Natürlich nicht. Ich halte aber die völlig überdrehte hysterische Reaktion auf etwas, das nicht einmal Rassismus ist, für widerlich. Es ist Rufmord an Matuschik. Das wird nicht besser dadurch, dass vermutlich über 90% der Weiterposter gar nicht wissen, wer dieser Mann ist und wofür er im Leben steht.
So etwas leistet jeder ernsthaft geführten Antirassismus-Debatte (oder besser noch: jedem ernsthaft so gut wie möglich gelebten Antirassismus, denn Debatten helfen nichts) einen Bärendienst. Wenn das, was jetzt mit Matuschke gemacht wird, "Antirassismus" sein soll, will ich damit nichts zu tun haben. Und mit denen, die so etwas durchs Land treiben, ebenfalls nicht.
Wer anderen "Rassismus" vorwirft, fasse sich bitte zuerst an die eigene Nase. In dem digitalen Endgerät, von dem aus die Treibjagd gestartet wurde, steckt mit Sicherheit auch ein Stück vom "längeren Hebel", an dem der weiße westliche Mensch gegenüber z.B. der Bevölkerung Afrikas sitzt. Das wollte ich damit ausdrücken.
(In dem gebraucht gekauften Laptop, an dem ich gerade tippe, steckt auch genug davon.)
Und noch etwas: ich entwickele seit Stunden ein zunehmendes Unbehagen, das inzwischen in einer Eskalationsstufe angekommen ist, in der ich aufpassen muss, nicht selbstverletzendes Verhalten zu entwickeln. Nun wird mir klar, warum es in mir kocht. Ich empfinde es als unerträglich, dass der BR auf den Aufstand der selbstgerechten Online-Empörten überhaupt anspringt. Dass er nach deren Pfeife tanzt, dass er über deren Stöckchen springt.
Warum?
Darum: wie viele hoch anständige Menschen haben in den vergangenen 2-3 Jahrzehnten wegen inhaltlichem Abbau bei der ARD (nicht unbedingt beim BR, aber auch beim BR - siehe Einstellung "taktlos" und Einstellung "Weitwinkel" im BR-Hörfunk) protestiert? Mit Schreiben an Rundfunkräte oder Chefredaktionen, mit Artikeln in seriösen Wochenzeitungen, über den Weg von Hörer-Initiativen?
Wie oft bewegte sich dann überhaupt etwas und wie oft in ihrem Sinne? Selten. Eher wurde man durch ARD-Gremien günstigstensfalls abgewimmelt, schlechterenfalls regelrecht verhöhnt, übelstenfalls juristisch "abgezogen" (ja, auch das gab es).
Und heute reicht es aus, unqualifiziert irgendeine unhaltbare Behauptung in die asozialen Netzwerke zu posten, die Bereitschaftsarmee der Online-Empörten potenziert das ganze - und schon lässt sich eine ARD-Anstalt vor sich hertreiben. Da kommt mir, der ich selbst zig mal gegen echte Missstände in der ARD aktiv war (und derzeit wieder viel Lebenszeit in ein solches Thema investiere) einfach der Mageninhalt hoch.
Wenn Fakten durch Emotionen ersetzt werden und sich gesellschaftliche Einrichtungen (der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist für mich eine solche) damit steuern lassen, sind wir wirklich in der postfaktischen Gesellschaft angekommen - und damit dem Ende einer zukunftsfähigen Gesellschaft nahe. Mir macht das Angst, richtig Angst: man hat Fakten, wird aber nicht mehr gehört, weil die mit den Emotionen so laut schreien. Irgendjemand hat das mal "Phonokratie" genannt. Das muss so lange her sein, dass es in der always-offline-Ära war.