AW: Was macht hr1 falsch?
Hatten wir hier im Thread eigentlich dieses schon diskutiert:
epd-Tagebuch:
Erbarmen! Zu spät: Die Hessen lächeln
epd Jetzt ist der Hörerpflegekurs wohl durch und alles viel netter bei HR1. Erinnert ein bisschen an moderne Werbestrategie, so was wie "Juchu!! Schatz! Unser neuer Sonnenkollektor!". Ob Staumeldung, "die Naachrichtenn!", Totschlag oder Stotterproblem - munteres Moderatorengelächel umfließt Wort wie Musik. Juchu!! Hörer! Ich bin bei dir! "Kommen Sie gut duurch!" säuselt die nette Wiehießsiegleich nach ellenlangen Staumeldungen, und meint das wirklich nicht zynisch.
Und nun das Wettterr! (lächel) mit (lächel) Anke Hahawage (sorry, der Nachname ist meist ein wenig verlächelt), die heute einen giftgrünen Schal trägt. Nein, so was! Sind die Mädels süß, was man da alles mitbekommt, das reine Leben! Flutscht der Tag doch gleich besser. Das könnte als Zielreaktion auf der Agenda stehn. Sicher gab es einen Berater, mindestens einen Workshop auf Basis amerikanischer Studien zu gefühlvoller Sprecherziehung und Hörerbegleitung. Tatsächlich aber geht eher der Adrenalinpegel hoch, wenn solche Stimmchen auf Hirne treffen, die noch nicht ganz weich sind.
Dabei bin ich mitten in der vor zwei Jahren fürs Kommen-Sie-gut-Durchhören definierten Zielgruppe der 30- bis 60-Jährigen: "überwiegend berufstätig, mobil und aufgeschlossen, weltoffen, meinungsfreudig, tolerant und gesprächsbereit". Aber wenn zum x-ten Mal Abba läuft, weil laut Statistik die Zielgruppenfrauen das in ihrer Jugend so geliebt haben, sind dieselben kurz vorm Durchdrehn. hr1 mal herhören: Es ist uns peinlich!!
Ein Glück, dass es noch die absolut lächelfreie Fußballmoderatoren-Arena gibt. Die schreien, jubeln, motzen noch ungebogen. Dabei weiß ich erst seit der WM, was eine Schwalbe ist, und habe mich lange gewundert, wie wohl der Räumer Kai zu seinem Spitznamen gekommen ist (armer Roy Macay). Echte Fußballignorantin halt, und jetzt steh ich in der Küche und bibbere mit Nürnberg, hoffe auf Schalke und feuere die Eintracht an. Bis das "Wichtigste vom Tage" kommt, diese Karikatur einer Satire, die jedes Mal den Abpfiff kassiert. AnAusAnAus. Was wohl die Hörermessung von mir denkt?
Wie Hörerpflege funktioniert, haben natürlich die Frauen am besten kapiert. Die Alltagsmoderatorinnen sind komplett auf Linie. Bis auf eine Ausnahme sauber geklont: Stimmlage, Lächeln, Kommentare, Fragen - durch und durch egal. Die Männer kriegen die Mundwinkel noch immer nicht richtig hoch, dafür machen sie jetzt Witze. Spaß muss jedenfalls sein. Atomkraftwerke werden "auf Dübel komm raus" geprüft und Papa Spiegelhauer erklärt All oder Fußball. Bei manchem geht die Lächelweisung komplett in die Hose. Pfleger Tobias dehnt seine Worte so gekohonnt, dass Ausknopfhauen Sport wird.
"Gib mir das Gefühl zurück", die neue Kampagne des HR meint nicht: noch einmal Ulrich Manz oder Jesko von Schwichow mit "der Tag" hören. Stimmen, die völlig ungebügelt und kein bisschen mattpoliert Meinung transportierten. Meint auch nicht, einer Aufzeichnung mit Dagmar Fulle lauschen, bevor sie in den Mustopf des Lächelns stürzte. Vielmehr hört man x-mal den Kulturdezernenten Frankfurts über seine verflossene Knutschfreundin plaudern und wie schöön das war. Oder der Fraport-Chef erinnert sich an die wunderbare Zeit in Frisco (be sure to wear some flowers in your hair?!). Drumherum Gefühl-zurück-Oldie-Dropping. Frühmorgens um sechs bekommt man schon zum Frühstücksbrot "Satisfaction" von den Stones serviert. AUS!
"Dudelfunk für Vollidioten" urteilt einer der übrig gebliebenen HR-Hörer in seinem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau. Zwei meiner Freundinnen fühlen sich "wie in der Psychiatrie", wenn sie länger hr1 hören, ein Freund erschreckt regelmäßig mit lautem Fluchen und Schimpfen seine Familie. Dann hat Schwester Sabine-Angela-Petra wieder besonders tiefgründige Fragen gestellt während er etwa Tomaten häutete und das Radio nicht ausschalten konnte. Vor ein paar Wochen vielleicht, als Blitzhochwasser die Bewohner eines hessischen Kaffs das Fürchten lehrte. Der Reporter vor Ort berichtete von vollgelaufenen Wohnstuben und Schwester Marion-Susanne-Doris wollte lächelnd wissen, "Und was haben die Menschen dabei gefühlt?" Ich hab dann mal aus gemacht. Schönen Tach noch! und: Atmen Sie tief durch!
S.M.
epd medien Nr. 85, 28. Oktober 2006