und aus dem er einen Titel auswählen darf. Klingt abstrakt? Okay, gehen wir kurz in jene Zeit zurück, als Musikprogramme im Rundfunk noch mit Karteikarten zusammengestellt wurde. Stellen wir uns vor, eine Karteikartenkiste wäre eine Musik-Kategorie. Die sich in der Kiste befindenden Karteikarten sind die einzelnen Musiktitel, die in der Musik-Kategorie vorhanden sind. Nehmen wir an, dass beispielsweise in der Mitte der Karteikartenkiste sich EINE Trennwand befindet, die die Karteikarten in zwei Bereiche voneinander trennt. Diese "Trennwand" ist die Suchtiefe! Alle Karteikarten, die von vorne gesehen HINTER der Trennwand stehen, dürfen NICHT eingesetzt werden, da diese vor kurzer Zeit im Programm eingesetzt wurden. Alle Karteikarten, die VOR der Trennwand stehen, dürfen eingesetzt werden, da deren Einsätze im Programm schon lange zurück liegen.
Der gewissenhafte Musikredakteur/Musikprogrammgestalter bedient sich - in der Regel jedenfalls - also nur aus dem Karteikartenbereich, der VOR der Trennwand steht, da er sonst die Rotationsregeln verletzen würde und die von ihm favorisierten Titel ZU OFT einsetzen würde, würde er sich mit Karteikarten bedienen, die HINTER der Trennwand stehen. Wenn er jetzt seine Sendung anhand der diversen Karteikartenkisten (= Musik-Kategorien) und der VOR der jeweiligen Trennwand stehenden Karteikarten zusammengestellt hat - er nimmt all' jene Karteikarten (= Songs), setzt sich an seine elektrische Schreibmaschine und tippt die für den jeweiligen Musiktitel lizenzrelevanten Daten, die auf der jeweiligen Karteikarte vorne stehen, auf einen Musiklaufplan-Vordruck. Dann schreibt er auf die Rückseite der Karteikarte das geplante Einsatzdatum mit Uhrzeit und stellt dann die Karteikarten AN DAS HINTERE ENDE der jeweiligen Karteikartenkiste - also an das Ende der Suchtiefe - aus der er die jeweilige Karteikarte vorher entnommen hat. Und über dieses Prinzip "wandern" alle Karteikarten in der Karteikartenkiste im Laufe der Zeit von hinten (aus der "tiefsten" Suchtiefe) nach vorne (in die "niedrigste" Suchtiefe).
DAS ist das Prinzip von Musikrotation!
Früher haben wir es mit Karteikarten gemacht, was teilweise sehr umständlich und ein erheblicher Arbeitsaufwand war. Es musste jede von uns für die jeweilige Sendung gewünschte Karteikarte erst einmal anhand des hinten auf der Karteikarte stehenden letzten Einsatzdatums "gegengerechnet" werden, ob wir nicht zufällig den Titel in der selben Stunde wieder einsetzen, in der wir ihn zuletzt gespielt haben. Interpretentrennung beispielsweise war mit diesem Karteikartensystem nur sehr schwer und nur bedingt möglich. Beispiel: vorgestern lief in der 18.00 Uhr-Stunde Rod Stewart mit "Baby Jane", heute möchte ich in der 18.00 Uhr-Stunde von Rod Stewart & Ronald Isley "This old heart of mine" spielen? GEHT NICHT! Wegen der Interpretentrennung! Aber woher wusste der Musikredakteur DAMALS, dass vorgestern bereits "Baby Jane" lief? Wenn er gerade die Karteikarte zu "This old heart of mine" in der Hand hält und das darauf befindliche letzte Einsatzdatum ihm sagt, dass der Song zuletzt am 27.9. in der 9.00 Uhr-Stunde gelaufen ist? Er kann doch nicht SÄMTLICHE Karteikartenkisten manuell nach allen anderen Rod Stewart-Songs und deren Einsatzdaten durchwühlen - und wenn er sie gefunden hat, ALLE Einsatzdaten gegenrechnen, oder? "Der Computer", die Musikplanungssoftware, also "das ELEKTRONISCHE Karteikartensystem", kann DAS aber! Und es zeigt dem Redakteur dann auch noch schön graphisch angeordnet ALLE Einstatzdaten von SÄMTLICHEN sich in der Rotation befindlichen Rod Stewart-Titeln an! Darüber hinaus schreibt es AUTOMATISCH den Musiklaufplan, wenn man diesen einfach ausdruckt und "die Kiste" übernimmt auch noch AUTOMATISCH die GEMA- & GVL-Abrechnung!
Wow, WAS für eine Arbeitserleichterung!!!
Und wenn ich dem Computer sage, er soll mir den Zeitraum X bis Zeitraum Y automatisch planen, dann macht er "die Karteikarteneinsatzdatenvergleichsarbeit" (was für ein Kunstwort!
) AUCH NOCH von selbst, nämlich anhand der von mir definierten Rotationsregeln!
Aber EINES macht "der Kollege Computer" nicht! Und DAS ist auch gut so! Denn er ist eine emotionslose Maschine und kann die Titel NICHT hören und entsprechend harmonisch in Einklang zueinander bringen. Stichworte "Musikfluß" und "Dramaturgie"!
"Der Computer" kann mir zwar ein auf Basis der Rotationsregeln ein "perfektes" Musikprogramm "zusammenkloppen", aber vom GESAMTKLANG der Programmstunde, also von der Dramaturgie und vom Klang der einzelnen Musikblöcke hat "der Kollege Computer" KEINE Ahnung!
Musikredaktionen versuchen zwar anhand von sog. "kreativen Informationen" >>> Sprache, Genre, Geschlecht, Anfangs-, Gesamt- und End-Intensität (von "1" = "sehr dünn" bis "5" = "sehr kräftig"), Anfangs-und End-Tempo ("slow", "medium", "fast"), Härtegrad (von "sehr melodisch" bis "sehr rhythmisch"), Rotationshäufigkeit (dieses Kriterium verrate ich nicht!), Stimmung ("positiv", "melancholisch" oder "neutral") und Opener-Charakteristik ("Opener", "Stopset-Opener" oder "Fülltitel") <<< den Klang der einzelnen Titel für den Computer "lesbar" zu machen und - je nachdem wie gut oder schlecht jene Musikredaktionen ihre kreativen Informationen definiert haben gelingt das teilweise sogar, ABER "der Computer" kann den Titel TROTZDEM immer noch nicht wirklich "hören" und entsprechend "bewerten"!
Jeder einzelne Song bekommt anhand dieser kreativen Informationen einen individuellen Musik-Code zugewiesen (beispielsweise "A-Bm434FFr1g+", was bedeuten würde, der Song wäre englischsprachig ("A" = anglo), er würde sehr "schwarz" klingen ("B" = Soul, Funk, R&B), der Leadgesang wäre männlich ("m" = männlich), er würde "gut abgehen", denn die Gesamtintensität des Songs ist eine "4" (= "kräftig"), die Anfangsintensität ist eher "medium" (= "3") und die Endintensität ist auch "kräftig" (= "4"). Das Anfangs- und das Endtempo des Songs ist jeweils "fast" (= "FF") und der Härtegrad des Songs ist "rhythmisch" (= "r"). Zur Häufigkeit sage ich an dieser Stelle absichtlich nichts (= BETRIEBSGEHEIMNIS!), aber die Stimmung des Songs ist "gut" bzw. "positiv" (= "g"). Jedoch handelt es sich bei der Nummer nicht um einen sog. "Opener" (also der erste Song, mit dem ich eine Programmstunde eröffne), sondern um einen sog. "Stopset-Opener" (also ein Titel, der einen klar definierten Anfangspunkt hat und NICHT "einfaded" oder sich zunächst "aufbaut", sondern aufgrund seiner Anfangs-Charakteristik sich dazu eignet, beispielsweise nach einem Wortbeitrag eingesetzt zu werden).
Zusätzlich könnte man jetzt beispielsweise noch den jeweiligen "key", also die Tonart des Anfangs- und des Schlußakkords definieren. Dies würde - und das setzt beim Musikredakteur/Musikprogrammgestalter ein sog. "
absolutes Gehör" (in musikalischer Hinsicht) voraus - die Übergänge der einzelnen Musiktitel noch weiter perfektionieren. Denn mit einem sog. "absoluten Gehör" weiss der Musikredakteur sofort, WIE der Anfangs- und der Schlußakkord TATSÄCHLICH klingt und könnte diesen bei Bedarf sogar treffsicher auf der Stelle, also "hier und jetzt", singen.
Und an dieser Stelle kommt der Musikredakteur/Musikprogrammgestalter wieder ins Spiel der sog. "computerunterstützten (strategischen) Musikplanung", denn er SOLLTE JEDE PROGRAMMSTUNDE, die der Computer automatisch geplant hat, KONTROLLIEREN! Nämlich ob die vom Computer geplanten Musiktitel musikalisch WIRKLICH zueinander passen! Eventuelle Disharmonien zwischen zwei einzelnen Songs, die beispielsweise der Comuputer automatisch geplant hat, würde der Musikredakteur sofort erkennen und durch den Austausch von einem der beiden Titel eleminieren können, denn falls die beiden Titel NICHT zueinander "passen", ersetzt der Musikredakteur "per Hand" den entsprechenden Song durch einen anderen, der "besser" passt. Und SOMIT hat "der Computer" lediglich EIN VORSCHLAGSRECHT, die letzte Entscheidung trifft jedoch der Musikredakteur/Musikprogrammgestalter oder - ganz am Ende der "Produktionskette" - der Moderator im Studio, der das geplante Musikprogramm spielt! Falls er Titel austauscht, muss dieser Austausch selbstverständlich nach der Sendung im Musikplanungssystem entsprechend korrigiert werden. Sonst käme die Musikrotation völlig durcheinander. Mit anderen Worten: der Computer darf bei der automatischen Musikplanung nur innerhalb der zulässigen Suchtiefe auswählen (um nicht die Rotation durcheinander zu bringen), der Musikredakteur darf - wenn er denn einen guten Grund dafür hat - durchaus auch jenseits der zulässigen Suchtiefe Titel auswählen. So einfach ist das. Punkt.
Leider gibt es jedoch Sender die behaupten, mit einem "perfekt" konfektionierten Musikplanungssystem ihre sog. "computerGEstütze strategische Musikplanung" durchzuführen. Ich bezweifele DAS fachlich sehr stark, denn NICHTS in dieser Welt ist perfekt! Diese Sender lassen den Computer die Musik automatisch planen - die Musikrotation stimmt dann zwar - aber die musikalische "Anmutung" der jeweiligen Programmstunde ist in der Regel dann eher eine "Zumutung"! Sie drucken dann DAS, was "der Kollege Computer" automatisch geplant hat TATSÄCHLCH aus - und senden es SO und auch noch in dieser vom Computer geplanten Reihenfolge! "Kraut und Rüben" sozusagen! Wenn ich als solch' ein Sender DANN auch noch Leute in meiner Musikredaktion sitzen habe, die sich zwar als Musikredakteur bezeichnen, aber eigentlich alles andere als musikalisch gebildet sind - und im schlimmsten Fall nicht über die erforderlichen Repertoirekenntnisse verfügen - dann ist das musikalische Desaster "on air" bereits vorprogrammiert. Denn DANN habe ich "Kay'n'Arr-Radio", also "Kraut und Rüben-Radio" wie ich es in solchen Fällen immer naserümpfend bezeichne, wenn musikalisch nix richtig zusammenpasst. Oder anders ausgedrückt: "grüne Jacke", "lila Hemd", "gelbe Hose", "rote Socken" und "braune Schuhe" (nein, ich meine DAS ausnahmsweise mal NICHT politisch!) - würdet Ihr DIESE "Klamotten-Kombination" anziehen und Euch DAMIT auf die Straße trauen? Nein? Okay, warum SENDET Ihr denn oftmals Musikzusammenstellungen, die DIESER visuellen Beschreibung entspricht???
Erklärt meine oben genannten fachlichen Ausführungen mal einem BWL'ler (remember: "Kathedralen von Zahlen"), sprich einem BERATER...! DIESE Leute haben - in der Regel jedenfalls - DAVON leider GAR KEINE Ahnung! Von Wissen ganz zu schweigen! "Musik" ist eine emotionale "Bauchangelegenheit", die kann man zwar versuchen rational zu erfassen, aber ZUMINDEST sollte ein musikalischer Fachmann VORHER (bevor der "Murks" auf Sendung geht) nochmal darüber gucken und notfalls korrigierend entsprechend eingreifen dürfen, müssen und sollen! Profitgier und falsches Verständnis von einem "harmonischen" Musikprogramm und der sog. "Durchhörbarkeit" tragen ihr Übriges dazu bei, dass "der heilige Musikcomputer" von diesen musikredaktionell fachlich inkompetenten Leuten gehuldigt wird - und am Ende fabriziert "die Kiste" doch nur wieder mittelmäßigen Käse (und auf dem Sender läuft dann doch nur "Mist"), weil die letzte (menschliche) Kontrollinstanz (sprich, der ECHTE Musikredakteur) a) ein Kostenfaktor ist und b) dementsprechend abgeschafft werden muss.
Aber leider - ich schrieb es bereits in meinem Posting # 13:
"Doch leider scheint diese "Gattung Musikredakteur/Musikprogrammgestalter" immer weiter auszusterben bzw. von BWL'lern mit ihren "Kathedralen von Zahlen" (in diesem Zusammenhang übrigens ein sehr "witziger" Song von WOLF MAAHN aus dem Januar 2004 - zu finden auf seinem Album "Zauberstraßen", Label: 04909 MOTOR, Best.-Nr.: 986615-9) immer mehr verdrängt zu werden. Und so geht dann "das Radio" letztendlich leider den Bach runter...
Traurig, aber wahr!"
Wie dem auch sei: ich hoffe, ein wenig Licht ins Dunkel des Mysteriums der Musikprogrammgestaltung im Rundfunk und dessen fachlichen Hintergrund gebracht zu haben und wünsche Euch ein schönes Wochenende.
Cheers,
- DV -
P.S.: Und jetzt muss ich gleich mal schauen, was POWERGOLD wieder für einen musikalischen "Murks" automatisch fabriziert hat...